Richard Gere

The Dinner

Claire (Laura Linney), Paul (Steve Coogan),Stan (Richard Gere) und Katelyn (Rebecca Hall, v.l.n.r.) beim Dinner. Foto: © TOBIS Film GmbH
(Kinostart: 8.6.) Schuld und Sühne im Luxus-Restaurant: Zwischen Haute Cuisine und Handy-Anrufen müssen zwei ungleiche Ehepaare fatale Fehltritte ihrer Söhne ausbügeln. Regisseur Oren Moverman beleuchtet Upper-Class-Moral im Digitalzeitalter.

Die Brüder Paul (Steve Coogan) und Stan Lohmann (Richard Gere) treffen sich mit ihren Ehefrauen zu einem Dinner in einem Edelrestaurant. Es gibt etwas zu besprechen zwischen dem Kongressabgeordneten Stan und dem psychisch instabilen Paul, der seinen Beruf als Geschichtslehrer aufgeben musste. Schnell wird klar, dass die Kommunikationskanäle zwischen ihnen und ihren Gattinnen verstopft sind mit Familiengeschichten, Traumata, gegenseitigen Vorwürfen, Neid und Bitterkeit. Und dauernd klingeln die Handys, die alle Beteiligten aus jedem Ansatz von Verständigung reißen.

 

Info

 

The Dinner

 

Regie: Oren Moverman,

120 Min., USA 2017;

mit: Richard Gere, Steve Coogan, Laura Linney, Rebecca Hall

 

Website zum Film

 

Was immer es zu besprechen gibt, leicht wird es nicht werden. Während das Restaurant-Personal versucht, die exquisiten Speisen protokollgerecht zu servieren, fliegen bereits die ersten verbalen Fetzen. Dann gibt es noch eine wirklich schlimme Geschichte, die sich in Rückblenden erst nach und nach enthüllt.

 

Deal mit dem Psycho-Bruder

 

Sie betrifft die Kinder der beiden Familien: Rick, den Sohn von Paul und Claire (Laura Linney), sowie Stans Sohn Michael aus erster Ehe, außerdem den afroamerikanischen Beau, den Stan vor Jahren adoptiert hat. Zumindest für Stan, dessen Karriere auf dem Spiel steht, muss der heutige Abend mit seinem „Psycho-Bruder“ und dessen Frau sowie seiner eigenen, ehrgeizigen Gattin Katelyn (Rebecca Hall) ein Erfolg werden. In der Sprache des aalglatten WASP, der er ist: Er braucht heute einen deal.

Offizieller Filmtrailer


  

 

Leichen aus dem Keller geholt

 

Zwei weiße, wohlsituierte Paare holen die Psycho-Leichen aus dem Keller, weil die Kinder Mist gebaut haben. In vielerlei Hinsicht huldigt Regisseur Oren Moverman mit „The Dinner“ dem sujet des Dramas „Der Gott des Gemetzels“, das Roman Polanski verfilmt hat, aber mit ausgezogenen Samthandschuhen und mit ausgeweiteter Kampfzone: Es gibt mehr Macht- und Abhängigkeits-Vektoren. So spielt zusätzlich die Hautfarbe eine Rolle – und hier sind die Jungen keine unschuldigen Raufbolde, sondern von neuen Medien schwer verwirrte teenager, die eines Nachts eine Obdachlose angezündet haben und sich nun gegenseitig erpressen.

 

Ihre Eltern haben allmählich Wind von der Sache bekommen und wollen nun die Angelegenheit regeln; sie haben die Wahl zwischen Aussitzen und Selbstanzeige. Zwischendurch explodiert immer wieder der langjährige Konflikt zwischen beiden Brüdern, die ohne Vater und mit einer psychisch kranken Mutter aufwuchsen.

Vertuschung ist alternativlos

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Amerikanisches Idyll" – kongeniale Verfilmung des Romans von Philip Roth über US-Generationenkonflikte durch + mit Ewan McGregor

 

und hier einen Bericht über den Film "Love & Mercy" – brillantes Biopic über Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson von Bill Pohland nach dem Drehbuch von Oren Moverman

 

und hier eine Besprechung des Films "Mutter & Kind – Child’s Pose" – Psychodrama über eine verkorkste Mutter-Kind-Beziehung von Călin Peter Netzer, Berlinale-Siegerfilm 2013

 

und hier einen Bericht über den Film "Der Gott des Gemetzels" – dichte Verfilmung des Theaterstücks von Yasmina Reza durch Roman Polanski.

 

Dabei sind Pauls Gedanken, die er gern ungefragt mitteilt, voller Gewalt-, Mord- und Allmachtsfantasien. Nach außen hin äußert sich sein inneres Drama in der altbekannten liberalen Mischung aus moralischer Überlegenheit, „Früher-war-alles-besser“-Gejammer und neidvoller Abscheu gegenüber der Heuchelei des erfolgreichen Bruders. Ausgerechnet dieser, von Richard Gere mit nötiger Selbstzufriedenheit gespielt, schlägt eine ethisch fundierte Lösung vor, hat aber zur Abwechslung mal keine Chance bei den Frauen. Wie für die Mutter in Michael Hanekes thematisch verwandtem Film „Bennys Video“ ist die Vertuschung des Mordes „alternativlos“.

 

Regisseur Oren Moverman gelingt es, die komplexe Geschichte trotz Längen spannend und stringent zu entwickeln. Das von Hal Willner aus rock’n’roll und highlife, Klassik und jazz geschmackvoll ausgewählte soundtrack– Menü fungiert zusammen mit dem aufgetischten food porn als kultiviertes Hintergrundrauschen und Selbstvergewisserung der bürgerlichen Gesellschaft, während der Familienrat diskutiert, wie die Barbarei in den eigenen Reihen einzudämmen ist.

 

Transatlantische Tisch-Lügen

 

Kellner Heinz sorgt für Lacher; Stans Assistentin Nina tritt auf als Botin des Unheils, wie in einer griechischen Tragödie. Struktur, Figuren und plot folgen recht getreu dem Roman „Het Diner“ („Angerichtet“, 2009) des niederländischen Autors Herman Koch. Er hatte mit seiner bitteren Abrechnung vor allem die heimische Elite im Visier – sie wurde bereits zweimal verfilmt, in den Niederlanden und in Italien.

 

Auch wenn der Brite Steve Coogan als US-Amerikaner nur halb so stark überzeugt wie als selbstgerechter Psychopath, gelingt die Übertragung des Stoffs aus Europa in die USA nahtlos: Hier erzählt man sich beim Essen dieselben Lügen. Dabei hat Kochs Buch eine bizarre Fortschreibung in der Realität erfahren: Was wäre der US-Präsident Donald Trump, wenn nicht eine unheimliche Synthese aus beiden Lohmann-Brüdern – dealmaker und Psychopath in einer Person?