Fernando Muraca

Das Land der Heiligen – La Terra dei Santi

Pasquale Raso (Marco Aiello) wird ein Opfer von 'Ndrangheta-Machtkämpfen. Foto: Kairos Filmverleih
(Kinostart: 22.6.) Verbissen, erfolgreich, weiblich: Regisseur Fernando Muraca gewinnt dem Mafia-Filmgenre eine neue Facette ab. Er beobachtet mächtige Paten der kalabrischen 'Ndrangheta aus Sicht ihrer Frauen – mit vielen Klischees, aber guten Darstellern.

Die Mafia ist eine der brutalsten Organisationen der Welt – und das größte Unternehmen Italiens: Rund 50 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet allein die kalabrische ‚Ndrangheta pro Jahr. Von solchen Zahlen kann die italienische Filmindustrie nur träumen. Dabei gehört die Mafia zu den beliebtesten Filmthemen der Welt.

 

Info

 

Das Land der Heiligen -
La Terra dei Santi

 

Regie: Fernando Muraca,

89 Min., Italien 2015;

mit: Valeria Solarino, Lorenza Indovina, Ninni Bruschetta

 

Weitere Informationen

 

„Der Pate“ (1972) von Francis Ford Coppola, „Scarface“ (1983) von Brian DePalma und „Goodfellas“ (1990) von Martin Scorsese gehören zu den großen Klassikern der amerikanischen Filmgeschichte. Auch italienische Regisseure erzählen gerne von der Mafia: Im politischen Kino der 1960/70er Jahre waren das Francesco Rosi („Hände über der Stadt“, 1963) und Elio Petri („Zwei Särge auf Bestellung“, 1967) – in jüngerer Zeit Matteo Garrone, der 2008 mit „Gomorrha“ Roberto Savianos gleichnamigem Roman verfilmte oder zuletzt Francesco Munzi mit „Schwarze Seelen“ (2014).

 

Fokus auf Frauen

Die Theatralität ihrer Rituale, ihrer Machtdemonstrationen und der unbedingten familiären Loyalität inmitten von Gewalt macht die Mafia zu einem äußerst dankbaren Thema für filmisches Erzählen. Gibt es da überhaupt noch etwas Neues zu zeigen? Das Neue an „Das Land der Heiligen“ von Fernando Muraca ist der Fokus auf die Frauen. Der Film wird ausschließlich aus der Perspektive der drei weiblichen Hauptfiguren erzählt: Caterina (Lorenza Indovina), Assunta (Daniela Marra) und Vittoria (Valeria Solarino).

Offizieller Filmtrailer


 

Gewaltspirale durchbrechen

 

Jede von ihnen steht in einem anderen Verhältnis zur ‚Ndrangheta. Caterina ist die Frau eines Mafiabosses und Assunta ihre jüngere Schwester; sie wird gleich zu Beginn des Films mit dem Bruder ihres getöteten Ehemannes zwangsverheiratet. Dagegen hat sich die Staatsanwältin Vittoria vorgenommen, den Familienstrukturen der Organisation endlich mit der ganzen Härte der Justiz zu begegnen.

 

Um das zu erreichen, konzentriert sich Vittoria gezielt auf die Frauen. Sie droht, die Kinder der Schwestern, Mütter, Töchter und Ehegattinnen der Mafiabosse in staatliche Obhut zu nehmen, wenn sie diese nicht vor dem kriminellen Einfluss schützen; so will sie das Schweigen der Mafia-Frauen brechen. Und erreichen, dass sie ihre Kinder über die Loyalität zur Familie stellen und der Staatsanwältin dabei helfen, die Bosse einzusperren. Um auch endlich der Ohnmacht und Gewaltspirale zu entkommen, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird.

Konventionelle Filmästhetik

Ob Vittoria damit Erfolg hat, ist zur Beurteilung des Films nicht so wichtig. Ebenso wenig die Tatsache, dass Vittorias Umgang mit ihren Kollegen allzu oft an einen schlechten „Tatort“ erinnert: jede Menge Klischees, wenig neue Einfälle. Störender wirkt, dass die Filmästhetik so konventionell bleibt. Die Musik passt zum Fernsehfilm-Stil der Polizei-Szenen: Wenn es spannend wird, unterstreicht sie die Spannung; wird es traurig, unterstreicht sie die Trauer. Ambivalenzen haben wenig Platz.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Tu Nichts Böses - Non essere cattivo" – packende Drogenmilieu-Sozialstudie aus Ostia von Claudio Caligari

 

und hier einen Bericht über den Film "Die süße Gier – Il Capitale Umano" – norditalienisches Familien-Drama + Sittengemälde von Paolo Virzì 

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mediterranea" – authentisches Flüchtlings-Drama aus Süditalien von Jonas Carpignano.

 

Außer an einer Stelle, nein: in einer Person, die „Das heilige Land“ dadurch sehenswert macht: Daniela Marra spielt Assunta als Verletzte und Verletzende, als Opfer und Täterin, ausgeliefert und doch stolz. Während die anderen beiden Frauen, als entschlossene Staatsanwältin auf der einen und als kaltherzige Gattin des Mafiabosses auf der anderen Seite, bereits bekannte Rollenmodelle vertreten, steht Assunta zwischen den Lagern.

 

Eine Frau rettet einen Film

Sie ist eine für das Genre neue Figur: noch jung, in ihren Dreißigern, Mutter von 17-jährigen und siebenjährigen Söhnen, Witwe und später die Frau eines Mannes, der ganz kurz nach der Hochzeit verhaftet wird. Sie ist schön, verzweifelt, wütend, angepasst, eigensinnig, aber nie durchschaubar.  

 

Das ist entscheidend für einen Film, der sich ganz auf die weibliche Perspektive stützt. Wie sehr er das Frausein mit dem Muttersein gleichsetzt, und dazu nur die absolute Karrierefrau als Gegenmodell zeigt, irritiert trotzdem. Doch Marra spielt ihren inneren Kampf so komplex, dass sie die Spannung bis zum Schluss überzeugend hält – was „Das Land der Heiligen“ zu einer Variante des Mafiafilms werden lässt, die dem Genre bisher gefehlt hat.