Sally Potter

The Party

Rotwein-Liebhaber Bill (Timothy Spall) legt eine Platte auf. Foto: © Nicola Dove, Adventure Pictures Ltd
(Kinostart: 27.7.) Wenn das Kartenhaus zusammenbricht: Die britische Regisseurin Sally Potter lässt in ihrer Satire eine Party von intellektuellen Freunden eskalieren – ein sardonischer Blick auf die Doppelmoral der desillusionierten Brexit-Gesellschaft.

Auf den ersten Blick wirken die Filme der britischen Regisseurin und Autorin Sally Potter sehr unterschiedlich. „Orlando“ (1992), ihr wohl bekanntestes Werk, war die Verfilmung eines Romans von Virginia Woolf, der als nicht verfilmbar galt: über die Probleme eines Mannes, der sich über Nacht in eine Frau verwandelt. Im autobiographisch geprägten „The Tango Lesson“ (1997) übernahm die als Tänzerin und Choreografin ausgebildete Regisseurin selbst die Hauptrolle. Ihr vorletzter Film „Ginger und Rosa“ (2012) blickte als coming-of-age-Drama eines teenagers auf die linksliberale bohème im England der frühen 1960er Jahre.

 

Info

 

The Party

 

Regie: Sally Potter,

71 Min., Großbritannien 2017;

mit: Patricia Clarkson, Kristin Scott Thomas, Bruno Ganz, Timothy Spall

 

Website zum Film

 

Gemeinsam ist all ihren Filmen Leidenschaft und Humor, subtiler Einsatz von Musik und die Infragestellung von Klischees. Die 67-jährige hat in ihrer Laufbahn nur acht abendfüllende Spielfilme gedreht; darin interessiert sie sich vor allem um Geschlechterrollen in privaten Beziehungen sowie bestimmte künstlerische und intellektuelle Milieus. Da passt ihr jüngster Film „The Party“ also vorzüglich ins Bild: als böse, intelligente und ziemlich witzige Sozialstudie.

 

Blick in den Pistolenlauf

 

Dass etwas nicht stimmt, daraus macht Potter in ihrer satirischen farce von Anfang an keinen Hehl. Gleich in der ersten Einstellung öffnet eine recht derangiert aussehende Frau mittleren Alters die Haustür; wer auch immer da gerade die Klingel gedrückt hat – er blickt direkt in die Mündung einer Pistole. Wie es dazu kommen konnte, erzählt der in kontrastreichem Schwarzweiß gedrehte Film als Rückblende in einer Art Kammerspiel-Salonkomödie: mit wenigen Schauplätzen in und rund um das Einfamilienhaus sowie einer überschaubaren Zahl von Figuren.

Offizieller Filmtrailer


Die Feier beginnt

 

Die Frau mit der Pistole ist Janet (Kristin Scott Thomas); sie wurde gerade zur Gesundheitsministerin im Schattenkabinett der Oppositionspartei ernannt. Jahre harter Arbeit scheinen sich nun bezahlt zu machen; bald kann sie wirklich etwas bewegen. Das muss gefeiert werden! Sie gibt eine kleine party für einige Freunde, die nach und nach eintrudeln.

 

Den Anfang macht die sarkastische April (Patricia Clarkson) mit ihrem esoterisch angehauchten deutschen Mann Gottfried (Bruno Ganz). Gefolgt von Martha, einer lesbischen Professorin für gender studies; ihre Partnerin Jinny ist Spitzenköchin und erwartet nach einer Hormonbehandlung nun Drillinge. Dazu kommt investment banker Tom, der Gatte von Janets engster Mitarbeiterin Marianne; sie will später noch vorbeischauen.

 

Programm-Musik + Koks im Bad

 

Gar nicht in Feierlaune ist Janets schweigsamer Ehemann Bill (Timothy Spall). Er scheint deprimiert und schon einigermaßen betrunken vom guten Rotwein; als erstes legt er eine progammatische blues-Platte auf. „I’m a man“ tönt es da aus den Lautsprechern – und die Vermutung liegt nahe, dass dieser Umstand in seinem Leben bislang nicht so richtig gewürdigt wurde.

 

Ebenso wenig gut gelaunt kommt der hektische Tom daher, den eine Handkamera alsbald ins Bad begleitet. Dort zieht er sich schnell noch eine Linie Koks durch die Nase und spielt mit eben jener Pistole, die später in Janets Hände geraten wird.

 

Kartenhaus bricht zusammen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ginger & Rosa" – Coming-of-Age-Drama über Bohemien-Jugend in London 1962 von Sally Potter

 

und hier eine Besprechung des Films "The Riot Club" – Sozialstudie über einen snobistischen Studenten-Club in Oxford von Lone Scherfig

 

und hier einen Beitrag über den Film "Cairo Time" – exotischer Ferienflirt in Ägypten von Ruba Nadda mit Patricia Clarkson

 

und hier einen Bericht über den Film "Mr. Turner - Meister des Lichts" – brillantes Biopic mit Timothy Spall als britischem Proto-Impressionisten William Turner von Mike Leigh.

 

Dann eröffnet Bill den Anwesenden, dass er aufgrund einer tödlichen Krankheit nur noch kurze Zeit zu leben habe. Er gedenke, die verbleibenden Tage mit Marianne zu verbringen – das lässt das Kartenhaus dieser intellektuellen Elite, die sich auf ihre fortschrittliche Liberalität so viel zugute hält, plötzlich zusammenbrechen.

 

In jeder neuen Gesprächssituation – ob im Flur, Badezimmer oder Garten – zerlegen die erstklassigen Darsteller mit Tempo und bissigem Witz ihre vermeintlich heile Welt; so enthüllen sie, dass ihre zwischenmenschlichen Beziehungen längst an Gedankenlosigkeit, Ängsten und selbstverständlicher Doppelmoral gescheitert sind.

 

Bestandsaufnahme der Gesellschaft

 

Laut eigenen Worten hatte Regisseurin Potter mit „The Party“ nach den britischen Parlamentswahlen im Mai 2015 und vor der Brexit-Abstimmung Ende Juni 2016 eine Art Bestandsaufnahme im Sinn: um die Unehrlichkeit der gesellschaftlichen Eliten unter die Lupe zu nehmen, die sich in einer Scheinwelt eingerichtet haben.

 

Demokratieverständnis, die Rolle der Banken in Turbokapitalismus und Finanzkrise oder der aktuelle Stand feministischer Theorie – all das kommt bei den Beziehungskrisen, die der  Film verhandelt, gleich mit zur Sprache. Dass der Mann einer Gesundheitsministerin in spe sich als Privatpatient natürlich nicht auf die staatliche Krankenvorsorge verlässt, ist da nur der Anfang.