Stanley Tucci

Final Portrait

Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) modelliert im Atelier. Foto: © 2017 PROKINO Filmverleih GmbH
(Kinostart: 3.8.) Kunst kommt nicht von Können, sondern von Selbstzweifeln: Im Biopic über den Bildhauer Alberto Giacometti zeigt Stanley Tucci, was es bedeutet, mit dem eigenen Schaffen zu ringen – das intensive Porträt eines flamboyanten Künstlers.

Wann ist die Arbeit an einem Kunstwerk beendet? Dass die Ansichten über diese Frage weit auseinander gehen können, zeigt der Dokumentarfilm „Le mystère Picasso“ (1955), in dem Henri-Georges Clouzot den Künstler bei der Arbeit beobachtet. Kaum denkt man, Picassos transparente Tuschmalereien näherten sich ihrer Vollendung, fängt er an, alles wieder zu ändern, um dem Werk eine ganz neue Ausrichtung zu geben. Am Ende bleibt das Gefühl, der kreative Prozess könnte sich ewig fortsetzen. Die Fertigstellung des Kunstwerks scheint da fast wie ein Willkürakt.

 

Info

 

Final Portrait

 

Regie: Stanley Tucci,

90 Min., Großbritannien 2017;

mit: Geoffrey Rush, Armie Hammer, Clémence Poesy

 

Website zum Film

 

Auch der Schweizer Bildhauer und Maler Alberto Giacometti (1901-1966) fand nur schwer zu einem Ende. Schier endlos rang er bei jedem Bild und jeder Skulptur um Sujet und Form und suchte nach dem passenden künstlerischen Ausdruck. Was ihm stets schwer fiel, weil er zeitlebens von großen Selbstzweifeln geplagt wurde.

 

Einzelgänger der Moderne

 

Überwiegend in Paris lebend, war Giacometti mit den meisten der großen Kunst- und Kulturströmungen des 20. Jahrhunderts vertraut: Er bewegte sich im Umkreis der Kubisten um Picasso und war Mitglied der Surrealisten um André Breton. Er war befreundet mit dem Existenzial-Philosophen Jean-Paul Sartre, dem Maler Henri Matisse und dem Schriftsteller Jean Genet. Obwohl von allen ein Stück weit beeinflusst, lässt sich sein Werk – bis auf eine kurze kubistische Phase zu Beginn der 1930er Jahre – keiner geläufigen modernen Kunstrichtung zuordnen.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus Stunden werden Wochen

 

Giacometti blieb ein originäres Genie. Seine größte Popularität erfuhr er schließlich mit extrem schlanken Skulpturen menschlicher Figuren, an denen er nach dem Zweiten Weltkrieg zu arbeiten begann. Dass Malerei in seinem Spätwerk eine gleichrangige Bedeutung einnahm, gehört zu den weniger bekannten Aspekten seiner Karriere.

 

Auf dieses Spätwerk konzentriert sich Stanley Tuccis Regiearbeit „Final Portrait“; sie erzählt von einem verbürgten Treffen des US-amerikanischen Kunstkritikers James Lord (Armie Hammer) mit Giacometti (Geoffrey Rush) 1964 in Paris. Seinerzeit hatte Lord die Einladung des Künstlers angenommen, ihm in seinem Atelier für ein Bild Modell zu sitzen. Ein paar Stunden an einem Nachmittag werde das dauern, hatte ihm Giacometti versichert. Tatsächlich nahmen die Sitzungen schließlich rund drei Wochen in Anspruch, ehe Lord dem Künstler das immer wieder neu begonnene Bild mit sanfter Gewalt abringen konnte.

 

Sympathisch amüsanter Egomane

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Alberto Giacometti: Der Ursprung des Raumes"
Retrospektive des reifen Werkes im Kunstmuseum, Wolfsburg

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wiedereröffnung des Museums Berggruen" mit grandioser Kollektion der Klassischen Moderne, darunter etliche Werke von Alberto Giacometti in Berlin-Charlottenburg

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Best Offer – Das höchste Gebot" – Psychothriller im Kunsthandel von Giuseppe Tornatore mit Geoffrey Rush

 

und hier einen Beitrag über den Film "Spotlight" - brillanter Medien-Thriller von Tom McCarthy mit Stanley Tucci, prämiert mit dem Oscar als bester Film 2016.

 

Dass der Journalist, der 1965 das Buch „A Giacometti Portrait“ über diese Begegnung veröffentlichte, andauernd seine Flüge in die Heimat umbuchen muss, wird zum running gag des Films – er bietet einen unterhaltsamen Einblick in das chaotische Leben des etablierten Giacometti. Geoffrey Rush spielt ihn als einen Mann, der gerne trinkt, lacht und mit absurdem Witz seine Verachtung für das viele Geld zeigt, das er mittlerweile verdient.

 

Der kettenrauchende, ewig grantelnde Künstler ist sympathisch, flamboyant und amüsant – und hat als großer Egomane doch auch einige menschliche Defizite: Seit Jahren betrügt er auf verletzende Weise seine Frau Annette mit der Prostituierten Caroline, die ihm zugleich als Modell inspiriert.

 

Konstitutive Selbstzweifel

 

Dass sich der Film nicht allein im Anekdotischen verliert, zeigt sich in zentralen Szenen bei der Arbeit im Atelier: Die Ernsthaftigkeit des künstlerischen Ringens spiegelt sich in jenen Einstellungen, in denen die Kamera den genauen, durchdringenden Blick des Malers wiedergibt, dem selbst kleinste Veränderungen nicht entgehen. Giacomettis Selbstzweifel aber bleiben; sie scheinen geradezu konstitutiv für seine Kunst zu sein.

 

Den kreativen Prozess, der ja letztlich im Kopf stattfindet, kann freilich auch „Final Portrait“ nicht darstellen. Doch indem sich Stanley Tucci in seinem kammerspielartigen biopic auf einen kleinen Ausschnitt aus Giacomettis Leben beschränkt, erzählt er am Ende intensiver von den Fallen und Qualen künstlerischer Arbeit, als es ein Galopp durch alle Entwicklungsphasen des Künstlers vermocht hätte.