Terrence Malick

Song to Song

New-Wave-Legende Patti Smith (li.) und Faye (Rooney Mara) musizieren gemeinsam. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 25.5.) Sex, Drugs, but no Spirit of Rock 'n' Roll: Regie-Einzelgänger Terrence Malick kommt an die Grenzen seiner Stilmittel – großes Star-Aufgebot, rastlos schweifende Kamera und innere Monologe können Liebeshändel unter Musikern kaum darstellen.

Die drei Kino-Karrieren des Terrence Malick: Als 30-Jähriger wurde er 1973 mit seinem Debütfilm „Badlands“ über ein Killer-Pärchen in Nebraska schlagartig berühmt – das Publikum war überwältigt von nie zuvor gesehenen Landschafts-Bildern. Was Malick 1978 bei „In der Glut des Südens“ weiter radikalisierte: Er filmte ausschließlich bei Morgen- und Abendrot, so dass die Dreharbeiten eine kleine Ewigkeit dauerten.

 

Info

 

Song to Song

 

Regie: Terrence Malick,

129 Min., USA 2017;

mit: Ryan Gosling, Rooney Mara, Michael Fassbender, Natalie Portman, Cate Blanchett

 

Weitere Informationen

 

Danach genehmigte sich Malick eine der längsten Auszeiten der Kinogeschichte. Nach 20 Jahren kehrte er 1998 mit „Der schmale Grat“ („The Thin Red Line“) zurück, einem eher konventionellen Kriegsfilm über das Weltkriegs-Gemetzel auf der Pazifik-Insel Guadalcanal. Sein vierter Film „The New World“ (2005) über die legendäre Indianer-Prinzessin Pocahontas geriet recht betulich und prätentiös.

 

Alle wollen mit Malick arbeiten

 

Erneut verschwand Malick von der Bildfläche und gönnte sich eine kreative Pause. Jeden anderen hätte das gnadenlos auf Effizienz getrimmte Hollywood vermutlich längst aussortiert. Doch ihrem wunderlichsten Regie-Exzentriker verzeiht die Traumfabrik offenbar alles. Berühmte star-Schauspieler stehen Schlange, um mit ihm arbeiten zu können; er gilt als genialer Improvisations-Künstler, der schon mal komplette Drehbücher verwirft, um entscheidende Augenblicke in aller Spontaneität festzuhalten.

Offizieller Filmtrailer


 

Irrlichternde Kamera wie Blick selbst

 

So entstand von 2008 bis 2011 „The Tree of Life“ – als Auftakt der dritten Werkphase von Terrence Malick. Die leicht verquaste story, die eine Familientragödie aus den 1950er Jahren in Anfang und Ende des Universums einbettete, war Geschmackssache. Doch ihre Darstellung einzigartig: mit einer nie still stehenden Kamera, die allzeit im Raum irrlichtert wie der menschliche Blick selbst; ergänzt durch sparsame Dialoge, schwelgerische Musik oder vergrübelt räsonierende Off-Kommentare.

 

In der streng durchformatierten Filmbranche ist es diesem Regisseur noch einmal gelungen, eine ganz neue und ausdrucksstarke Bildsprache zu finden – allein das war schon die „Goldene Palme“ in Cannes 2011 wert. Mit seinem trademark-Stil hat Malick seither rasch nacheinander eine Natur-Doku und drei weitere Spielfilme gedreht: „To the Wonder“ (2012) war eine Allegorie auf Entstehen und Vergehen der Liebe, „Knight of Cups“ (2015) eine Vivisektion der postmodernen Sinnleere und Depression. Und nun also „Song to Song“ – mit einem selbst für seine Verhältnisse enormen star-Aufgebot.

 

Rock stars als willkommener Beifang

 

Neben Berühmtheiten wie Michael Fassbender, Ryan Gosling, Rooney Mara, Natalie Portman und Cate Blanchett treten auch diverse rock-Größen auf. Iggy Pop gibt sich abgeklärt, Patti Smith geistert als altersweise grand old squaw durch etliche Passagen, Sänger Anthony Kiedis und Bassist Flea von den „Red Hot Chili Peppers“ balgen sich vor laufender Kamera; selbst punk-Opa John Lydon, besser bekannt als Johnny Rotten von den „Sex Pistols“, haut ein paar Provo-Sprüche raus.

 

Alle waren offenbar willkommener Beifang bei Außenaufnahmen auf drei großen open air rock festivals in Austin – Malick wohnt in der texanischen Hauptstadt. In deren Musikszene siedelt er „Song to Song“ an: Fassbender spielt den erfolgreichen rock manager Cook, der sich Rooney Mara als Nachwuchs-Musikerin Faye angelt. Sie verliebt sich in Ryan Gosling als aufstrebenden songwriter BV, der bei Cook unter Vertrag ist und von ihm gelinkt wird.

 

In malerischer Sonnenuntergangs-Sackgasse

 

Der Manager verführt Natalie Portman als diner-Kellnerin, BV bändelt mit der mondänen Amanda (Cate Blanchett) an; weitere Schönheiten beiderlei Geschlechts bevölkern die Kulissen. Dreiecksbeziehung mit Irrungen und Wirrungen, Geturtel, Sex und Streitereien – nach gut zwei Stunden zieht sich BV mit Faye in die Provinz und ein schlichtes Arbeiter-Dasein zurück. Womit der Film in einer malerischen Sonnenuntergangs-Sackgasse landet.

 

Dabei demonstriert Regisseur Malick unfreiwillig, wofür seine trademark-Stilmittel nicht taugen. Rastlos umher schweifende steadycam-Kamerafahrten veranschaulichen blendend radikal subjektive Perspektiven, ebenso nachdenkliche innere Monologe auf der Tonspur. Beides imitiert vorzüglich, wie jeder stets seine Außenwelt wahrnimmt: als kontinuierlichen, bruchstückhaft reflektierten stream of consciousness.

 

Zum dritten Mal rich and beautiful

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Knight of Cups“ – assoziatives Sinnsucher-Drama von Terrence Malick mit Natalie Portman

 

und hier einen Bericht über den Film “To the Wonder” – einzigartig eigenwilliges Liebes-Drama von Terrence Malick mit Ben Affleck

 

und hier einen Beitrag über den Film "La La Land" - vielfach Oscar-prämiertes Neo-Musical von Damien Chazelle mit Ryan Gosling 

 

und hier eine Kritik des Films "Shame" – Porträt eines Sex-Süchtigen von Steve McQueen mit Michael Fassbender.

 

Das eignet sich bestens für Reflexionen über die Mechanik der Liebe in „To the Wonder“ oder Sinnsuche in „Knight of Cups“. In „Song to Song“ geht es aber um zwischenmenschliche Interaktion: was Personen zueinander bringt, füreinander begeistert, miteinander verbindet oder voneinander trennt. Die Sphäre der Blicke, Gesten, Kose- und Widerworte kann man durch noch so differenzierte Introspektion kaum ergründen; ausschlaggebend sind nicht eigene Wünsche und Ängste, sondern die Reaktion des Gegenüber.

 

Zudem siedelt Malick nun schon zum dritten Mal in Folge seinen Film im Milieu der rich and beautiful an: Alle müssen nie arbeiten, schöpfen ständig aus dem Vollen, und immer lacht die Sonne. Diese leisure class-Versuchsanordnung erscheint auf Dauer arg künstlich – umso mehr, wenn ein 74-jähriger Regisseur auch noch den true spirit of rock ’n‘ roll einfangen will. Den bekommt sein Film trotz Gitarrenlärm und obskurer Drogen vom schrägen dealer keine Sekunde lang zu fassen. Wortreiche Beschwörungen seines Freiheitsversprechens bleiben bloßes Gerede, wilde Konzert- und party-Szenen wirken so beliebig wie music video clips.

 

Meditationen über Kerker des Selbst

 

Dass er sich ausgerechnet an seinem Heimatort thematisch verrannt hat, scheint Malick bewusst zu sein. Sein nächster Film „Radegund“ ist wieder einem isolierten Individuum gewidmet: Der Österreicher Franz Jägerstätter, ein Kriegsdienst-Verweigerer aus Glaubensgründen, wurde 1943 von der NS-Justiz hingerichtet. Im Zuchthaus von Brandenburg an der Havel – ein passender Schauplatz für filmische Meditationen über den Kerker des Selbst.