Éric Rohmer

Le Rayon vert – Das grüne Leuchten

Jacques (Vincent Gauthier) und Delphine (Marie Rivière). Fotoquelle: Filmmuseum Düsseldorf
Leben als Dauerpalaver: Kein anderer Regisseur hat Widersprüche zwischen dem, was Menschen sagen, und ihren Taten so charmant in Kino verwandelt wie Eric Rohmer. Für "Das grüne Leuchten" erhielt er 1986 den Goldenen Löwen – am 19.9. im Filmmuseum Düsseldorf.

Regisseur Éric Rohmer (1920-2010), einer der führenden Köpfe der französischen nouvelle vague und langjähriger Redakteur der Zeitschrift Cahiers du cinéma, setzte sich 1986 – im fünften Teil seiner Serie „Comédies et proverbes“ („Komödien und Sprichwörter“) – mit Einsamkeit und Alleinsein auseinander. Dafür liefert er mit seiner persönlichen Stilistik den passenden Rahmen: In „Le Rayon Vert“ fungiert die Kamera als ruhiger Beobachter; Musik kommt kaum vor.

 

Info

 

Le Rayon vert –
Das grüne Leuchten

 

Regie: Éric Rohmer,

98 Min., Frankreich 1986;

mit: Marie Rivière, Vincent Gauthier, Eric Hamm

 

Weitere Informationen

 

Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf

 

Eine Besonderheit des Films ist, dass Rohmer anders als sonst die Schauspieler sehr viel improvisieren lässt. So wird „Das grüne Leuchten“ zu einem außergewöhnlichen Werk im Schaffen des Regisseurs, das 27 Spielfilme, etliche Kurzfilme und andere Arbeiten umfasst: Ein sommerliches Zeit-Bild, in dem das Warten nicht erfüllt und die Verwirrung kaum aufgelöst wird; doch am Ende winkt ein Leuchten. Dafür wurde der Film 1986 beim Festival in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämiert – die höchste Auszeichnung, die Rohmer je erhalten hat.

 

Solo-Sommerreise wider Willen

 

Anfangs fährt die junge Sekretärin Delphine (Marie Rivière) mitten im Sommer spontan und alleine los – obwohl sie eigentlich gar nicht solo unterwegs sein mag. Ihre Reise führt sie über verschiedene Stationen wie die Küstenstadt Biarritz am Atlantik und die französischen Alpen in den baskischen Badeort Saint-Jean-de-Luz. Ihre Sommerreise ist jedoch geprägt von latenter Einsamkeit und Depression.

Auszug aus dem Film


 

Bilder kommentieren Dialoge

 

In seinem gesamten oeuvre erzählt Éric Rohmer in ungeschönt naturalistischen Bildern von Lebens-, Alltags- und Beziehungs-Geschichten. Trotz ihrer formalen Schlichtheit bestechen seine Filme durch ihre dramaturgische Raffinesse, weil sie so lebensnahe wie authentische Versuchsanordnungen sind. Bevor er sich dem Kino zuwandte, beschäftigte sich der Regisseur intensiv mit Literatur, klassischer Musik und Philosophie; seine Berufslaufbahn begann er als Lehrer.

 

Spuren dieser hochkulturellen Disziplinen ziehen sich durch sein gesamtes Werk. Dabei interessierte er sich vor allem für die Dialektik von Denken und Fühlen; ihr paradoxes Wechselspiel brachte er mithilfe seiner alltäglich anmutenden Geschichten auf die Leinwand. Mit ihrem virtuosen Oszillieren zwischen Rationalität und Erotik, sozialen Regeln und Zufällen ist seine Handschrift als Rohmer-Stil in die Filmgeschichte eingegangen. Seine sensiblen Analysen sozialer Beziehungen sind leicht zu erkennen: Stets wird viel geredet. Doch die Dialoge stehen nicht für sich, sondern sind eng mit den Bildern verbunden.

 

Intellektuell gemeistert, praktisch nicht

 

Die meisten Filme Rohmers laufen nach einem ähnlichen Schema ab. Auf der Bild- und Handlungsebene kämpfen die Protagonisten mit ihren Beziehungssorgen, sind erfolglos auf der Suche nach jemandem oder schon fündig geworden, können ihn oder sie aber nicht für sich gewinnen, und holen sich daher Rat bei Freunden. Dann wälzen sie in gemeinsamen Gesprächen Probleme, wobei auf hohem Niveau psychologisiert und philosophiert wird. Dabei treten immer wieder Widersprüche auf zwischen dem, was die Protagonisten sagen und wie sie handeln. Was intellektuell durchdrungen wird, ist in der Praxis nicht zu meistern.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Belle de Jour - Schöne des Tages" - faszinierender Erotik-Klassiker von Luis Buñuel mit Catherine Deneuve

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein – Les bien-aimés" - brillantes französisches Musical-Melodram von Christophe Honoré mit Catherine Deneuve + Chiara Mastroianni

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ihr werdet Euch noch wundern" – französisches Konversations-Drama unter Liebespaaren von Alain Resnais mit Michel Piccoli + Mathieu Amalric.

 

„Le rayon vert“, gedreht mit niedrigem Budget und kleiner crew vor allem aus Amateuren, steht beispielhaft für dieses Kino und geht doch einen Schritt darüber hinaus – komödiantisch und traurig zugleich. Hauptdarstellerin Marie Rivière legt in ihr emotionales tiefgründiges Porträt der jungen Delphine eine Sehnsucht nach Nähe hinein, die über das Bild hinaus wirkt.

 

Hoffnungsschimmer auf Kanaren

 

Der isoliert wirkenden Protagonistin folgt die Kamera in langen Einstellungen auf ihrer Reise. Dabei sucht Delphine nach erlösenden Momenten, in denen sich ihre Verwirrung auflösen wird. Selbst voller Wunschvorstellungen, fühlt sich die junge Frau unverstanden, auch von ihren besten Freundinnen.

 

Viele Wünsche bleiben tatsächlich unerfüllt. Allein das grüne Leuchten am Ende, das man nur an wolkenlosen Tagen in der Sekunde nach Sonnenuntergang sieht, hält einen Hoffnungsschimmer bereit. Dieser Moment tritt sehr selten auf; Kameramann Philippe Demard fing ihn sieben Monate nach dem Filmdreh auf den Kanaren ein.

 

Bedeutungsschwangeres Leuchten

 

Vielleicht liegt in diesem poetischen Moment auch eine metaphysische Flüchtigkeit des Absoluten. Das Leuchten ist in Wirklichkeit keine übertrieben beeindruckende Naturerscheinung, wird aber von den Film-Charakteren mit Bedeutung aufgeblasen. Auch hier lässt Regisseur Rohmer einen Gegensatz stehen: zwischen dem, was die Bilder zeigen, und dem, was die Protagonisten mit ihren Worten erreichen wollen.

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf