Es geht los, als hätte das Magazin „National Geographic“ für den TV-Sender „Discovery Channel“ eine Tier-Doku produziert: Ein Wissenschaftler paddelt im Kajak lautlos übers Wasser. Vor majestätischer Naturkulisse: Der smaragdgrüne Fluss zwischen steilen Felswänden, die dichter Laubwald bedeckt, schlängelt sich zwar durch einen Nationalpark im portugiesisch-spanischen Grenzgebiet – doch er könnte auch durch Skandinavien oder Kanada fließen.
Info
Der Ornithologe
Regie: João Pedro Rodrigues,
118 Min., Portugal/ Frankreich 2016;
mit: Paul Hamy, Xelo Cagiao, Juliane Elting
China-Pilgerinnen auf dem Jakobsweg
Wenig später ziehen ihn zwei junge Chinesinnen halbtot aus dem Wasser. Lin und Fei sind eifrig betende Christinnen, die auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela pilgern; nur kamen sie etwas vom rechten Weg ab und fürchten nun den Waldgeist Tengu. Da Atheist Fernando sich nicht von ihnen bekehren lässt, erwartet ihn großes Ungemach. Ähnlich naiv, orientierungs- und erbarmungslos dürften die katholischen Missionare aufgetreten sein, die ab dem 16. Jahrhundert nach Übersee ausschwärmten.
Offizieller Filmtrailer
Potpourri populär-christlicher Ikonographie
Seiner Zwangskonversion entgeht Fernando knapp, muss sich aber nun fast mittellos durch den Wald schlagen. Wo ihm allerlei zustößt, wovon Schulweisheit sich nicht träumen lässt: Auf einer Sandbank wurde aus Resten seines Bootes und Gepäcks eine bizarre Kultstätte errichtet – und dem Passfoto seines Personalausweises die Augen ausgestochen.
Dann trifft er einen jungen Hirten namens Jesus (Xelo Cagiao); der taubstumme Lockenkopf trinkt Ziegenmilch direkt von der Quelle. Beim Planschen in der Bucht kommen sich beide näher, doch ihr Liebesspiel geht böse aus. Unbeirrt stapft der verwirrte Held durch seinen Zauberwald, und der Film rutscht allmählich ins bemüht Allegorische ab. Raubtier-Erscheinungen; Stigmata und Stichwunden, in denen ungläubig gepult wird; vom Baum gepflückte Äpfel; eine weiße Taube, die trotz gebrochenen Flügels wegfliegt – alles da, was die populäre christliche Ikonographie so her gibt.
Göttin Diana reitet barbusig vorbei
Da erstaunt kaum noch, dass Fernando irgendwann in brauner Büßer-Kutte zu den Fischen spricht. Oder eine halbnackte, schwer bewaffnete Amazonin zu Pferde (Juliane Elting) samt barbusigen Begleiterinnen vorbeireitet, um ihn zu entführen – da lässt der Filmemacher seiner Fantasie sehr die Zügel schießen. Oder der geschmackvolle Einfall, dass nach Fernandos wundersamer Verwandlung in den heiligen Antonio dessen Rolle der Regisseur selbst übernimmt – und prompt den Märtyrertod erleidet.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – atemberaubendes Dschungeldrama am Amazonas von Ciro Guerra
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und hier einen Bericht über den Film "Der Fremde am See" – fesselnder schwuler Kammerspiel-Thriller von Alain Guiraudie.
Harmloses Wiegen des Jesuskinds
Doch ansonsten respektiert er wichtige Aspekte von Antonius‘ Erdenwalten. Der war einer der ersten Franziskaner-Mönche und galt als bester Prediger seiner Zeit. Einmal soll ihm das Jesuskind auf dem Arm erschienen sein; so wird er in der Kirchenkunst oft dargestellt. Des Regisseurs schwule Version dieser Episode gerät aber eher harmlos; da hat sich der gläubige Katholik Pier Paolo Pasolini schon vor einem halben Jahrhundert ganz andere Blasphemien erlaubt.
Zwar führt Rodrigues seine profunde Kenntnis der Antonius-Verehrung vor: Sogar die wilde Schar von Männern in Schamanen-Gewändern, die durch eine Szene tobt, gibt es wirklich. In solcher Verkleidung wird alljährlich ein Fest zu Ehren des Heiligen im südostasiatischen Osttimor gefeiert; es war fast 500 Jahre lang eine portugiesische Kolonie. Doch insgesamt verliert der Film in der zweiten Hälfte an Ausstrahlung.
Bekehrung zur Naturverehrung
Anfangs noch ein vieldeutiges Vexierspiel mit Anspielungen auf globalisierte patchwork-Religiösität, wird er später zur eindimensionalen Nacherzählung der Antonius-Legende für die Gegenwart. Samt vom iberischen Barock inspirierten Bildern, die mit Drastik überwältigen sollen – das dürfte ihnen wohl nur bei tief Gläubigen gelingen. Dennoch lohnt der Film wegen seiner grandiosen Kulisse; sie ist der eigentliche star. Allerdings bekehrt die herrliche Landschaft eher zur Naturverehrung als zur allein selig machenden Kirche.