Helmut Krausser

Einsamkeit und Sex und Mitleid

Das Paar Vivian (Lara Mandoki) und Vincent (Eugen Bauder) verdient sein Geld mit Prostitution - jeder für sich, aber stets in Absprache. Foto: © X-Verleih
(Kinostart: 4.5.) Kraftmeierei an der Bettkante: Autor Helmut Krausser mokiert sich wortreich über bundesdeutsches Liebeselend. Das verfilmt Regisseur Lars Montag als kunstvoll geflochtenen, aber hämischen Episoden-Reigen – eine sterile Bastelarbeit.

Der große Aufmischer: Was Helmut Krausser schreibt, soll keinen kalt lassen. Seit fast 30 Jahren flutet der 1964 geborene Autor den deutschen Sprachraum mit Zeitgeist-Literatur. Bisher hat er 14 Romane veröffentlicht, elf Erzählungs- und Poesie-Sammlungen, elf Dramen und diverse Opern-Libretti, fünf Hörspiele, 13 Tagebuch-Bände, dazu noch Gedicht-Vertonungen, Musik-CDs und manches mehr – darunter eine „Gebrauchsanweisung für den FC Bayern“. Außerdem spielt Krausser leidenschaftlich Schach und Backgammon. Ein Mann mit vielen Talenten.

 

Info

 

Einsamkeit und Sex und Mitleid

 

Regie: Lars Montag,

119 Min., Deutschland 2017;

mit: Bernhard Schütz, Jan Hendrik Stahlberg, Friederike Kempter, Rainer Bock

 

Website zum Film

 

Wer so viel produziert, kann sich kaum mit Feinschliff aufhalten. Der schaut eher dem Volk aufs Maul, häuft grobe Keile auf grobe Klötze und zündet ein Feuerwerk von Kalauern, Zoten und Verbalinjurien. Das geht in die Vollen, macht starken Eindruck und haut im besten Fall mit seiner Unverfrorenheit den Leser einfach um. Was zudem den Vorteil hat, alle übrigen Akteure im Kulturbetrieb als Weicheier abwatschen zu können, die sich nichts trauen.

 

Eichinger-Verfilmung ging unter

 

Produzenten und Regisseure dürften Kraussers schriftstellernder Kraftmeierei mit Angstlust begegnen: Wie kann man solche Bastard-Bücher verfilmen? 1999 hat es Bernd Eichinger versucht: Seine Adaption des Romans „Der große Bagarozy“ mit Corinna Harfouch und Til Schweiger, eine wüste Mixtur aus Psychokrimi und fantasy-Komödie, ging ziemlich unter und ist heute zurecht vergessen.

Offizieller Filmtrailer


 

Panorama aus Unterleibs-Perspektive

 

Lars Montag hat bislang vor allem Teenie-Komödien und TV-Krimis gedreht, etwa mehrere „Tatorte“. Für sein Kinodebüt nimmt er sich den 2009 erschienenen Krausser-Roman „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ vor; die Drehbuchfassung haben Autor und Regisseur gemeinsam erstellt. Die Titel-Anspielung auf den Nationalhymnen-refrain macht klar, worum es ihnen geht: ein Gesamtgesellschafts-Panorama aus der Unterleibs-Perspektive.

 

Von den 36 Figuren der Romanvorlage bleiben auf der Leinwand immerhin noch 13 übrig; jede repräsentiert in verschachtelten Episoden einen gewissen Typus. Ecki Nölten (Bernhard Schütz) verlor seinen job als Lehrer, weil ihn Schülerin Swentja als Belästiger denunzierte; nun ist er manisch-depressiver messie. Die 14-jährige Swentja will sich vom gleichaltrigen Mahmud lecken lassen, aber nur gegen Geld – für lau wirft sie sich nicht weg. Mahmud will zahlen, weil ihm der Islam eigentlich vorehelichen Sex verbietet – doch mit Huren ist das was anderes.

 

„Reigen“-Prinzip mit neuesten gadgets

 

Julia König (Eva Löbau) hat ihren Mann abgeschossen; stattdessen holt sie sich callboys, denen sie jede Stellung vorschreibt. Wenn ihr Ex-Gatte Uwe (Peter Schneider) nicht gerade mit wearables seine fitness optimiert, holt er sich dates aus dem internet: wie die Künstlerin Janine (Katja Bürkle), die Menschen anmalt und abfotografiert. Und so weiter: Alle sind irgendwie verbandelt, wissen aber nicht voneinander. Dieses Prinzip hat Arthur Schnitzler 1903 in seinem Drama „Reigen“ mustergültig ausformuliert – und wesentlich eleganter.

 

Dafür fahren Krausser und Montag jede Menge neueste gadgets auf: von Amok laufenden Staubsauger-Robotern über silent partys, deren Teilnehmer schweigend mit Kopfhörern tanzen, bis zu anger rooms, in denen Gefrustete gegen Vorkasse die Einrichtung zertrümmern dürfen. Also all die Pseudo-must haves aus livestyle-Magazinen, über die man beim Durchblättern kurz grinst oder den Kopf schüttelt. In ihrer Anhäufung verwandeln sie den Film in eine Rumpelkammer für shopping-Skurrilitäten.

 

Verschenktes Erotik-Thema

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Toni Erdmann" - skurril eigenwillige Vater-Tochter-Tragikomödie von Maren Ade, prämiert mit sechs Deutschen Filmpreisen 2017

 

und hier eine Besprechung des Films "Finsterworld" – surrealer Episoden-Reigen von Frauke Finsterwalder + Christoph Kracht mit Bernhard Schütz

 

und hier einen Bericht über den Film "Sexarbeiterin" - informatives Doku-Porträt einer Erotik-Masseurin von Sobo Swobodnik.

 

Was auch fürs Personal und den in Sketche zerlegten plot gilt. Alle vorgeführten Kontaktprobleme, Komplexe, Neurosen und Ängste wären eingehender Betrachtung wert, aber das Drehbuch lässt sie nur krachend aufeinander prallen – meist ohne daraus komische Funken zu schlagen. Damit verschenken die Macher ein dankbares sujet: Im derzeitigen Neo-Biedermeier sind Irrungen und Wirrungen des Eros kaum noch Thema.

 

Ob und wie einerseits internet-Pornographie und dating-Portale, andererseits Sicherheitssuche und Heirats-boom heutiges Liebesleben verändern, wird massenmedial kaum beachtet. Dafür müsste man Menschen in ihrer vertrackten emotionalen Widersprüchlichkeit darstellen, wie es etwa Regisseurin Maren Ade in „Toni Erdmann“ bei Vater und Tochter gelingt. Oder zumindest Liebenswertes in ihren Marotten und Defiziten aufspüren, wie Regisseurin Frauke Finsterwalder in „Finsterworld“.

 

Pappkameraden-Nummernrevue

 

Doch Krausser und Montag nehmen ihre Charaktere nicht ernst, sondern geben sie mit hämischem Spott der Lächerlichkeit preis; ihre Attitüde hat etwas Schäbiges. So bleibt von diesem kunstvoll geknüpften und aufwändig inszenierten Beziehungsgeflecht nur der Eindruck einer sterilen Bastelarbeit – einer Nummernrevue aus Pappkameraden.