Philippe Van Leeuw

Innen Leben – InSyriated

Warten und Hoffen. Oum Yazan (Hiam Abbass) und Halima (Diamand Abou Abboud) warten auf neue Nachrichten. Weltkino Filmverleih GmbH
(Kinostart: 22.6.) Wenn der Krieg nach Hause kommt: Regisseur Philippe Van Leeuw zeigt, was es bedeutet, wenn der Schrecken zum Alltag gehört - und schafft ein klaustrophobisches Drama über den syrischen Bürgerkrieg und seine menschlichen Ausnahmezustände.

Seit sechs Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien und hinterlässt überall seine tödlichen Spuren. Von den etwa 20 Millionen Einwohnern sind mittlerweile über die Hälfte geflüchtet, ins Ausland oder in Landesteile, die bislang weniger vom Krieg betroffen sind. „Sie alle entflohen einem Leben, zu dem uns die Bilder fehlen,“ sagt der Regisseur Philippe Van Leeuw in Bezug auf seinen Film „Innen Leben“ („Insyriated“). Er zeigt jenes, vom Krieg versehrte Leben auf eine Weise, von der sich die Zuschauer im Gegensatz zu vielen Medienberichten wohl kaum distanzieren können.

 

Info

 

Innen Leben -
Insyriated

 

Regie: Philippe Van Leeuw,

85 Min., Libanon/ Belgien/ Frankreich 2017;

mit: Hiam Abbass, Diamand Abou Abboud, Juliette Navis

 

Website zum Film

 

Der belgische Filmemacher zeigt den Mikrokosmos einer Wohnung und ihrer Bewohner im Verlauf eines Tages im Jahr 2012. Die resolute Oum Yazan (Hiam Abbass) hat sich mit ihren drei Kindern, ihrem Schwiegervater Abou Monzer (Mohsen Abbas), dem Freund einer ihrer Töchter und der philippinischen Hausangestellten Delhani (Juliette Navis) in ihrer großen Wohnung verbarrikadiert.

 

Eingeschlossen in der Wohnung

 

Auch die Nachbarin Halima (Diamand Abou Abboud), deren Wohnung bei einem Angriff zerstört wurde, findet dort mit ihrem Baby Unterschlupf. Yazans Ehemann ist derweil in der Stadt unterwegs. Ob er je wiederkehren wird, ist ungewiss. Kommunikation nach draußen ist kaum möglich, das Mobilfunknetz ist zusammengebrochen; Internet, Fernsehen und Radio funktionieren nur sporadisch. Die Außenwelt ist für die Bewohner zu einer einzigen Bedrohung geworden, allein die vertraute Umgebung verheißt noch Schutz.

Offizieller Filmtrailer


Trauriges Geheimnis

Aber auch die ist prekär. Auf dem Dach des Hauses lauert ein Scharfschütze. Delhani beobachtet im Morgengrauen, wie er auf Halimas Ehemann schießt, als er das Haus verlässt. Weil es zu gefährlich ist, den Verletzten oder womöglich Toten zu bergen, behält sie es schweren Herzens zunächst für sich.

Auch in der Wohnung herrscht Spannung. Es ist sehr heiß und es gibt nichts zu tun. Energisch versucht Oum Yazan – von Delhani „Madame“ genannt – den Anschein von Normalität aufrecht zu halten. Es wird gekocht und gegessen, die Wohnung gereinigt, der kleine Samir wird vom Opa unterrichtet und Yazan schimpft mit ihrer Teenie-Tochter, weil sie sich trotz der knappen Wasservorräte die Haare wäscht.

Krieg kommt näher

 

Doch mehr und mehr dringt die Außenwelt in Form beunruhigender Geräusche ein: Detonationen, Schüsse, Schreie. Bei Gefahr flüchten sich alle Bewohner in die abschließbare Küche und stellen sich tot. Als sich Hasardeure über den Balkon Zutritt zur Wohnung verschaffen, spitzt sich alles zu. Halima und ihr Baby schaffen es nicht in den Schutzraum. Das, was folgt, ist in seiner Intensität nur schwer zu ertragen, auch wenn Regisseur Van Leeuw nicht bis zum Äußersten geht.

 

Hintergrund

 

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Um das Grauen des Krieges zu zeigen, benötigt der Belgier keiner explizit brutalen Bilder. Es reicht schon, dass die Menschen der Selbstverständlichkeit beraubt sind, einfach vor die Tür zu gehen. Mit einfachen Mitteln entsteht eine äußerst beklemmende Atmosphäre. Es bedarf wenig, die zivile Lebensordnung zum Einsturz zu bringen und all jene hervorzulocken, die gerne Macht und Gewalt über andere ausüben – weil der Krieg ihnen die Möglichkeit bietet.

 

Gefangen im eigenen Land

 

Der im Libanon gedrehte Film wird von seinem hervorragenden Darsteller-Ensemble getragen. Bis auf die drei weiblichen Hauptfiguren sind alle Schauspieler geflüchtete Syrer – und kennen die Situation aus eigener Erfahrung. „Innen Leben“ zeigt Menschen, deren Alltag aus den Angeln gehoben ist – aber auch ihre Zerbrechlichkeit und Stärke angesichts eines Ausnahmezustandes. Er fragt auch, was Humanität bedeutet, wenn alle gewohnten Maßstäbe außer Kraft gesetzt sind.

 

Im Original heißt der Film, der den Publikumspreis der Berlinale 2017 erhielt, treffend „Insyriated“, denn die Protagonisten sind nicht nur in ihrer Wohnung gefangen, sondern im ganzen Land. Es bleibt ihnen nur die Flucht und die vage Hoffnung, irgendwie zu überleben. Sichtbare und unsichtbare Narben tragen alle davon. Tritt man nach dem Film wieder in die deutsche Realität, könnte der Gegensatz zwischen dem Gesehenen und dem hiesigen Alltag kaum größer sein. Die eigenen Sorgen wirken dann sehr klein.