Vincent Lindon

Auguste Rodin

Auguste Rodin (Vincent Lindon) liebt junge schöne Modelle. Foto: © Wild Bunch Germany
(Kinostart: 31.8.) Mit Rodin begann die moderne Bildhauerei. Zum 100. Todestag porträtiert ihn Regisseur Jacques Doillon in einem subtilen Kammerspiel – fein austariert zwischen Atelier-Praxis, Amour Fou zu Camille Claudel und künstlerischen Obsessionen.

Der 100. Todestag von Auguste Rodin (1840-1917) hat hierzulande – anders als in Frankreich, wo er als Nationalheld gilt – wenig Resonanz gefunden: hier und da ein paar kleine Studioausstellungen, das war’s. Nun kommt für seine hiesigen Verehrer zumindest ein biopic über ihn ins Kino – und was für eines! Es lohnt auch für diejenigen, die ansonsten mit Statuen auf Sockeln wenig anfangen können.

 

Info

 

Auguste Rodin

 

Regie: Jacques Doillon,

119 Min., Frankreich 2017;

mit: Vincent Lindon, Izïa Higelin, Séverine Caneele

 

Website zum Film

 

Der französische Regie-Veteran Jacques Doillon hat seit 1974 mehr als 30 Filme gedreht. Einerseits legt er über den Begründer der modernen Bildhauerei eine konventionelle Filmbiografie vor: Sie setzt ein, als der 40-jährige Rodin (Vincent Lindon) den Auftrag für sein opus magnum „Das Höllentor“ erhält, und sie endet wenige Jahre vor seinem Tod. Andererseits wählt Doillon eine ungewöhnliche Form: Der Film spielt meist in dunklen Innenräumen, zeigt vorwiegend den Meister im Atelier bei der Arbeit– und wird doch keine Sekunde langweilig.

 

Jahrelanger Feinschliff

 

Diese Konzentration auf Werkstatt-Atmosphäre passt zum Porträtierten. Rodin war ein workaholic, der sich in manche Aufgaben jahrelang verbiss und immer wieder neu ansetzte, bis ihn ein Ergebnis endlich zufrieden stellte. Dafür brauchte er viel Zeit – was Regisseur Doillon nutzt, um das allmähliche Fortschreiten seines Arbeitsprozesses nachzuzeichnen.

Offizieller Filmtrailer


 

Liebes-Vertrag mit Camille Claudel

 

Etwa beim 1891 bestellten Denkmal für den Schriftsteller Honoré de Balzac: Erst modelliert Rodin das Antlitz eines Kraftkerls mit wilder Mähne. Dann den Körper; nackt mit Wampe und prallem Gemächt auf breit gespreizten Beinen stehend – dagegen protestieren die Auftraggeber. Schließlich wirft Rodin ihm einen Mantel über, der sich bauscht; so veranschaulicht er die Energie seines Trägers auf schickliche Weise. Bis zur Vollendung vergehen sieben Jahre.

 

Vergleichbare Langzeit-Projekte beschäftigen Rodin im Privatleben. 1883 wird die hochbegabte Camille Claudel (Izïa Higelin) seine Schülerin; er geht mit der damals 19-Jährigen ein Verhältnis ein. Drei Jahre später nötigt sie ihn, einen Vertrag abzuschließen, in dem er ihr pro forma allerlei Vorteile und Exklusivrechte einräumt, was der Film genüsslich auskostet. Vergebens: Rodin ist zwar Camille verfallen, denkt aber nicht daran, ihr zuliebe allen anderen Frauen abzuschwören.

 

Heirat im Todesjahr

 

Am allerwenigsten Rose Beuret (Séverine Caneele): Die Bauerntochter und Schneiderin ist seit 1864 seine Lebensgefährtin. Sie kann kaum lesen und schreiben, versteht nichts von Kunst, führt ihm aber den Haushalt – und ist für Rodin eine unersetzliche Vertraute. Die Beziehung zu Camille Claudel geht 1893 endgültig in die Brüche; das stürzt sie als Bildhauerin und Frau in eine tiefe Krise, von der sie sich nie wieder erholen wird. Dagegen hält das Band zwischen Auguste und Rose bis zuletzt. Sie heiraten im Januar 1917; nur einen Monat vor ihrem und zehn Monate vor seinem Tod.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Impressionismus – Die Kunst der Landschaft" mit Werken von Auguste Rodin im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung des Films "Final Portrait" – originelles Künstler-Porträt des Bildhauers Alberto Giacometti von Stanley Tucci

 

und hier ein Bericht über den Film "Das Mädchen und der Künstler" – sensibles Dokudrama über den Bildhauer Aristide Maillol von Fernando Trueba

 

und hier eine Kritik des Films "Der Wert des Menschen – La Loi du Marché" – Porträt eines Langzeit-Arbeitslosen von Stéphane Brizé mit Vincent Lindon

 

und hier einen Beitrag über den Film "La belle saison – Eine Sommerliebe" – lesbisches Liebesdrama in den 1970er Jahren von Catherine Corsini mit Izïa Higelin.

 

Ein arbeitswütiger Erotomane mit komplizierten Frauengeschichten – das soll der Stoff für ein fesselndes Künstlerdrama sein? In der Tat: wegen der brillanten Besetzung der Hauptrollen und der geschickten Inszenierung. Vincent Lindon, das sensible Raubein vom Dienst im französischen Autorenkino, hat eigens für diesen Film die Bildhauerei erlernt.

 

Erlöschende Expressivität

 

Mit Gewinn: Man merkt, dass er weiß, was er tut, wenn er an Büsten und Torsi hier ein paar Klümpchen Ton oder Gips anfügt, dort ein wenig wegnimmt. Eigentlich lässt sich das Anfertigen von Skulpturen, im Gegensatz zu Bildern, in Filmen nicht vorführen; dafür dauert es viel zu lange. Regisseur Doillon gelingt es trotzdem: Indem er sich auf ausgewählte Details und Perspektiven beschränkt, um zu demonstrieren, wie etwas Masse mehr oder weniger den Gesamteindruck verändert.

 

Wie sich auch der Stoiker Rodin im Lauf der Zeit verändert; dafür genügen Lindon wenige Zuckungen hinter seinem Rauschebart. Das Expressive übernimmt seine Mit- und Gegenspielerin Izïa Higelin als Camille Claudel: Anfangs vor Lebensfreude und Einfallsreichtum nur so übersprudelnd, erlischt sie im Verlauf der amour fou allmählich. Ihre Leidenschaft schwindet ebenso dahin wie ihre Kreativität; dass Rodin nach der Trennung sie noch inkognito aus der Ferne unterstützt, ist ein magerer Trost.

 

Preis der Kunst-Obsession

 

Doch Regisseur Doillon versagt sich jede Schönfärberei ebenso wie Pathos, Massenszenen oder andere Stilmittel, mit denen Kino-Epen über Nationalhelden gewöhnlich aufgedonnert werden. Sein Rodin-Porträt ist quasi ein Kammerspiel, verfolgt seinen Helden durch dessen Alltag und kaschiert nicht seine Schwächen. Und zeigt den hohen emotionalen Preis, den er zahlen musste, um unbeirrbar seiner Kunst nachzugehen – was diesen Film zu einem ähnlich gelungenen Meisterwerk macht wie dessen Skulpturen.