Benny Boom

All Eyez On Me

Tupac Shakur (Demetrius Shipp Jr.) genießt sein Leben als Hip-Hop-Superstar. Foto: © 2017 Constantin Film
(Kinostart 15.6.) Zwischen Knast, Shakespeare und Schampus: Das kurze, schnelle Leben von Tupac Shakur alias 2Pac schildert Regisseur Benny Boom als modernes Helden-Epos von Aufstieg und Fall – eine Hommage an einen der einflussreichsten Rapper aller Zeiten.

Bigmouth strikes again: Nach Filmbiographien über den 1996 ermordeten Rapper Notorious B.I.G. (großartig: Jamal „Gravy“ Woolard) und die Rap-Combo NWA wird nun der ebenfalls 1996 erschossene Rap-Künstler 2Pac alias Tupac Shakur Held eines biopic. Wie sein Freund und späterer Erzfeind Notorious B.I.G. alias Biggie Smalls war Tupac ein begnadeter Stilist, der rap als Kunstform seinen eigenen, melodiösen Stempel aufdrückte.

 

Info

 

All Eyez on me

 

Regie: Benny Boom,

137 Min., USA 2017;

mit: Demetrius Shipp Jr., Danai Gurira, Jamal Woolard

 

Website zum Film

 

Wie NWA gehörte er zu jenen, die hip hop mit ihrer Variante des gangsta rap in den 1990er Jahren zum Millionengeschäft machten und damit die Weichen für die Zukunft stellten. Mit den Morden an Tupac und Biggie Smalls hatte hip hop endgültig seine jugendliche Unschuld verloren; keine Figur verkörperte diesen Scheideweg besser als Tupac Shakur, der in diesem Film von Demetrius Shipp Jr. dargestellt wird.

 

East coast oder west coast?

 

Der rapper hätte, das legt auch der Film von Regisseur Benny Boom eindringlich nahe, ein respektierter Repräsentant seiner community werden können. Er hätte das anstrengende rap business, wie seine Kollegen Common oder Ice Cube, gegen eine einträgliche Schauspielkarriere tauschen können. Stattdessen ließ er sich hineinziehen in eine medial befeuerte east coastwest coast-Konkurrenz, die mehreren Menschen das Leben kostete und nach der das Geschäft bis auf weiteres in die Hände von Leuten wie Sean „Puff Daddy“ Combs, Jay-Z und Kanye West fiel – die es zum mega business ausbauten.

Offizieller Filmtrailer


 

Tribut an die Mutter

 

Der offenbar in Absprache mit der Familie und den Rechteinhabern entstandene Film versucht, diesen tragischen Konflikt herauszuarbeiten. „All Eyez on Me“ holt hinter „2Pac“, dem von der Boulevardpresse hochstilisierten Paten des thug life („Schurken-Daseins“) jenen Tupac hervor, den jeder gerne über seine dunkle Seite hätte triumphieren sehen. Er war ein talentierter Schauspieler und Shakespeare-Kenner, der Autor von klarsichtigen und empathischen Songs wie „Brenda’s Got A Baby“ und „Dear Mama“. Letzteren widmete er seiner alleinerziehenden Mutter, der Black Panther-Aktivistin Afeni Shakur, deren Bedeutung für Tupacs Charakter im Film viel Platz eingeräumt wird. 

 

In ungeklärten oder strittigen Fragen – es geht um Schießereien, Verträge, wer wen zuerst wie beleidigte sowie einen Vergewaltigungsfall – ergreift das Drehbuch offensichtlich für den verlorenen Sohn Partei. Dabei stützt sich der erste Teil der Erzählung auf ein interview, dass Tupac im Jahr 1995 im Gefängnis gab. Die historischen Details der ersten Filmhälfte sind demnach als seine eigene Sicht auf die Dinge zu verstehen.

 

Alleine gegen die Welt

 

Dennoch verschonen die Fragen des Journalisten Tupac nicht. Vielmehr bekommt man einen Eindruck, wie Tupacs schnelle, steile Karriere durch die Augen seiner Familie oder enger Freunde ausgesehen haben mag. Die sehen ihren schönen, talentierten Bruder, Freund und Sohn, der in seinem ersten music video clip noch in afrikanischem Häuptlingskostüm posierte, abrutschen in einen Sog aus Gerichtsverhandlungen, Künstlerverträgen und den Verlockungen des Reichtums. Dazu kommt eine Privatfehde mit der Polizei, eine „Ich gegen die Welt“-Attitüde mit Jesus- und Machiavelli-Referenzen, die sich – wie der Titel nahelegt – durch sein ganzes Werk zieht; und vor allem: falsche Freunde. Trittbrettfahrer, bodyguards, Zuhälter, dealer und Gelegenheitsräuber, die eine Atmosphäre der Gewalt und des Machismo um ihn herum erzeugten, der er sich einfach nicht entziehen konnte.

 

Das ist so nachvollziehbar wie tragisch und wird zumindest von den Hauptrollen überzeugend vermittelt, allen voran vom newcomer Demetrius Shipp Jr. Auch Tupacs Jugendfreundin Jada Pinkett, heute verheiratet mit dem Schauspieler Will Smith, die star rapper Dr. Dre und Snoop Dogg sowie „Suge“ Knight, mephistophelischer Label-Boss von „Death Row Records“ treten auf. Um alle Details zu verstehen, sind allerdings, wie bei jedem rap song jener Zeit, etwas Vorkenntnisse vonnöten. Der Film hat seine eigene Codierung, die sich zusammensetzt aus historischen, zum Teil noch lebenden Figuren, verbürgten und spekulativen Ereignisverläufen und einer genauen Rekonstruktion des looks der 1990er Jahre.

 

Wie im Mafiafilm

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Get on up – Die James Brown Story" - tolles groovy funky Biopic über den Godfather of Soul von Tate Taylor

 

und hier eine Besprechung des Films "Marley" – fesselnde Doku über die Reggae-Ikone Bob Marley von Kevin Macdonald

 

und hier einen Beitrag über den Film "BB King – The Life of Riley" – informatives Doku-Porträt der Blues-Legende von Jon Brewer.

 

Während Sean „Puff Daddy“ Combs sich wahrscheinlich im Vorfeld gegen eine unvorteilhafte Darstellung abgesichert hat, muss Dominic L. Santana als „Suge“ Knight allein die Rolle des Bösewichts auf seinen Schultern tragen; kein Problem bei dieser filmreifen Figur. Seine mittlerweile zum Klischee geronnene Figur eines hip hop-Plattenbosses zitiert dabei lustvoll noch ältere Klischees: dinner parties und Demütigungen seiner Mitarbeiter inszeniert er wie Szenen eines Mafia-Films von Brian De Palma. Unglaublich – aber laut den enthüllungsjournalistischen Film-Dokus und Büchern zum Thema soll es wohl so gewesen sein.

 

Die Schluss-Sequenz, die gnadenlose auf das tödliche Ende zusteuert, erinnert an die großen Gangsterdramen von Martin Scorsese („Mean Streets“, „Goodfellas“) und De Palma („Carlito’s Way“, „Scarface“). Selten ließ sich in einem Spielfilm besser beobachten, wie der Lebensstil von gangsta rap stars die medialen Versatzstücken des Hollywoodfilms imitiert – bis in den Tod. „All Eyez on Me“ erzählt nicht nur von dem Paradigmenwechsel, der das golden age des Rap beendete, sondern auch ein weiteres Kapitel der alten amerikanischen Erzählung vom Aufstieg um jeden Preis.