Düsseldorf

Otto Dix: Der böse Blick

Otto Dix: Liegende auf Leopardenfell (Detail), 1927, Herbert F. Johnson Museum of Art, Ithaca, NY, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016.
Karriere-Kick im Rheinland: Ab 1921 wurde Otto Dix in Düsseldorf zum Star-Künstler. Sein virtuoser Antikriegs- und Erotik-Horror spottet jeder "Neuen Sachlichkeit" – das zeigt eine spektakuläre Gedenkschau zum 125. Geburtstag in den Kunstsammlungen K20.

Der Janusköpfige: Wohl kein Künstler hat das heutige Bild von den „Goldenen Zwanziger Jahren“ stärker geprägt als Otto Dix (1891-1969). Indem er gleichermaßen ihre Licht- und Schattenseiten beleuchtete: einerseits psychologisch scharfsichtige Auftrags-Porträts und Gesellschafts-Szenen voller glamour, andererseits ungeschönte Momentaufnahmen von Halbwelt und Gosse. Oft beides zugleich auf einem Bild, mit unglaublicher Energie: Er hinterließ Hunderte von Gemälden und mehr als 6000 Zeichnungen.

 

Info

 

Otto Dix: Der böse Blick

 

11.02.2017 - 28.05.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr

in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20,  Grabbeplatz 5, Düsseldorf

 

Katalog 34 €

 

Weitere Informationen

 

Da liegt nahe, dass sich die Gedenkausstellungen zum 125. Geburtstag auf einzelne Aspekte seines Riesenwerks beschränken. Das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen am Bodensee, wo Dix ab 1933 bis zu seinem Tod lebte, zeigte bis Ende April aus eigenen Beständen einen Querschnitt mit Betonung des Spätwerks. Das Otto-Dix-Haus in seiner Geburtsstadt Gera bot bis Ende März eine kleine Sonderschau mit Silberstift-Zeichnungen.

 

In vier Jahren vom Talent zum Star

 

Die interessanteste Werkphase haben sich die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen K20 ausgesucht. „Otto Dix: Der böse Blick“ konzentriert sich nicht nur aus Lokalpatriotismus auf seine Düsseldorfer Jahre: Sie waren für seine Entwicklung und Karriere entscheidend. Als Dix im Herbst 1921 erstmals an den Rhein kam, war er ein mittelloses Nachwuchstalent. Als er vier Jahre später mit Frau Martha und Tochter Nelly nach Berlin umzog, hatte er sich zum umstrittenen Star-Künstler gemausert, der dauernd im Gespräch und gut im Geschäft war.

Diashow: Werke von Otto Dix; © inesvigo


 

Entweder berühmt oder berüchtigt

 

Genau das hatte er sich von der rheinischen Kunstszene erhofft. Den gesamten Ersten Weltkrieg hatte Dix als Soldat an der Front verbracht; dort war er Zeuge zahlloser Gräuel geworden, die er später in verstörende Bilder bannen sollte. Nach Kriegsende studierte er in Dresden an der Kunstakademie, trat als Bürgerschreck auf und probierte expressionistische, kubofuturistische Formen und Dada aus. Umsonst: „Ich kumm uff keinen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich! Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt“, klagte er 1920.

 

Sein Maler-Freund Conrad Felixmüller vermittelte ihn an Johanna Ey in Düsseldorf; die frühere Bäckerin scharte junge Künstler um sich und handelte erfolgreich mit ihren Werken. Sie verschaffte ihm seinen ersten Auftrag: Während er den Arzt Hans Koch porträtierte, verliebte sich Dix in dessen Ehefrau Martha. Beide heirateten bald darauf – und blieben mit Dr. Koch eng befreundet.

 

Kampfvokabel „Neue Sachlichkeit“

 

Im Herbst 1922 ließ sich das Paar endgültig in Düsseldorf nieder. Das neue Umfeld beflügelte Dix‘ Produktivität: In nur zwei Jahren schuf er allein rund 400 Aquarelle – mehr als in seinem übrigen Leben. Zudem eignete sich Dix an der Akademie grafische Techniken wie Ätzradierung und Aquatinta an. Damit erstellte seinen legendären Radierungs-Zyklus „Der Krieg“ aus 50 Blättern – neben Goyas „Desastres de la Guerra“ (1810/4) wohl die schonungslosesten Darstellungen seiner Grausamkeiten, die je zu Papier gebracht worden sind.

 

Mit unbarmherzigem Blick auf alles, was ihn umgab, hielt er auch ziviles Leben fest. In Düsseldorf löste sich Dix von den Bildformeln der Avantgarden und fand zu seinem eigenen Stil. Kühler Kopf, klare Linie, klare Kante – ab 1925 hieß das „Neue Sachlichkeit“. Aus heutiger Sicht fällt auf, dass dieser Begriff allein als Kampfvokabel gegen vorangegangene Experimental-Exzesse taugte. Auch wenn Dix behauptete, er habe sie erfunden: Dieses Etikett charakterisiert sein Werk völlig unzulänglich.

 

Leben ohne Verdünnung

 

Es bleibt stets figurativ, aber nur bei den Auftragsarbeiten nüchtern. Alles andere – ob Großstadt-Schlaglichter der Weimarer Republik oder altmeisterliche Sakral-Panoramen des Spätwerks – ist durch Dix‘ Lust an Groteskem, Theatralik und Pathos geprägt. Kein Wunder bei diesem Selbstbekenntnis: „Ich brauche die Verbindung zur sinnlichen Welt, den Mut zur Hässlichkeit, das Leben ohne Verdünnung.“ Was wäre daran sachlich?

 

Das führt diese Ausstellung mit rund 200 Gemälden und Grafiken mustergültig vor; sinnvollerweise reicht die Werkauswahl bis Ende der 1920er Jahre. Der Rundgang durch den verwinkelten parcours gleicht einer Geisterbahnfahrt: An jeder Ecke wartet ein neuer Aha- oder Schock-Effekt. Angefangen mit den Porträts: Es gibt ein paar Bildnisse mit würdevollen Fabrikanten in gemessenen Posen. Doch die meisten Dargestellten scheinen unter schlimmen Krankheiten und/oder Wahnsinn zu leiden: glühend hervorquellende Augen, gichtig verkrümmte Finger und messerscharf eingekerbte Falten lassen sie wie zombies aussehen.

 

Brutaler als gangsta rapper aussehen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" als Vergleich der Werke von Otto Dix + Max Beckmann in der Hypo-Kunsthalle, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Menschliches – Allzumenschliches" über die Kunstströmung der Neuen Sachlichkeit im Lenbachhaus, München

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Conrad Felixmüller – Zwischen Kunst und Politik" - große Werkschau des neusachlichen Malers und Freundes von Otto Dix in Chemnitz, Bietigheim-Bissingen + Hamburg

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Rudolf Schlichter – Eros und Apokalypse" - Retrospektive des Malers der Neuen Sachlichkeit in Koblenz + Halle/ Saale.

 

Man rätselt, welcher damalige Zeitgeist den Porträtierten eingeflüstert hat, sie würden adäquat abgebildet. Oder über das Selbstverständnis eines Künstlers, dessen Konterfei aus gestriegelten Drahthaaren, Eisenfresser-Kinn und Neandertaler-Augenbrauenwulst gewissenloser und brutaler aussieht als das jedes heutigen gangsta rapper.

 

Seinen bösen Blick richtete Dix auch auf die Sphäre des Sinnlichen: Eine schier endlose Parade schäbiger Bordell-interieurs mit speichelnden Freiern, verlebten Puffmüttern und aus dem Leim gegangenen Vetteln zieht am Betrachter vorbei. Akzentuiert von Lustmord-Szenen, die es an Scheußlichkeit mit jedem splatter movie aufnehmen. Dafür wurde Dix 1923 gleich zwei Mal vor Gericht gestellt; seine Erklärung, solche Drastik solle vor Sittenverfall warnen, verhalf ihm zu Freisprüchen. Zurecht: Abstoßender lässt sich käuflicher Sex kaum darstellen.

 

Kaleidoskop der Spiegelscherben

 

Er war nicht der einzige Horror-Erotiker seiner Zeit. Ähnliche sujets malte etwa Rudolf Schlichter, Atelier-Partner von George Grosz: Sadomasochismus und Stiefel-Fetischismus in akkurater Manier und süßlichen Farben, die derlei wie perverse Kinderbuch-Illustrationen wirken lassen. Dagegen entlockte Dix seiner Erotomanie nie gesehene Ansichten: Wild wogende Farbflächen werden von barock schwingenden Umrissen eingedämmt. Fahle Schattierungen dämpfen schreiende Farbkontraste – ein Fest der entfesselten Imagination.

 

„Rastloses Pendeln zwischen Anteilnahme und Distanz“ nennt Karsten Müller im Katalog dieses Verfahren: „Dix‘ kaleidoskopische Kunst fügt eine Welt aus Spiegelscherben, die Wirklichkeit reflektieren: verführerisch schimmernd und gebrochen zugleich.“ In diesen Scherben kann sich auch unsere Gegenwart spiegeln, die sich ratlos über die Trümmer zerbrochener Gewissheiten beugt: Dix‘ Januskopf blickt in Vergangenheit und Zukunft zugleich.