Als einer der Väter des afrikanischen Kinos schuf der Senegalese Ousmane Sembène (1923-2007) Filme, deren einfache Geschichten von schwierigen Fragen und Problemen des Postkolonialismus durchzogen sind. Sembène, der auch sehr erfolgreich als Schriftsteller tätig war, beschäftigte sich intensiv mit dem Verhältnis von Blick und Sprache in der afrikanischen, speziell der senegalesischen Kultur.
Info
Guelwaar
Regie: Ousmane Sembène,
115 Min., Senegal/ Frankreich/ Deutschland 1992;
mit: Abou Camara, Oumar Seck, Marie Augustine Diatta
Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf
Filmstudium in Moskau
Der Sohn eines Fischers kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der französischen Armee und lebte danach zehn Jahre lang als Hafenarbeiter in Marseille. Er bildete sich autodidaktisch fort, veröffentlichte 1956 seinen ersten Roman und studierte ab 1961 Film in Moskau. Seine Regie-Tätigkeit verband er immer mit dem Anspruch, mit diesem Medium politisch zu wirken.
Offizieller Filmtrailer
Kino gegen die négritude
1963, also nur drei Jahre nach dem Abzug der französischen Kolonialherren aus dem Senegal, drehte Sembène seine ersten beiden, je 20 Minuten langen Schwarzweiß-Filme: „L’Empire Songhai“, eine Doku über das nordwestafrikanische Reich am Niger im Mittelalter, und „Borom Sarret“ über den Alltag eines Karrenschiebers in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Seinen Durchbruch hatte er 1966 mit „Die Schwarze aus Dakar“, dem Porträt eines afrikanischen Dienstmädchens im „Nouvelle Vague“-Stil.
Als einer der ersten schwarzen Filmregisseure Afrikas wurde Sembène rasch bekannt; dadurch konnte er seine Werke völlig unabhängig produzieren. Mit seiner Ästhetik stellte er sich bewusst gegen die Politik von Léopold Sédar Senghor. Der erste senegalesische Präsident von 1960 bis 1980 wollte mit seiner Philosophie der négritude europäisches Kulturerbe und afrikanische Selbstbehauptung miteinander verbinden.
Priester-Leichnam auf falschem Friedhof
Sembènes siebter Spielfilm „Guelwaar“ von 1992 beruht auf einem wahren Ereignis: Der Leichnam des katholischen Priesters Pierre Henri Thioune, genannt Guelwaar („der Noble“) wird irrtümlich auf einem muslimischen Friedhof bestattet – eine folgenreiche Verwechslung durch die Behörden. Die aufkeimende Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen beider Familien berührt Fragen nach dem Stellenwert des Lebens und der kulturellen Identität. Die Angelegenheit wird durch den Umstand verkompliziert, dass die Dorfgemeinschaft von Lebensmittel-Lieferungen aus den Industriestaaten abhängig ist.
Der visuell einfach gehaltene Film verbindet eine politische Botschaft mit selbstreflexiver Weisheit. In der Verwechslung der Leichen steckt hohes Konfliktpotential: Schnell offenbaren sich tiefe ressentiments zwischen Christen und Moslems – erstere sind eine kleine Minderheit von nur rund drei Prozent der Senegalesen. Zudem hatte Pater Pierre einst eine Affäre mit einer verheirateten Muslimin.
Kampf um Hegemonial-Sprache
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Bericht über den Vortrag des Black-Culture-Experten Manthia Diawara über Antikolonialismus + Gewalt in Afrika auf den „Künstler-Kongressen“ der documenta (13)
und hier einen Beitrag über das Buch "Neues afrikanisches Kino - Ästhetik und Politik" von Manthia Diawara, erschienen 2011
und hier einen Bericht über den Film "N - Der Wahn der Vernunft" - Essayfilm mit Aufnahmen aus dem Senegal von Peter Krüger.
Hier tritt die Figur eines Afrikaners auf, der sich bis in sein Denken hinein der kulturellen Hegemonie der früheren Kolonialmächte unterwirft. Dagegen hat der verstorbene Guelwaar stets für die geistige Unabhängigkeit seines Volkes gekämpft und dessen Sehnsüchte nach der westlichen Welt kritisiert. Das macht der Regisseur am Beispiel der Sprache deutlich: Französisch wird von Offiziellen verwendet, aber von den meisten Einheimischen nicht verstanden.
Mitgründer des FESPACO-Festivals
Diese Sprach-Kritik kommt in Sembènes literarischem Werk noch stärker zum Tragen als in seinen Filmen: Er schrieb die meisten seiner zehn Romane und Erzählungs-Bände auf Französisch – sie waren also für die Mehrheit seiner Landsleute nicht zugänglich. Daher wandte er sich dem Kino zu, um mit dem Medium Film ein größeres Publikum zu erreichen als mit seinen Texten.
Überdies gründete er 1969 gemeinsam mit dem Franzosen Jean Rouch das FESPACO-Festival; es wird alle zwei Jahre in Ouagadougou veranstaltet, der Hauptstadt von Burkina Faso, und ist bis heute das größte Filmfestival des Kontinents. So hat Sembène das afrikanische Kino geprägt wie kaum ein zweiter Regisseur.
Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf