Charlize Theron

Atomic Blonde

Die Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) hat einen neuen Auftrag in Berlin. Foto: Jonathan Prime. Fotoquelle: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 24.8.) Charlize Theron schlägt sich durchs geteilte Berlin, Til Schweiger spricht klar und deutlich: Seine Verfilmung einer Graphic Novel macht Regisseur David Leitch zum quietschbunten Agententhriller mit sorgfältiger Ausstattung und gut getimter Action.

Comic-Verfilmungen sind frisches Blut für die Hollywood-Filmindustrie. Im reißenden Strom der adaptierten Superhelden-Serien bilden vor allem Adaptionen von graphic novels zwischendurch kleine Inseln cineastischen Glücks, weil sie Drehbuch-Konventionen unterwandern und unverbrauchte visuelle Welten anzapfen. Zwischen dem literarischen Anspruch von graphic novel-Verfilmungen wie „V for Vendetta“ (2005) und der Dauer-action aus den Häusern Marvel und DC ist jede Menge Platz.

 

Info

 

Atomic Blonde

 

Regie: David Leitch,

115 Min., USA 2017;

mit: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman

 

Engl. Website zum Film

 

In diesen Zwischenraum platzt „Atomic Blonde“ mit viel Getöse. Die eher melancholisch schwarzweiße, seit 2012 veröffentlichte comic-Romanreihe „The Coldest City“ von Anthony Johnston und Sam Hart über die Endphase des Kalten Krieges wird zu einem quietschbunten Panorama des geteilten Berlins, in dem sich Historie mit Fiktion und Recherche mit Fabulierkunst mischen.

 

Aus der Badewannen-Perspektive

 

Mittendurch rennt, trickst, täuscht und prügelt sich die Heldin des Films. Lorraine Broughton ist eine der Schauspielerin Charlize Theron auf den Leib geschriebene Rolle: Sie teilt hart aus und muss ebenso hart einstecken. Nach einer brutalen Einführung in den rauen Tonfall des Films sitzt die Heldin in der Badewanne: Geschunden und gezeichnet von den Verwundungen der letzten Tage, bereitet sie sich auf eine Vernehmung durch ihre Vorgesetzten vom britischen Geheimdienst MI6 vor – das dient dem Film als Rahmenhandlung. In Rückblenden wird erzählt, woher Lorraine ihre zahlreichen blauen Flecken hat, und wer dafür alles büßen musste.

Offizieller Filmtrailer


 

Affäre mit französischer Kollegin

 

Und das sind allerhand Leute! Auf der Suche nach einer Liste von Doppelagenten vermöbelt Broughton nacheinander auf kreative Weise Polizisten in West- und Ostberlin; dann prügelt sie sich die Befehlskette von Stasi und KGB hinauf. Zwischendrin stellt sie Kontakt zu ihren britischen und französischen Kollegen in der Hauptstadt der DDR her. Der hedonistische MI6-Stationsleiter Percival wird von James McAvoy derart übertrieben schmierig dargestellt, dass es undenkbar ist, aus ihm und der atomaren Blondine könne ein konventionelles Hetero-Paar werden.

 

Richtig: Als Bettgespielin nimmt sich Lorraine lieber die unerfahrene französische Agentin Delphine (Sophia Boutella). So kostet dieser Agenten-thriller den Paradigmenwechsel bei seiner Hauptfigur voll aus: Eine Frau behält bis zum Schluss die Zügel in der Hand – ähnlich wie jüngst etwa Scarlett Johansson in „Ghost in the Shell“ oder Gal Gadot in „Wonder Woman“. Solche feministischen Positionen haben auch kommerzielle Hintergedanken: Wenn starke Frauen am Start sind, gehen mehr Pärchen ins Kino. Dabei bleibt der Film stets zwischen empowerment und Voyeurismus in der Schwebe, damit für alle etwas dabei ist.

 

Mit skateboards + David-Hasselhoff-Witzen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Verräter wie wir" - Geheimdienst-Thriller über die Russenmafia von Susanna White nach dem Roman von John Le Carré 

 

und hier eine Besprechung des Films "Kingsman: The Secret Service" - originelle Agentenfilm-Parodie von Matthew Vaughn

 

und hier einen Bericht über den Film "A Most Wanted Man" – nüchterner Thriller über Geheimdienst-Überwachung von Anton Corbijn

 

und hier einen Beitrag über den Film "Dame, König, As, Spion" – brillante Verfilmung des Geheimdienst-Bestsellers von John Le Carré durch Tomas Alfredson.

 

Wichtiger und amüsanter als die schlüssig choreographierten, aber gegen Ende arg zermürbenden Prügelszenen sind Tempo und Ausstattung des Films. Regisseur David Leitch erfindet ein Vorwende-Berlin, das weniger an Kalter-Krieg-Klassiker wie „Der zerrissene Vorhang“ (1966) von Alfred Hitchcock oder dem jüngeren „Bridge of Spies“ (2015) von Steven Spielberg erinnert, sondern mehr seiner eigenen popkulturellen Vision der jüngeren Stadtgeschichte entspricht.

 

Politische Dissidenten, die Percival rekrutiert hat, sind auf skateboards unterwegs. Kreuzberger punks feiern den Fall der Mauer –  was historischer Unfug ist – mit viel Bier, der Tempelhofer Flughafen taucht auf, und sogar Witze über den Schlagerfuzzi David Hasselhoff kommen vor. Nicht zu vergessen: Til Schweiger spielt mit und beeindruckt mit klarer Aussprache. Noch beeindruckender ist eine Kamerafahrt über den sorgfältig rekonstruierten Alexanderplatz während einer halbwegs überzeugenden Massen-Demonstration am 4. November 1989.

 

Dynamik ist alles

 

Humor und Ernst liegen hier so dicht beieinander wie exploitation und remix. Omnipräsente 1980er-Jahre-Hits des soundtrack werden durch aktuelle Versionen gespiegelt; etwa die unvermeidlichen „99 Luftballons“ von Nena. So hält der Film seine skurrile Spannung, wobei die Agentengeschichte freilich in den Hintergrund gedrängt wird. Am Ende ist doch alles Bewegung, Dynamik, Schauwerte, Referenzen, Augenzwinkern und sehr viel Auf-die-Fresse. Trotzdem: Wenn schon popcorn-comic-Kino, dann bitte so.