Annette Bening

Jahrhundertfrauen (20th Century Women)

Alle Patchwork-Familien-Mitglieder am Strand: Billy Crudup, Elle Fanning, Annette Bening, Greta Gerwig und Lucas Jade Zumann. Foto: Splendid Film GmbH
(Kinostart: 18.5.) In der vorwiegend weiblichen Patchwork-Familie: Regisseur Mike Mills erinnert sich an sein Aufwachsen unter vier Frauen und einem Alibi-Mann – ein liebevoll gezeichnetes Gruppen-Porträt ganz unterschiedlicher Charaktere in Kalifornien 1979.

„Jahrhundertfrauen“ – dieser Titel lässt eher an eine historische Abhandlung zur Frauenbewegung denken, oder an die Auszeichnung durch irgendeine Institution. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. In Mike Mills‘ Spielfilm geht es um Frauen aus drei Generationen; sie repräsentieren durch ihre Lebenserfahrungen, Einstellungen und Werte zusammen ein ganzes Jahrhundert.

 

Info

 

Jahrhundertfrauen
(20th Century Women)

 

Regie: Mike Mills,

118 Min., USA 2017;

mit: Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning

 

Website zum Film

 

Wie bei seinem zweiten Spielfilm „Beginners“ (2010) – in dem Mills das späte coming out seines Vaters verarbeitete, was Christopher Plummer in dieser Rolle einen Oscar für den besten Nebendarsteller einbrachte – weist auch „Jahrhundertfrauen“ Parallelen zur Biografie des 1966 geborenen Regisseurs und Drehbuchautors auf. Angesiedelt im kalifornischen Santa Barbara Ende der 1970er Jahre, schildert der Film das Heranwachsen eines jungen Mannes unter starken Frauen.

 

Fünf-Personen-Wohngemeinschaft

 

Der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zumann) lebt mit seiner Mutter Dorothea (Annette Bening) und zwei Untermietern, Fotografin Abbie und Schreiner William, in einem Haus, das recht renovierungsbedürftig ist. Die Mittzwanzigerin Abbie (Greta Gerwig) kommt aus New York; sie ist gerade von einer Krebserkrankung genesen. Der Ex-hippie William (Billy Crudup) ist Mitte vierzig und soll Jamie als männliche Bezugsperson dienen. Zum Haushalt zählt außerdem noch Jamies zwei Jahre ältere Sandkasten-Freundin Julie (Elle Fanning).

Offizieller Filmtrailer


 

Herzensbildung den Mitbewohnern anvertrauen

 

Dorothea ist erst mit 40 Jahren Mutter geworden. Sie fühlt, dass ihr Sohn ihr langsam entgleitet und sie seine Welt nicht mehr versteht; deshalb bittet sie ihre Mitbewohner, Jamie an ihrem Leben teilhaben zu lassen und ihm damit beim Erwachsenwerden zu helfen. Als moderne Frau arbeitet sie zwar in einem Männerberuf und erzieht seit der Scheidung ihr Kind allein. Doch mit der Gegenwart, in der punk rock seine erste Hochzeit erlebt und Frauen wie Abbie sich ihre Haare feuerrot färben, kann sie wenig anfangen. Also vertraut sie Jamies Herzensbildung ihren Mitbewohnern an, was mitunter seltsame Blüten treibt.

 

Der Film begleitet diese Figuren einen Sommer lang; ohne lineare Handlung, was mitunter leichte Längen produziert. Eher werden viele Augenblicke aus der Erinnerung miteinander verknüpft: vertraute Gesten am Frühstückstisch, wilde Abende im punk club, lange intensive Gespräche. Die Kamera bleibt dabei meistens auf beobachtender Distanz, bewegt sich aber in wichtigen Situationen auf das Geschehen zu; dieses genaue Hinsehen schafft das Nähe.

 

Menstruations-Streit auf dinner party

 

Den am meisten schillernden Part hat Dorothea; die sehr widersprüchliche Frau tritt mal hart, mal sprunghaft und verletzlich auf, was Annette Bening wunderbar uneitel spielt. Fotografin Abbie führt Jamie mit Platten und Konzertbesuchen in die damals aktuelle Popkultur ein und lässt ihn feministische Literatur lesen. Die von ihm umschwärmte Julie redet freimütig über ihre Eskapaden, trennt Sex eindeutig von Liebe und klettert nachts zum Schlafen in sein Zimmer – erhören will sie ihn aber um ihrer Freundschaft willen nicht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Maggies Plan" – skurrile Tragikomödie mit Greta Gerwig als allein erziehender Mutter von Rebecca Miller

 

und hier eine Besprechung des Films "Regeln spielen keine Rolle" – Hollywood-Sittenkomödie mit Annette Bening von Warren Beatty

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ginger & Rosa" - Coming-of-Age-Drama über Frauenfreundschaft in den 1960er Jahren von Sally Potter mit Elle Fanning.

 

William  als einziger Mann im Haus taugt wenig als Identifikationsfigur. Dennoch funktioniert diese zusammengewürfelte Gruppe wie eine Ersatzfamilie für den Jungen und leistet das, was sich Dorothea wünscht – in ihrer eigenen Kindheit wurden Kinder von der gesamten Nachbarschaft erzogen. Da prallen alte und neue Wertvorstellungen aufeinander, und eine nette dinner party artet in einen absurden Disput über Menstruation aus – arg peinlich für die anwesenden Herren.

 

Liebeserklärung an prägende Frauen

 

All das wird zwar aus Jamies Perspektive erzählt. Doch seine Mutter führt als Stimme aus dem Off in die Geschichte ein und wechselt sich mit ihrem Sohn als Kommentatorin ihres eigenen Lebens ab – etwa so wie auktoriale Erzähler in der Literatur, die stets sowohl Vergangenes als auch Künftiges wissen.

 

So ergibt sich ein umfassendes, liebevoll gezeichnetes Gruppen-Porträt von ganz unterschiedlichen Charakteren. Ihre exemplarisch alltäglichen Biografien bezieht Regisseur Mills auf gesellschaftliche Ereignisse und gibt ihnen damit eine historische Dimension – eben die des 20. Jahrhunderts. Zugleich ist der Film aber auch eine unverhohlene Liebeserklärung an die Frauen, die ihn geprägt haben: Offensichtlich haben sie einen guten job gemacht.