Catherine Deneuve

Belle de Jour – Schöne des Tages

Séverine Serizy (Catherine Deneuve) entspannt sich nach getaner Arbeit. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 20.7.) Sex nur bis fünf Uhr: Eine Ehefrau schafft heimlich im Bordell an. Daraus machte Surrealismus-Regisseur Luis Buñuel 1967 ein verführerisches Meisterwerk voller Ambivalenzen – und Catherine Deneuve zum Star. Nun als Digitalfassung wieder im Kino.

Das kommt in den besten Familien vor: Eine junge Frau flüchtet aus ihrer unbefriedigenden Ehe in ein illegales Bordell; dort verdingt sie sich nachmittags als Teilzeit-Prostituierte. Dummerweise ist der Freier, der sie am meisten fasziniert, so besitzergreifend wie gewalttätig – für die Eskapaden seiner Gattin zahlt ihr verständnisvoller Mann einen hohen Preis.

 

Info

 

Belle de Jour -
Schöne des Tages

 

Regie: Luis Buñuel,

101 Min., Frankreich 1967;

mit: Catherine Deneuve, Jean Sorel, Michel Piccoli

 

Weitere Informationen

 

Das klingt nach Kolportage, und das ist Joseph Kessels gleichnamiger Roman von 1928 eigentlich auch. Fast 40 Jahre später verfilmte ihn aber Luis Buñuel, der Kino-Visionär des Surrealismus. Er machte daraus ein facettenreich schillerndes Meisterwerk – so verführerisch, dass es bis heute seine Anziehungskraft nicht verloren hat. Es kommt nach einem halben Jahrhundert, dem Verleih „Studiocanal“ sei Dank, frisch restauriert und digitalisiert wieder ins Kino.

 

Auf mysteriöse Schönheit festgelegt

 

Der Ruhm des Films ist untrennbar mit dem seiner Hauptdarstellerin verknüpft. Die damals 23-jährige Catherine Deneuve hatte zuvor schon in zehn Filmen mitgespielt, darunter „Ekel“ (1965) von Roman Polanski; doch erst ihre Rolle als Séverine Sérizy in „Belle de Jour“ machte sie zum star. Und legte sie zugleich für Jahrzehnte auf ihr Profil als geheimnisvolle Schönheit fest: eine mysteriöse Unnahbare, bei der man nie genau weiß, was in ihr vorgeht.

Offizieller Filmtrailer


 

Ausschweifungen einer Teflon-Dame

 

Ihre Séverine ist alles andere als leidenschaftlich: Mit fast unbewegter Miene bewegt sie sich gleichmütig durch alle Szenen, sogar zwischen Laken. Allzeit adrett und beherrscht, ganz bon chic, bon genre (bcbg), wie es dem damaligen Ideal der gehobenen französischen bourgeoisie entsprach – das sich seither kaum verändert hat. Ausgerechnet diese gesittete Teflon-Dame soll ausschweifende sexuelle Sehnsüchte in sich tragen und sogar ausleben: Wenn sie es tut, wäre das Gleiche jeder Frau zuzutrauen. Das machte und macht Deneuves Auftritt so verstörend.

 

Ebenso den von Jean Sorel als Pierre: Der erfolgreiche Klinikarzt arbeitet recht viel, aber sonst ist er ein Mustergatte, wie ihn sich Frauenzeitschriften wünschen. Stets aufmerksam und nachsichtig, kümmert er sich liebevoll um seine Séverine und erträgt geduldig ihre Launen. Ein einfühlsamer softie avant la lettre – und gerade dadurch als Objekt der Begierde völlig untauglich. Mit dieser Figurenzeichnung nimmt Buñuel die kommenden 50 Jahre maskuliner Domestizierung und ihr ermattetes Ergebnis elegant vorweg.

 

Bordelle verboten + Prostitution erlaubt

 

Da verzeiht man dem Regisseur gern, dass sein übriges Personal etwas willkürlich anmutet. Vom illegalen Etagen-Bordell nahe der Pariser Oper – 1946 wurden Bordelle in Frankreich verboten, Prostitution blieb erlaubt; allerdings werden Freier seit 2016 bestraft – erfährt Séverine ausgerechnet durch einen Freund von Pierre, den reichen Müßiggänger Henri (Michel Piccoli).

 

Die Betreiberin Madame Anaïs (Geneviève Page) heuert die feine Dame sofort an, denn sie hat nur zwei andere Mädchen, die für sie anschaffen. Dabei sind ihre besten Kunden zwei brutale Berufskriminelle; der jüngere namens Marcel (Pierre Clémenti) treibt die Handlung ohne Umschweife in die Katastrophe.

 

SM-Tagträume im Bilderfluss

 

Dass dieses Rotlichtmilieu nach sparsam besetzter Theater-Kulisse aussieht, stört nicht weiter. Dafür sorgen die so dezenten wie irritierenden Einfälle, die Buñuel ohne aufdringliche Symbolik einstreut. Gleich zum Auftakt überlässt Séverines Mann sie wegen Gefühlskälte zwei Haudegen von Kutschern, die sie im Wald fesseln und auspeitschen – einer ihrer Sadomaso-Tagträume, wie sich herausstellt. Ähnliche Bestrafungs-Fantasien ziehen sich durch den ganzen Film; ebenso Rückblenden in ihre Kindheit, die Missbrauch und Schuldgefühle andeuten. Am ihnen befremdet, dass sie so selbstverständlich und bruchlos in den Bilderfluss eingefügt sind.

 

Lässt sich derlei noch mit Küchenpsychologie interpretieren, versagt das bei manchen realen Episoden. Der erste Freier, dem Séverine sich öffnet, ist ein hünenhafter Asiate – Mongole oder Japaner? Er redet so unentwegt wie unverständlich und trägt ein Kästchen bei sich, über dessen Inhalt alle große Augen machen – was dieses Aphrodisiakum sein könnte, bleibt verborgen.

 

Beflügelnde Auslassungen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  "Der Stachel des Skorpions: Ein Cadavre exquis nach Luis Buñuels »L’Âge d’or«" – zeitgenössische Hommage-Werke in München + Darmstadt

 

und hier eine Besprechung des Films "3 Herzen" – französisches Mehrgenerationen-Melodram von Benoît Jacquot mit Catherine Deneuve

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein – Les bien-aimés" – brillantes Musical-Melodram von Christophe Honoré mit Catherine Deneuve

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Bewusste Halluzinationen – Der filmische Surrealismus" im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt/Main.

 

Ein anderer Freier, Typ distinguierter gentleman, lässt sich auf allen Vieren wie ein Hündchen herumkommandieren – über diese harmlose Variante von Masochismus ist Séverine trotz ähnlicher Neigungen entsetzt, „wie man so tief sinken“ könne. Später bestellt ein reicher décadent sie auf seinen Landsitz für eine schwarze Messe: großes Brimborium, Schleier und Sarg im Kerzenlicht, lasterhafte Worte – und Rauswurf. Was dazwischen geschieht, wird nicht gezeigt.

 

Solche Auslassungen beflügeln die Fantasie des Zuschauers und den Publikums-Zuspruch: „Belle de Jour“, in Venedig 1967 als bester Film prämiert, war Buñuels größter kommerzieller Erfolg. Wobei er vordergründig eine recht konventionelle Moral bedient: Der skrupellose Marcel stellt Séverine mit aller Gewalt nach. Im showdown geht er drauf; ihr ahnungsloser Mann landet im Rollstuhl und ist nun von ihrer Fürsorge abhängig.

 

Widersprüche in der Schwebe

 

Erotische Eskapaden nehmen also die schlimmstmögliche Wendung – als Propaganda für die gerade beginnende sexuelle Revolution lässt sich das kaum betrachten. Doch ebenso wenig als das Gegenteil: Ihren goldenen Käfig hinter sich lassend, hat die Heldin ihre Unabhängigkeit gewonnen – zu einem fürchterlichen Preis. Genießt sie das? Und wofür wird ihre Emanzipation nutzen? Solche Fragen lässt Buñuel wohlweislich offen.

 

Stattdessen lässt er die Widersprüche zwischen Güte und Lüge, Wunscherfüllung und sozialem Desaster, Sex als Ware und Liebe als zerstörerischer Obsession kunstvoll in der Schwebe. Sein Film knistert vor Erotik, obwohl kaum nackte Haut und noch weniger Bettszenen zu sehen sind. All diese Ambivalenzen machen „Belle de Jour“ zeitlos attraktiv.