Jessica Chastain

Die Erfindung der Wahrheit – Miss Sloane

Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) bespricht sich mit ihrem Team. Foto: Universum Filmverleih
(Kinostart: 6.7.) Politik als Fortsetzung von Krieg mit anderen Mitteln: Mit dem Porträt einer Top-Lobbyistin führt Regisseur John Madden so präzise wie spannend vor, wie Macht heutzutage gelenkt wird. Jessica Chastain brilliert als eiskalter Engel mit Escort-Lover.

Politik ist die Fortsetzung von Krieg mit anderen Mitteln: Nach dieser Devise boxt die Top-Lobbyistin Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) die Interessen ihrer Auftraggeber durch. Obwohl sie blendend verdient, geht es ihr nicht um Geld; obwohl sie an vielen Strippen zieht, geht es ihr nicht um Macht. Sie will um jeden Preis gewinnen – mit gleichsam militärisch organisierten Feldzügen auf dem politischen Parkett, um am Ende Rede- und Abstimmungs-Schlachten für ihre Sache zu entscheiden.

 

Info

 

Die Erfindung der Wahrheit – Miss Sloane

 

Regie: John Madden,

132 Min., USA 2016;

mit: Jessica Chastain, Mark Strong, Gugu Mbatha-Raw

 

Website zum Film

 

Wofür sie zu Felde zieht, ist dabei fast unerheblich. Nachdem sie bisher in der etablierten Politikberatung „Cole, Kravitz & Waterman“ gearbeitet hat, wechselt sie im Streit über einen Auftrag der Waffenindustrie abrupt die Seiten. Sloane heuert mit ihrem kleinen team von Assistenten bei der linksliberalen Kanzlei „Peterson Wyatt“ an, dessen Chef (Mark Strong) für einen Gesetzentwurf eintritt, Waffenbesitz stärker zu kontrollieren. Dass die neue Kampagnen-Leiterin ihm zustimmt, ist ohne Belang: Sie will es ihrem Ex-Arbeitgeber zeigen.

 

Debüt-Drehbuch eines Autodidakten

 

Was nun folgt, ist so aufregend, dass der pseudo-paradoxe Titel „Die Erfindung der Wahrheit“ dafür viel zu betulich klingt. Offenbar ist Drehbuch-Autor Jonathan Perera eine ähnliche Ausnahme-Erscheinung wie seine Titelheldin: Er gab seine britische Anwaltskanzlei auf, brachte sich in Südkorea selbst das Skript-Schreiben bei und verfasste als 30-Jähriger sein Debüt im Alleingang – es wurde in Hollywood sofort angekauft. Die Regie übernahm John Madden, der 14 Spielfilme quer durch alle genres gedreht hat; darunter 1998 den mit sieben Oscars prämierten Welterfolg „Shakespeare in Love“.

Offizieller Filmtrailer


 

Überraschen + sich nicht überraschen lassen

 

Gemeinsam gelingt Perera und Madden ein kleiner Geniestreich: Sie führen das Alltagsgeschäft in Washington D.C. als endlosen Reigen aus briefings, meetings, Hintergrund-Gesprächen und Ausschuss-Sitzungen vor – und verdichten es dabei zum atemberaubenden Feuerwerk aus Winkelzügen, Geistesblitzen und Taschenspielertricks, ohne den mühseligen politischen Betrieb zu vereinfachen oder zu -fälschen.

 

Seit den besten Polit-Thrillern von New Hollywood in den 1970er Jahren war im Kino kaum mehr so realistisch zu sehen, wie Politik wirklich funktioniert: Begriffe besetzen, Allianzen schmieden, Kampagnen organisieren, Klischees ausschlachten – und dann mühsam alle Entscheidungsträger beackern, einen nach dem anderen. Die springen am ehesten an, wenn etwas für sie herausspringt. Stets gilt es, allen einen Schritt voraus zu sein: „Lobbyismus bedeutet, seine Gegner zu überraschen – und sich nicht überraschen zu lassen.“

 

Soziale Isolation als Energie-Ressource

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Moment der Wahrheit - Truth" - Polit- und Medien-Thriller um gefeuerten TV-Moderator von James Vanderbilt mit Cate Blanchett + Robert Redford

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Wahlkämpferin – Our Brand is Crisis" – schillernde Polit-Satire über Wahl-Beratung in Bolivien von David Gordon Green mit Sandra Bullock

 

und hier eine Besprechung des Films "Spotlight" - brillanter Medien-Thriller von Tom McCarthy, mit dem Oscar für den besten Film 2016 prämiert

 

und hier einen Beitrag über den Film "A Most Violent Year" - faszinierender Thriller im Heizöl-Großhandel (!) von JC Chandor mit Jessica Chastain.

 

Diese zähe Kärrnerarbeit verwandelt der Film in ein Stakkato aus rasanten Szenenwechseln und spitzzüngigen Dialogen mit perfektem timing. Skrupellos operiert Miss Sloane bei Bedarf am Rande der Legalität – bei Abhöraktionen auch jenseits davon. Oder am Rande der Berufsethik: Eine durch Waffengebrauch traumatisierte Mitarbeiterin (Gugu Mbatha-Raw) schiebt sie als Kronzeugin ins Scheinwerferlicht der TV-Kameras. Und bei einer Senats-Anhörung bestätigt ausgerechnet ein escort callboy (Jake Lacey) ihr Alibi.

 

Ihn bucht sie regelmäßig für Schäferstündchen: Die power-Frau hat auch ihr Privatleben ganz aufs workaholic-Dasein abgestimmt. Business-Kleidung liefert der Bringdienst, Pillen wirken gegen Müdigkeit und schwache Momente. Dabei räumt Sloane freimütig ein, keine engen sozialen Beziehungen zu kennen – auch das ist präzise beobachtet: Hochleistungs-champions nutzen oft ihre emotionalen Defizite als zusätzliche Energie-Ressource.

 

Besser als 1000 „Tagesthemen“

 

Was Jessica Chastain mit solch abgebrühter Konsequenz durchzieht, dass alle anderen Akteure zu erstaunten Statisten beim egotripping dieses eiskalten Engels werden. Das spielt sich mehr als zwei Stunden lang fast nur in Bürogebäuden und Besprechungszimmern ab – und wird doch keine Sekunde langweilig. Auch wenn die alleinige Fokussierung auf die Hauptfigur etwas überspitzt erscheint: Selten wird die Mechanik heutiger Machtausübung auf der Leinwand so anschaulich seziert. Das kann dieser Film besser als 1000 Ausgaben von „Tagesthemen“ oder „heute journal“.