Düsseldorf

Cranach: Meister – Marke – Moderne

Lucas Cranach der Ältere: Bildnis einer jungen Frau, 1526, © Staatliche Eremitage, St. Petersburg. Fotoquelle: Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Schlanke Grazien aus dem Baukasten: Lucas Cranach erfand die deutsche Aktmalerei und verbreitete sie mit der größten Werkstatt seiner Zeit. Seine Bilderflut prägt Schönheitsideale bis heute – das zeigt eindrucksvoll eine große Werkschau im Museum Kunstpalast.

Besser kann ein Kunstmuseum das Lutherjahr nicht begehen: Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553) war nicht nur der offizielle und exklusive Porträtist von Martin Luther. Gemeinsam mit seinem gleichnamigen, 1515 geborenen Sohn und zahlreichen Gehilfen betrieb er eine Werkstatt, deren Massenfabrikation ihresgleichen suchte: Ohne die Bilderflut aus dem Hause Cranach hätte sich die Reformation kaum oder zumindest nicht so rasch durchgesetzt.

 

Info

 

Cranach: Meister – Marke – Moderne

 

08.04.2017 - 30.07.2017

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr

im Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf

 

Katalog 39,90 €

 

Website der Ausstellung

 

Mehr als 1000 Gemälde aus der Cranach-Werkstatt sind heute noch bekannt; sagenhafte 5000 soll sie insgesamt in acht Jahrzehnten hergestellt haben. Dazu kommen zahllose Holzschnitte, Kupferstiche und vieles mehr für Käufer in halb Europa. Seit 2009 hat das am Museum Kunstpalast angesiedelte „Cranach Digital Archive“ Informationen über rund 1600 weltweit verstreute Werke im Internet zugänglich gemacht; dieses Netzwerk nutzt das Museum nun für eine große Retrospektive.

 

Enzyklopädischer Ansatz

 

Ausstellungen über den Renaissance-Meister gab es in den vergangenen Jahren einige; etwa „Cranach“ (2005/6) in Chemnitz oder die Doppel-Schau „Bild und Botschaft – Cranach im Dienst von Hof und Reformation“ (2015) in Gotha, Kassel und Weimar. Doch im Unterschied zu ihnen verfolgt das Museum Kunstpalast einen enzyklopädischen Ansatz: Es will mit 230 Exponaten alle Aspekte in Leben und Werk von Lucas Cranach d. Ä. gleichermaßen vorstellen – und zudem seine enorme Wirkungsgeschichte bis zur Gegenwart.

Feature mit Statemens von Kurator Gunnar Heydenreich + Impressionen der Ausstellung; © IKS Medienarchiv


 

Allround-Ausstatter für corporate design

 

Den hochgesteckten Anspruch löst eine kluge Gliederung in neun Stationen ein. Nach seinen künstlerischen Anfängen um 1500 in Wien – was der im fränkischen Kronach geborene Maler-Sohn vorher machte, ist unbekannt – bildet den ersten Schwerpunkt sein Wirken in Wittenberg. In dieser Residenzstadt hatte der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise 1502 eine Universität gegründet. Drei Jahre später berief er den immerhin schon 33-jährigen Cranach zum Hofkünstler; für ein Spitzengehalt von jährlich 100 Gulden plus Extra-Vergütung für gelieferte Bilder.

 

Sein Günstling dankte es ihm durch rastlosen Arbeitseifer. Nach wenigen Jahren beschäftigte er schon zehn Gesellen; zwei Mal musste man umziehen, weil die bisherige Werkstatt zu klein wurde. Cranach lieferte nicht nur Holzschnitte und Gemälde en gros, sondern auch Entwürfe für Glas, Teppiche, Vorhänge und Lampen – seine Ideen wurden von Webern, Schlossern, Stempelschneidern und Goldschmieden ausgeführt. Bei Festlichkeiten kümmerte er sich um das gesamte Dekor, von Prunkgebinden bis zu den Mustern auf Pferdedecken. Er war allround-Ausstatter des Fürstenhofs und für sein gesamtes corporate design zuständig.

 

Bekannte Gesichter nach Vorlagen

 

Diese unglaubliche Produktivität war nur durch arbeitsteilige und standardisierte Verfahren möglich. Gehilfen und Lehrlinge setzten Kompositionen nach einer Art Baukasten-Schema zusammen. Für sakrale und mythologische Motive gab es Muster-Zeichnungen, die zu immer neuen Szenen kombiniert wurden. Bei Bildnissen wurden Vorlagen verwendet und an Aussehen und Alter des Porträtierten angepasst. Das erklärt, warum einem viele Gesichter auf Cranach-Gemälden bekannt vorkommen: Etliche Frauen-Gestalten haben ähnliche Antlitze mit ebenmäßigem Teint, geschwungen schmalen Augen und kleinem Kussmund.

 

Die Ausstellung führt anschaulich vor, wie Cranach dafür Anregungen von außen verarbeitete. Wittenberg lag weitab von den kulturellen Zentren im Reich wie Wien, Nürnberg oder Augsburg. Doch das neue Medium der Druckgrafik hielt Cranach auf dem Laufenden: Er nahm Bildideen von Dürer, den Künstlern der so genannten Donauschule oder denen in Oberitalien auf und wandelte sie ab, womit er wiederum seine Kollegen inspirierte.

 

Erfinder der deutschen Aktmalerei

 

Obwohl Cranach zeitlebens auch Wünsche katholischer Auftraggeber erfüllte, propagierten viele seiner Bildthemen deutlich die Ideen von Martin Luther; beide waren eng befreundet. Etwa in „Gesetz und Gnade“: Die Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament veranschaulicht das protestantische Prinzip sola fide, sola gratia – nur der Glaube an Gottes Gnade verheißt Erlösung. Ebenso Darstellungen, auf denen Christus Kinder segnet oder eine Ehebrecherin vor der Steinigung rettet: Sie rücken den Messias allen Gläubigen nahe.

 

Hintergrund

 

Website des
Cranach Digital Archive

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Bild und Botschaft - Cranach im Dienst von Hof und Reformation" über die Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä. + d. J. in Gotha, Kassel und Weimar

 

und hier eine Besprechung der Schau "Drunter und Drüber – Altdorfer, Cranach und Dürer auf der Spur" über Gemälde-Untersuchungen mit Infrarot-Reflektographie in der Alten Pinakothek, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Luther und die Avantgarde" über u.a. zeitgenössische Adaptionen von Cranach-Motiven zum Lutherjahr 2017 im Alten Gefängnis, Wittenberg.

 

Doch Cranach konnte auch ganz anders: 1509 schuf er mit dem Gemälde „Venus und Cupido“ die erste lebensgroße Nacktdarstellung der Göttin nördlich der Alpen – so wurde er zum Erfinder der Aktmalerei in Deutschland. Solche naturalistischen Akte waren Verkaufsschlager. Dabei orientierte er sich weniger an antikisierenden Ideal-Gestalten der italienischen Renaissance als vielmehr am heimischen Umfeld: Seine Nackedeis waren kernige Zeitgenossen mit kleinen Schönheitsfehlern.

 

500 Jahre laszive Grazien

 

Sie gruppierte Cranach manchmal zu historischer fantasy, deren Bedeutung sich heute kaum noch entschlüsseln lässt; etwa auf dem Bild „Das Ende des Silbernen Zeitalters“ (1530). Da dreschen hinten zornige Kerle wild aufeinander ein, während im Vordergrund elegant drapierte Damen sich liebevoll um ihre Kinder kümmern: Die Ahnen der Deutschen als mörderische Wüteriche und verhätschelnde Glucken?

 

Jedenfalls hat nichts von ihm die Nachwelt mehr beeindruckt als solche lasziv gebogenen Grazien und verführerisch lächelnden Bürgerstöchtern Marke Cranach. Sie zählen seit fast 500 Jahren zum Formenkanon der westlichen Malerei, unzählige Male zitiert und variiert. Das zeigt die Abschluss-Sektion zur Moderne: mit ausgemergelten Venus-Variationen der Expressionisten, einem ganzen Konvolut des Erotomanen Picasso und quietschbunten Kopien von Andy Warhol. Die Wirkungsmacht eines Künstlers über Jahrhunderte hinweg, die in vielen Ausstellungen bloß Behauptung bleibt: Hier wird sie eindruckvoll vorgeführt.