
Regisseur Éric Rohmer (1920-2010), einer der führenden Köpfe der französischen nouvelle vague und langjähriger Redakteur der Zeitschrift Cahiers du cinéma, setzte sich 1986 – im fünften Teil seiner Serie „Comédies et proverbes“ („Komödien und Sprichwörter“) – mit Einsamkeit und Alleinsein auseinander. Dafür liefert er mit seiner persönlichen Stilistik den passenden Rahmen: In „Le Rayon Vert“ fungiert die Kamera als ruhiger Beobachter; Musik kommt kaum vor.
Info
Le Rayon vert –
Das grüne Leuchten
Regie: Éric Rohmer,
98 Min., Frankreich 1986;
mit: Marie Rivière, Vincent Gauthier, Eric Hamm
Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf
Solo-Sommerreise wider Willen
Anfangs fährt die junge Sekretärin Delphine (Marie Rivière) mitten im Sommer spontan und alleine los – obwohl sie eigentlich gar nicht solo unterwegs sein mag. Ihre Reise führt sie über verschiedene Stationen wie die Küstenstadt Biarritz am Atlantik und die französischen Alpen in den baskischen Badeort Saint-Jean-de-Luz. Ihre Sommerreise ist jedoch geprägt von latenter Einsamkeit und Depression.
Auszug aus dem Film
Bilder kommentieren Dialoge
In seinem gesamten oeuvre erzählt Éric Rohmer in ungeschönt naturalistischen Bildern von Lebens-, Alltags- und Beziehungs-Geschichten. Trotz ihrer formalen Schlichtheit bestechen seine Filme durch ihre dramaturgische Raffinesse, weil sie so lebensnahe wie authentische Versuchsanordnungen sind. Bevor er sich dem Kino zuwandte, beschäftigte sich der Regisseur intensiv mit Literatur, klassischer Musik und Philosophie; seine Berufslaufbahn begann er als Lehrer.
Spuren dieser hochkulturellen Disziplinen ziehen sich durch sein gesamtes Werk. Dabei interessierte er sich vor allem für die Dialektik von Denken und Fühlen; ihr paradoxes Wechselspiel brachte er mithilfe seiner alltäglich anmutenden Geschichten auf die Leinwand. Mit ihrem virtuosen Oszillieren zwischen Rationalität und Erotik, sozialen Regeln und Zufällen ist seine Handschrift als Rohmer-Stil in die Filmgeschichte eingegangen. Seine sensiblen Analysen sozialer Beziehungen sind leicht zu erkennen: Stets wird viel geredet. Doch die Dialoge stehen nicht für sich, sondern sind eng mit den Bildern verbunden.
Intellektuell gemeistert, praktisch nicht
Die meisten Filme Rohmers laufen nach einem ähnlichen Schema ab. Auf der Bild- und Handlungsebene kämpfen die Protagonisten mit ihren Beziehungssorgen, sind erfolglos auf der Suche nach jemandem oder schon fündig geworden, können ihn oder sie aber nicht für sich gewinnen, und holen sich daher Rat bei Freunden. Dann wälzen sie in gemeinsamen Gesprächen Probleme, wobei auf hohem Niveau psychologisiert und philosophiert wird. Dabei treten immer wieder Widersprüche auf zwischen dem, was die Protagonisten sagen und wie sie handeln. Was intellektuell durchdrungen wird, ist in der Praxis nicht zu meistern.
Hintergrund
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Hoffnungsschimmer auf Kanaren
Der isoliert wirkenden Protagonistin folgt die Kamera in langen Einstellungen auf ihrer Reise. Dabei sucht Delphine nach erlösenden Momenten, in denen sich ihre Verwirrung auflösen wird. Selbst voller Wunschvorstellungen, fühlt sich die junge Frau unverstanden, auch von ihren besten Freundinnen.
Viele Wünsche bleiben tatsächlich unerfüllt. Allein das grüne Leuchten am Ende, das man nur an wolkenlosen Tagen in der Sekunde nach Sonnenuntergang sieht, hält einen Hoffnungsschimmer bereit. Dieser Moment tritt sehr selten auf; Kameramann Philippe Demard fing ihn sieben Monate nach dem Filmdreh auf den Kanaren ein.
Bedeutungsschwangeres Leuchten
Vielleicht liegt in diesem poetischen Moment auch eine metaphysische Flüchtigkeit des Absoluten. Das Leuchten ist in Wirklichkeit keine übertrieben beeindruckende Naturerscheinung, wird aber von den Film-Charakteren mit Bedeutung aufgeblasen. Auch hier lässt Regisseur Rohmer einen Gegensatz stehen: zwischen dem, was die Bilder zeigen, und dem, was die Protagonisten mit ihren Worten erreichen wollen.
Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf