Frankfurt am Main

Magritte – Der Verrat der Bilder

René Magritte: La Lampe philosophique, 1936, Öl auf Leinwand, 46 x 55 cm, Privatsammlung, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt
Poster-Maler der Philosophie: René Magritte war der rationalste aller Surrealisten – seine Denk-Bilder sollten ungeahnte Zusammenhänge aufzeigen. Dass er mit simplen Motiven zum Postkarten-Lieferanten absank, will die Schirn Kunsthalle ändern – vergeblich.

Kaum ein bildender Künstler war im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts so populär wie René Magritte (1898-1967). Eingängige Motive seines Spätwerks – Äpfel, Tauben und Schäfchenwolken vor blauem Himmel oder Silhouetten anonymer Männer mit Melone – wurden auf Postkarten und Plakaten millionenfach verbreitet. Magritte-poster hingen in vielen Jugendzimmern; dazu lief dann sonniger softrock von „Supertramp“ oder Schmusepop von „Barclay James Harvest“.

 

Info

 

Magritte -
Der Verrat der Bilder

 

10.02.2017 - 05.06.2017

täglich außer montags

10 bis 19 Uhr, mittwochs +
donnerstags bis 22 Uhr

in der Schirn Kunsthalle, Römer­berg, Frankfurt/ Main

 

Katalog 35 €,
Begleitheft 7,50 €

 

Weitere Informationen

 

Dass der belgische Surrealist mehr wollte und konnte, als teenager-Träume zu bebildern, ist fast in Vergessenheit geraten. Dagegen argumentiert diese Ausstellung an: Sie will an Magritte als einen der führenden Köpfe der surrealistischen Bewegung erinnern, der mit Pinsel und Farbe anspruchsvolle Thesen über Kunst und Wahrnehmung auf- und darstellte – ein Maler auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit.

 

Deutsch-französische Differenzen

 

Diese Zusammenstellung von 70 durchaus hochklassigen Werken wurde Ende 2016 im Pariser Centre Pompidou gezeigt; die Frankfurter Schirn hat offenbar nur die Wandtexte übersetzt und sie ansonsten praktisch unverändert übernommen. Das erweist sich als Problem: Anstelle von Magrittes theoretischen Ambitionen verdeutlicht sie eher, wie unterschiedlich der Kulturbetrieb in Frankreich und Deutschland ist – und wie schwierig interkulturelle Vermittlung.

Feature mit Impressionen der Ausstellung; © Schirn Kunsthalle


 

Malerei als „Denken, das sieht“

 

Der Höhepunkt der Ausstellung findet sich schon im Treppenhaus, noch vor ihrem Eingang. Da zieren die Wände großformatige Reproduktionen von „Die Wörter und die Bilder“, die Magritte 1929 zur letzten Ausgabe der Zeitschrift La Révolution surréaliste beigesteuert hatte: 18 gezeichnete Bild-Wort-Paare behandeln so tiefsinnig wie humorvoll das wechselseitige Verhältnis von Wort, Bild und Gegenstand – also die elementare Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem.

 

Diese Grundfrage der Semiotik sollte wenig später entscheidend zur Entstehung des Strukturalismus beitragen. Magritte formuliert hier quasi sein eigenes intellektuelles Koordinaten-System. Sein gesamtes Schaffen kann man als facettenreiche Ausformulierung dieser 18 Axiome auffassen: „Meine Malerei ist ein Denken, das sieht.“

 

Launiges potpourri aus elf Abteilungen

 

Davon ist in der Schirn wenig zu sehen. Sie will zwar den geistigen Gehalt in Magrittes Werk herausarbeiten, aber ihr fehlt, was hierzulande als erste Voraussetzung einer überzeugenden Argumentation gilt: ein in sich schlüssiger Aufbau. Anstatt systematisch nachzuzeichnen, wie sich Magrittes 18-Punkte-Axiomatik oder andere Thesen der Philosophie im 20. Jahrhundert in seinen Gemälden niederschlagen, bietet sie ein launiges potpourri aus elf kleinen Abteilungen.

 

Die greifen mal hierhin, mal dorthin aus. Dabei springen sie auf der Zeitachse munter hin und her: von antiken Mythen bis zum poststrukturalistischen Großdenker Michel Foucault, der dem Maler 1973 posthum eine Schrift widmete. Dazu passt der Umgang mit den Exponaten: Magrittes œuvre weist verschiedene Phasen auf, die er sehr unterschiedlich begründete. Abgesehen von der fauvistisch anmutenden période vache („stürmischen Periode“) Mitte der 1940er Jahre verteilen die Macher seine Bilder freihändig im Raum, ohne sich um Chronologie zu scheren.

 

Kein Wort zur Pfeife, die keine ist

 

Was plausibel wäre, würden die Werke das jeweilige Thema illustrieren. Doch das bleibt im Ungefähren: Außer Bildtiteln und seltsam diffusen Wandtexten informiert nichts über die behauptete Verbindung von Magrittes Motiven mit der Geistesgeschichte seiner Epoche. Wer mehr wissen will, muss zum Audioguide oder schmalen Begleitheft für satte 7,50 € greifen: Ausgerechnet bei einem Maler, der wie kaum ein anderer auf der Leinwand Schrift und Text einsetzte, traut man den Betrachtern die Lektüre von Bildanalysen scheinbar nicht zu.

 

Selbst sein berühmtestes Gemälde, das dieser Schau den Titel gab, wird nicht erklärt: Als Magritte erstmals eine Pfeife mit der Aussage „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“) malte, nannte er das „L’Usage de la parole“ („Der Sprachgebrauch“). Alles klar: Ein Ding ist etwas anderes als seine bildliche Darstellung oder verbale Erwähnung. 1929 änderte er den Titel in „La Trahison des images“ („Der Verrat der Bilder“): Das klingt nach vieldeutig schillerndem Misstrauen gegenüber visuellen Medien überhaupt und bedarf der Interpretation. Aber nicht in der Schirn.

 

Verschmelzungs- + collage-Bilder

 

So unkommentiert geht es weiter. Ab Ende der 1920er Jahre malte Magritte Bilder wie „Die gigantischen Tage“ (1928). Vor dunklem Hintergrund ringt eine nackte Frau mit einem bekleideten Mann – er ist nur dort stellenweise zu sehen, wo er in ihre Umrisse passt: Zwei Figuren verschmelzen zu einer zuvor nie gesehenen Gestalt. Ähnlich in „Die Vergewaltigung“ (1945): Im Bildnis einer Blondine füllt ihr nackter Leib die Fläche des Gesichts aus.

 

Später malte er häufig collage-Bilder, etwa in „Megalomanie“ (1962): Vor einem Wolken-Mosaik stecken Teile eines Frauen-Torsos wie Matrioschka-Puppen ineinander. Das Prinzip der collage übernahm Magritte von der „pittura metafisica“ des Surrealismus-Vorgängers Giorgio de Chirico, ebenso dessen Bild-im-Bild-Kompositionen und pseudo-realistische Landschafts-Hintergründe – die sich bei näherem Hinsehen als reines Dekor entpuppen. All diese Stilmittel betonen das Illusionäre von Wahrnehmung – wie auch die Vorhänge, die häufig im Bild auftauchen.

 

Mysterium der Realität verstehen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Traum-Bilder – Die Wormland-Schenkung" – mit Werken des Surrealismus, u.a. von René Magritte, in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung  "Giorgio de Chirico – Magie der Moderne" – Retrospektive der "pittura metafisica" + ihrer Folgen mit Werken von René Magritte in der Staatsgalerie Stuttgart

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Hinter dem Vorhang" über "Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance – Von Tizian bis Christo" im Museum Kunstpalast, Düsseldorf

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Halluzinierte Welt – Malerei am Rande der Wirklichkeit" mit Werken im Stil von René Magritte im Haus am Lützowplatz, Berlin.

 

Dabei verfolgt Magritte weitreichende Absichten: „Ich möchte die Realität so zeigen, dass sie das Mysterium evoziert.“ Womit er kein irrationales Brimborium meint: Überraschende Kombinationen sollen die Betrachter Zusammenhänge in der Welt begreifen lassen, die ihnen zuvor nicht bewusst waren. Dieses Erkenntnisinteresse teilten alle Surrealisten – die Pariser Gefolgsleute von André Breton setzten aber eher auf Traum und psychische Automatismen.

 

Von all dem ist in der Schirm kaum die Rede: Die Wandtexte verbreiten sich lieber über Magrittes Korrespondenz mit fast vergessenen Schulphilosophen. Oder ausführlich über Platons Höhlengleichnis – allerdings ohne dessen Ideenlehre zu erwähnen, die sein Verdikt von Kunst als minderwertiger Sinnestäuschung erst verständlich macht. Da zeigt sich der kulturelle Abstand beider Ausstellungs-Stationen: In Frankreich ist Philosophie ein Gymnasial-Pflichtfach – Kuratoren können beim Durchschnitts-Besucher mehr Vorwissen voraussetzen.

 

Auf skurrile Rätselbilder reduziert

 

Zugleich schwadroniert man im dortigen Kulturbetrieb gern blumig voller gelehrter Anspielungen über allerlei, ohne sich auf eindeutig nachvollziehbare Aussagen festzulegen. Diese Kunst des vagen Imponier-Vokabulars wird nun in der Schirn zelebriert – paradoxerweise beim rationalsten aller Surrealisten, der für seine Arbeiten meist präzise Bildaufbau-Regeln und Deutungshilfen nennen konnte.

 

Das tut ihm Unrecht: Anstatt die Komplexität seiner Denk-Gemälde zu entschlüsseln, wird Magritte abermals auf einen Produzenten skurriler Rätselbilder reduziert – eine reiche Postkarten-Auswahl gibt’s am souvenir-Stand.