Ethan Hawke

Born to be Blue

Chet Baker (Ethan Hawke) bei einem Auftritt. Foto: Alamode Film
(Kinostart: 8.6.) Eight Miles High: Der Trompeter Chet Baker war eine Ikone des 50er-Jahre- Cool-Jazz – die an der Nadel hing. Sein Achterbahn-Leben verfilmt Regisseur Robert Budreau als bestechendes Psychogramm eines Opfers himmelstürmender Ambitionen.

Let’s get lost: Was haben Billie Holiday, Charlie Parker, John Coltrane, Stan Getz und Miles Davis gemeinsam? All diese Jazz-Ikonen waren mehr oder weniger lange heroinabhängig; bei Holiday und Parker führte das zu ihrem frühen Tod. Schon in den 1950er Jahren hing jeder zweite namhafte Jazzer an der Nadel; 1955 verließ der Pianist Russ Freeman das „Chet Baker Quartet“, weil er von lauter junkies umgeben war.

 

Info

 

Born to be blue

 

Regie: Robert Budreau,

97 Min., Kanada/ Großbritannien 2015;

mit: Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie

 

Website zum Film

 

In seinem brillanten freestyle biopic spielt der kanadische Regisseur Robert Budreau nicht etwa die Heroinsucht von Chet Baker (1929-1988) herunter oder kaschiert sie, sondern lässt sie gleichsam den Film strukturieren: als fataler roter Faden im Achterbahn-Leben des Ausnahme-Trompeters. Zu Beginn wird Baker (Ethan Hawke) 1966 aus der Haft wegen Drogenvergehens geholt: Ein Produzent will einen Film über die Jazz-Legende drehen, in dem er selbst die Hauptrolle übernehmen soll.

 

Zahnprothese nach Schlägerei nötig

 

Gedreht werden Szenen seines ersten Auftritts im New Yorker „Birdland“ 1954: on stage messerscharfe Soli, backstage Sex mit einem groupie und der erste Schuss. Er und seine Film-im-Film-Partnerin Jane (Carmen Ejogo) kommen sich auch privat näher, doch ihre Leinwand-Träume währen nicht lange: Ein Ex-dealer schlägt Baker die Zähne aus, so dass er fortan eine Prothese tragen muss – für einen Trompeter so katastrophal wie zertrümmerte Hände für einen Pianisten.

Offizieller Filmtrailer


 

Schlicht gestrickter Monomane

 

Beide Episoden verliefen tatsächlich etwas anders: Aus dem Filmprojekt des Italo-Magnaten Dino de Laurentiis wurde nichts, und über die Gründe für Bakers Kiefer-Probleme kursieren mehrere Versionen – vermutlich entstanden sie durch Drogenmissbrauch. Doch dieses live fast, die young-Schema, zu dem Regisseur Budreau sie komprimiert, entspricht passgenau dem Ideal von Cool Jazz, das Chet Baker um 1955 herum verkörperte wie kaum ein anderer: Seine Plattenfirma vermarktete ihn als „James Dean des Jazz“.

 

Was man Ethan Hawke sofort abnimmt: Er löst sich völlig von seinem üblichen Rollenfach eines verhuschten everybody’s darling der Alternativ-Kultur und spielt eine ganz andere Seite aus. Monomanisch auf Musik und Karriere fixiert, gierig alle kicks mitnehmend, die sich ihm bieten, ansonsten ziemlich unbedarft durchs Leben taumelnd, kommt er eher unsympathisch daher. Dabei lässt Hawke keinen Zweifel daran, dass seine Figur von recht schlichtem Gemüt ist.

 

Qualvolle Erinnerung an hour of glory

 

Welcher fan will schon den Menschen hinter dem Mythos sehen – und den Preis, den er dafür zahlt? Genau darauf richtet der Regisseur sein Augenmerk. Es geht los mit Bakers Absturz, seine einstigen Triumphe werden als bekannt vorausgesetzt; der restliche Film handelt von seinen verzweifelten Bemühungen, halbwegs wieder an frühere Erfolge anzuknüpfen.

 

Ein comeback als Lebensaufgabe: Das spottet nicht nur dem Siegeszug-Schema, nach dem die meisten biopics gestrickt sind. Es macht auch brutal deutlich, wie kurz jede hour of glory ist – und wie qualvoll die jahrzehntelange Erinnerung daran. Etliche stars wissen, dass sie längst verblasst sind; offen bleibt nur, ob sie je zu einer revival gala eingeladen werden.

 

Wiederaufstieg über Pizzeria

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "La La Land" – vielfach Oscar-prämiertes, jazziges Neo-Musical von Damien Chazelle mit Ryan Gosling 

 

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und hier einen Bericht über den Film "Inside Llewyn Davis" – tragikomisches Porträt eines erfolglosen Folk-Musikers 1961 von Joel + Ethan Coen

 

und hier einen Beitrag über die Doku “BB King – The Life of Riley“ – Porträt der Blues-Legende von Jon Brewer.

 

Bei Baker sieht es zunächst nicht danach aus, als werde er je wieder auf einer Bühne stehen. Er muss Methadon nehmen und seinem Bewährungshelfer gehorchen; er schlägt sich mit Handlanger-jobs durch und wohnt mit Jane in einem trailer an der West Coast. Beide haben von seinen Eltern nichts zu erwarten: Als sie die Provinzler in Oklahoma besuchen, wird Chets farbige Partnerin anfangs von ihnen ignoriert. Janes Eltern sind von dem verkrachten Musiker ebenso wenig angetan.

 

Immerhin übt Baker diszipliniert. Bald kann er sonntags mit einer Amateur-Combo in einer Pizzeria mithalten, dann darf er beim Plattenproduzenten Richard „Dick“ Bock (Callum Keith Rennie) als Studiomusiker aushelfen. Nach Jahren scheint er zur alten Form aufzuschließen, so dass ihm Kollegen/Konkurrenten wie Dizzy Gillespie und Miles Davis ihr Ohr leihen. Dieser Wiederaufstieg verläuft schlingernd und stolpernd; Bakers finales Konzert im „Birdland“ wird keine strahlende Reminiszenz ans erste, sondern eine düster verschattete.

 

High für Impro-Höhenflüge

 

Ob sich all das genau so zugetragen hat – who knows, who cares? Regisseur Budreau liegt nicht daran, Bakers Laufbahn zu rekonstruieren; er spart die letzten beiden Dekaden einfach aus. Stattdessen entwirft er das bestechend klare Psychogramm eines Musikers, der Opfer seiner Ambitionen im show business wird – dafür genügten damals jazz clubs mit wenigen Hundert Zuhörern. Doch ihre Erwartungen waren so riesig wie bei heutigen Mega-Festivals: Wie soll sich ein Trompeter allabendlich zu Höhenflügen der Improvisation aufschwingen, ohne high zu sein?