Ousmane Sembène

Guelwaar

Szenenbild aus "Guelwaar" von Ousmane Sembène. Fotoquelle: Filmmuseum Düsseldorf
Begräbnis auf dem falschen Friedhof: Aus einem Dorf-Streit im Senegal machte Ousmane Sembène, einer der Väter des afrikanischen Kinos, 1992 eine universelle Parabel für den Konflikt zwischen Fremd- und Selbstbestimmung – im Filmmuseum Düsseldorf am 13.6.

Als einer der Väter des afrikanischen Kinos schuf der Senegalese Ousmane Sembène (1923-2007) Filme, deren einfache Geschichten von schwierigen Fragen und Problemen des Postkolonialismus durchzogen sind. Sembène, der auch sehr erfolgreich als Schriftsteller tätig war, beschäftigte sich intensiv mit dem Verhältnis von Blick und Sprache in der afrikanischen, speziell der senegalesischen Kultur.

 

Info

 

Guelwaar

 

Regie: Ousmane Sembène,

115 Min., Senegal/ Frankreich/ Deutschland 1992;

mit: Abou Camara, Oumar Seck, Marie Augustine Diatta

 

Weitere Informationen

 

Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf

 

Dabei ging es ihm stets auch um den Einfluss und die Nachwirkung der französischen Kolonialherrschaft: Sembènes Kino ist Filmkunst auf Augenhöhe mit Europa – wobei er den Erdteil im Norden durchaus als Absatzmarkt für seine Filme betrachtete. In ihnen steht die Sprache und das Leben im Senegal stets im Kontrast zur westlichen Welt; formale Klarheit und Schärfe sollen didaktisch auf den Zuschauer einwirken. Dafür verwendete Sembène ausgiebig symbolische Motive und ambivalent gezeichnete Charaktere; seine Filme zeichnen sich durch lange Einstellungen und dialektische Montagen aus.

 

Filmstudium in Moskau

 

Der Sohn eines Fischers kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der französischen Armee und lebte danach zehn Jahre lang als Hafenarbeiter in Marseille. Er bildete sich autodidaktisch fort, veröffentlichte 1956 seinen ersten Roman und studierte ab 1961 Film in Moskau. Seine Regie-Tätigkeit verband er immer mit dem Anspruch, mit diesem Medium politisch zu wirken.

Offizieller Filmtrailer


 

Kino gegen die négritude

 

1963, also nur drei Jahre nach dem Abzug der französischen Kolonialherren aus dem Senegal, drehte Sembène seine ersten beiden, je 20 Minuten langen Schwarzweiß-Filme: „L’Empire Songhai“, eine Doku über das nordwestafrikanische Reich am Niger im Mittelalter, und „Borom Sarret“ über den Alltag eines Karrenschiebers in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Seinen Durchbruch hatte er 1966 mit „Die Schwarze aus Dakar“, dem Porträt eines afrikanischen Dienstmädchens im „Nouvelle Vague“-Stil.

 

Als einer der ersten schwarzen Filmregisseure Afrikas wurde Sembène rasch bekannt; dadurch konnte er seine Werke völlig unabhängig produzieren. Mit seiner Ästhetik stellte er sich bewusst gegen die Politik von Léopold Sédar Senghor. Der erste senegalesische Präsident von 1960 bis 1980 wollte mit seiner Philosophie der négritude europäisches Kulturerbe und afrikanische Selbstbehauptung miteinander verbinden.

 

Priester-Leichnam auf falschem Friedhof

 

Sembènes siebter Spielfilm „Guelwaar“ von 1992 beruht auf einem wahren Ereignis: Der Leichnam des katholischen Priesters Pierre Henri Thioune, genannt Guelwaar („der Noble“) wird irrtümlich auf einem muslimischen Friedhof bestattet – eine folgenreiche Verwechslung durch die Behörden. Die aufkeimende Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen beider Familien berührt Fragen nach dem Stellenwert des Lebens und der kulturellen Identität. Die Angelegenheit wird durch den Umstand verkompliziert, dass die Dorfgemeinschaft von Lebensmittel-Lieferungen aus den Industriestaaten abhängig ist.

 

Der visuell einfach gehaltene Film verbindet eine politische Botschaft mit selbstreflexiver Weisheit. In der Verwechslung der Leichen steckt hohes Konfliktpotential: Schnell offenbaren sich tiefe ressentiments zwischen Christen und Moslems – erstere sind eine kleine Minderheit von nur rund drei Prozent der Senegalesen. Zudem hatte Pater Pierre einst eine Affäre mit einer verheirateten Muslimin.

 

Kampf um Hegemonial-Sprache

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier einen Bericht über den Vortrag des Black-Culture-Experten Manthia Diawara über Antikolonialismus + Gewalt in Afrika auf den „Künstler-Kongressen“ der documenta (13)

 

und hier einen Beitrag über das Buch "Neues afrikanisches Kino - Ästhetik und Politik" von Manthia Diawara, erschienen 2011

 

und hier einen Bericht über den Film "N - Der Wahn der Vernunft" - Essayfilm mit Aufnahmen aus dem Senegal von Peter Krüger.

 

Mit seinem Blick auf dörfliches Leben thematisiert Sembène also religiös motivierte Gegensätze im Land. Sowie die Folgen des Kolonialismus am Beispiel der Abgrenzung durch Sprache: Pierres Sohn Barthélémy hat in Frankreich studiert und spricht durchgängig Französisch. So versucht er, seine Muttersprache Wolof und somit seine Herkunfts-Identität zu ignorieren; seiner heimatlichen Kultur begegnet er mit Arroganz und Missmut.

 

Hier tritt die Figur eines Afrikaners auf, der sich bis in sein Denken hinein der kulturellen Hegemonie der früheren Kolonialmächte unterwirft. Dagegen hat der verstorbene Guelwaar stets für die geistige Unabhängigkeit seines Volkes gekämpft und dessen Sehnsüchte nach der westlichen Welt kritisiert. Das macht der Regisseur am Beispiel der Sprache deutlich: Französisch wird von Offiziellen verwendet, aber von den meisten Einheimischen nicht verstanden.

 

Mitgründer des FESPACO-Festivals

 

Diese Sprach-Kritik kommt in Sembènes literarischem Werk noch stärker zum Tragen als in seinen Filmen: Er schrieb die meisten seiner zehn Romane und Erzählungs-Bände auf Französisch – sie waren also für die Mehrheit seiner Landsleute nicht zugänglich. Daher wandte er sich dem Kino zu, um mit dem Medium Film ein größeres Publikum zu erreichen als mit seinen Texten.

 

Überdies gründete er 1969 gemeinsam mit dem Franzosen Jean Rouch das FESPACO-Festival; es wird alle zwei Jahre in Ouagadougou veranstaltet, der Hauptstadt von Burkina Faso, und ist bis heute das größte Filmfestival des Kontinents. So hat Sembène das afrikanische Kino geprägt wie kaum ein zweiter Regisseur.

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf