Chemnitz + Mannheim

Schätze der Archäologie Vietnams

Tempelkomplex von Po Klong Garai bei Phan Rang, Provinz Ninh Thuận, Südvietnam. Foto: Andreas Reinecke, Fotoquelle: ohe
Jenseits von Imbiss und Blumenladen: Die faszinierende Vielfalt der vietnamesischen Kultur stellt eine prachtvolle Ausstellung erstmals hierzulande ausgiebig vor. Mit ausgefeilter Inszenierung kommen SMAC Chemnitz und REM Mannheim ohne Fachsimpelei aus.

So nah, so fern: Rund 100.000 Vietnamesen leben in Deutschland; keine ostasiatische Nation ist präsenter als sie. Die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter und früheren boat people, die als Vietnamkriegs-Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufgenommen wurden, sind vergleichsweise gut integriert. Vietnamesische Lokale haben vielerorts Thai- und China-Restaurants verdrängt; Branchen wie Blumen- und ambulanter Textilhandel sind überwiegend in vietnamesischer Hand. Für deutsche Touristen ist Vietnam eines der populärsten Reiseziele in Asien.

 

Info

 

Schätze der Archäologie Vietnams

 

31.03.2017 - 20.08.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Staatlichen Museum für Archäologie (SMAC), Stefan-Heym-Platz 1, Chemnitz

 

Katalog 24,95 €

 

Weitere Informationen

 

16.09.2017 - 07.01.2018

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

in den Reiss-Engelhorn-Museen (REM), Museum Weltkulturen D5, Mannheim

 

Weitere Informationen

 

Dennoch leben Deutsche und Vietnamesen mit freundlichem Desinteresse nebeneinander her. Das „Dong Xuan Center“ in Berlin-Lichtenberg ist eine Welt für sich: In dem riesigen Großmarkt voller Importwaren sind Deutsche zwar als Kunden gern gesehen – doch der Kontakt beschränkt sich meist aufs Bedienen und Bezahlen. Von der Jahrtausende alten Kultur Vietnams wissen die meisten Deutschen so gut wie nichts.

 

Bisher größte Vietnam-Schau in Europa

 

Umso verdienstvoller ist diese Schau in drei deutschen Städten: Nach dem Auftakt in Herne wird sie derzeit in Chemnitz präsentiert und wandert anschließend nach Mannheim. Als bislang umfassendste Ausstellung zur vietnamesischen Kulturgeschichte, die jemals in Europa zu sehen war: Anhand von 400 Objekten bietet sie einen prägnanten und konzentrierten Überblick über die Entwicklung dieses Kulturraums von der Steinzeit bis ins 19. Jahrhundert – samt Seitenblicken auf die Gegenwart.

 

Dabei vermeidet sie elegant den Kardinalfehler, an dem viele Ausstellungen zur Frühgeschichte kranken: eine Fixierung aufs Fachpublikum. Heutige Archäologie ist eine hochspezialisierte Wissenschaft, die über Zuschreibungs- und Datierungsfragen ausgiebig debattiert. Am liebsten beim detaillierten Vergleich einzelner Ausgrabungs-Stätten, deren Funde kleinteilig in Vitrinen ausgebreitet werden; lange Reihen von Faustkeilen, Speerspitzen und Ähnlichem schrecken Laien eher ab.

Impressionen der Ausstellung


 

Musik von 3000 Jahre alten Klangsteinen

 

Hier nicht: das Kuratoren-Team hat alle Statistiken und Tabellen für Experten in den gewichtigen Katalog verbannt. Dagegen sind in den neun Abschnitten der Schau jeweils klug ausgewählte Beispiel-Exponate zu sehen; so kommt trotz ihrer hohen Zahl nirgends der Eindruck von Überfülle auf. Zudem sorgt eine ausgefeilte Dramaturgie, die zwischen Vergangenheit und Jetztzeit hin und her springt, für anschauliche Wechselbezüge der Zeitebenen: Sie zeigt, wie Vietnam allmählich zu der Kulturnation wurde, die es heute ist.

 

Der ungezwungene Gegenwarts-Bezug beginnt schon in der Jungsteinzeit. Den ersten Raum füllen mittig 19 erhaltene und vier zerbrochene Klangsteine; sie sind mehr als 3000 Jahre alt. Dieses so genannte Lithophon wurde 2008 im Bett eines Bergbachs in Mittelvietnam entdeckt; ohnehin wurden die meisten Exponate der Schau erst in den letzten 40 Jahren gefunden oder ausgegraben. Harmonisch gestimmte Steine lassen sich spielen wie ein Xylophon – und das darf auch jeder auf einer Replik, was vor allem Kinder und Jugendliche eifrig tun.  

 

Kolossale Bronze-Trommeln

 

Zeitlos brauchbar ist auch Bambus, seit alters her ein Allzweck-Material in Vietnam: für kleine Körbchen ebenso benutzt wie für haushohe Baugerüste. Der Ansatz, aus grauer Vorzeit eine Brücke bis heute zu schlagen, kommt allerdings beim Grundnahrungsmittel Reis an seine Grenzen. Verschiedene Körner-Sorten in Gläsern und Endprodukte wie Papier und Schnaps verdeutlichen nicht, welche Konsequenzen der Nassreisanbau für asiatische Gesellschaften hat: Er zwingt zu koordiniertem Handeln als Kollektiv.

 

Ungemein eindrucksvoll sind dagegen enorm große und schwere Bronzetrommeln der nach ihrem wichtigsten Fundort benannten Dong-Son-Kultur; sie entstanden in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende. Diese Kolosse dienten wohl rituellen Zwecken. Sie wurden ringsum mit fein ausgearbeiteten Motiven verziert – und damit eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion der altvietnamesischen Vorstellungswelt, zu der schriftliche Zeugnisse fehlen.

 

US-Bomber zerstörten Tempelstadt

 

Denn im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde Nordvietnam von chinesischen Truppen erobert; sie herrschten mit kurzen Unterbrechungen fast 1000 Jahre lang. Dadurch wurde die Region unwiderruflich von den nördlichen Nachbarn geprägt: in Wirtschaftsweise, Schrift und Religion. In Mittelvietnam existierten derweil zwischen dem 4. und dem 15. Jahrhundert mehrere kleine Königreiche diverser Völker, darunter die Cham, die unter dem Oberbegriff Champa zusammengefasst werden; ihre Kultur wurde aus Indien stark hinduistisch und buddhistisch beeinflusst.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Buddha - Sammler öffnen ihre Schatzkammern" mit "232 Meisterwerken buddhistischer Kunst aus 2.000 Jahren" - fantastische Überblicks-Schau in der Völklinger Hütte

 

und hier eine Besprechung der Schau "Glanz der Kaiser von China" - hervorragender Panorama von Kunst + Leben in der Verbotenen Stadt im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Myanmar - Von Pagoden, Longyis und Nat-Geistern" - anschauliche + opulente Präsentation des früheren Burma im Museum Fünf Kontinente, München

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Mythos Goldenes Dreieck" über Kunst + Kultur der Bergvölker in Südostasien im Ethnologischen Museum, Berlin-Dahlem.

 

Das inszeniert die Ausstellung glänzend im Abschnitt zur Tempelstadt My Son, die einst 70 Tempel umfasste; mittlerweile sind vier Fünftel von ihnen zerstört, auch aufgrund von Angriffen durch US-Bomber im Vietnamkrieg. Dennoch lassen Fototapeten, Computer-Simulationen und Modelle die einstige Pracht der Kultstätten erahnen, die meist in Ziegelbauweise errichtet worden waren; Skulpturen und Spolien demonstrieren, dass die dortige Steinmetzkunst derjenigen im Khmer-Reich oder auf dem indischen Subkontinent in nichts nachstand.

 

Drachen- + Phönix-Kopf auf Kaiser-Dach

 

Vietnams Geschichte in Mittelalter und Neuzeit lässt sich grob als langsames Vordringen der Herrscher im Landesnorden nach Süden beschreiben; tatsächlich war dieser Prozess sehr wechselhaft und kompliziert. Sinnvollerweise versucht die Schau gar nicht, ihn nachzuzeichnen; stattdessen beschränkt sie sich auf aussagekräftige Artefakte aller Epochen.

 

Etwa auf zwei prachtvolle Dachfirst-Aufsätze aus Terrakotta, die auf dem Areal der einstigen kaiserlichen Zitadelle Thang Long mitten in der heutigen Hauptstadt Hanoi gefunden wurden. Stark stilisiert repräsentieren sie die Köpfe von Drachen und Phönix. Beide sind wichtige Tiere der chinesischen Mythologie, doch ihre vietnamesischen Versionen sehen erkennbar anders aus: Der Drache ähnelt mit Rüssel und Stoßzähnen dem Cham-Seeungeheuer Makara. Der Phönix macht Anleihen bei Garuda – dem halb menschlichen, halb vogelartigen Reittier des Hindu-Gottes Vishnu.

 

Wasserpuppen-Theater ohne Worte

 

Solcher Synkretismus ist typisch für die Kulturen Südostasiens, die im Lauf der Jahrhunderte viele fremde Einflüsse aufnahmen: von der islamischen Welt bis Nordostasien. Absolut einzigartig ist aber das Wasserpuppen-Theater, das nur in Vietnam existiert. Rund 1000 Jahre alt, wäre es im 20. Jahrhundert fast ausgestorben, bis es in den 1980er Jahren wiederbelebt wurde.

 

Die Spieler hantieren mit langen Stangen, auf denen die Puppen montiert sind, in einem Wasserbecken; sie stellen beliebte Legenden oder genre-Szenen dar. Zwar lässt sich das nur auf Monitoren verfolgen – doch das Geplansche der bunten Figuren zu traditioneller Musik ist ein fröhliches Spektakel, das keiner interkulturellen Übersetzung bedarf.