Hamburg

Bill Viola – Installationen

Bill Viola: Fire Woman, 2005. Color High-Definition video projection; four channels of sound with subwoofer (4.1). Performer: Robin Bonaccorsi © Kira Perov, courtesy of Bill Viola Studio. Fotoquelle: Deichtorhallen Hamburg
Rembrandt des Digitalzeitalters: Mit aufwändigen Inszenierungen veranschaulicht der Videokünstler Bill Viola elementare Erfahrungen. Ihm widmen die Deichtorhallen eine opulente Werkschau – zwischen raffinierter Lichtregie und semisakralem Edelkitsch.

Einen „Rembrandt des digitalen Zeitalters“ hat man Bill Viola genannt. So vermessen der Vergleich klingt, hat er doch einiges für sich. Angefangen beim Ruhm: Spätestens seit seinem Beitrag zur Biennale in Venedig 1995 ist Viola ein pop star der Gegenwartskunst. Seine stets aufwändig präsentierten Video-Installationen begeistern zahllose fans, von denen sich viele ansonsten kaum für zeitgenössische Kunst interessieren.

 

Info

 

Bill Viola - Installationen

 

02.06.2017 - 24.09.2017

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr,

in den Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Hamburg

 

Katalog 29,80 €

 

Weitere Informationen

 

Ihre Popularität gründet auf einer raffinierten Lichtregie, die tatsächlich vom niederländischen Barockmeister inspiriert erscheint: Vor meist schwarzem Hintergrund schält Viola seine Protagonisten visuell wie mit Punktstrahlern heraus. Sie werden von solch dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten semisakral überhöht, als stünden sie jederzeit im Rampenlicht.

 

Zeitlupe + Rückwärtsmodus

 

Wobei alles in extremer Zeitlupe geschieht, die kleinste Bewegungen oder Veränderungen höchst bedeutsam wirken lässt; zusätzlich dient rückwärts laufender Film als simpler, aber eindrucksvoller Verfremdungseffekt. Schließlich bedient sich Viola wie schon Rembrandt freihändig bei religiöser Ikonographie, um essentielle Zustände der conditio humana vor Augen zu führen.

Impressionen der Ausstellung


 

Zur Entstehung des Systems Viola

 

Da verwundert nicht, dass die Deichtorhallen diese Werkschau als ihren Beitrag zum 500. Reformationsjubiläum verstanden wissen wollen – entstanden auf Anregung der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. Wie kaum ein anderer Gegenwartskünstler beansprucht Viola, in seinen Arbeiten elementare Erfahrungen und letzte Fragen zu veranschaulichen. Womit er – passend zum Anlass, denn die Reformation war ja zunächst eine Glaubensspaltung – die Betrachter in zwei Lager teilt: Seine Anhänger sind ergriffen, Kritiker tun sie als prätentiösen Edelkitsch ab.

 

Um sich für oder gegen Gefolgschaft zu entscheiden, ist diese Retrospektive bestens geeignet, weil sie gleich 13 Werke von Viola versammelt. Oft zeigen Ausstellungen wegen erheblichen Platzbedarfs nur ein oder zwei; so auch die documenta 14 in Kassel, auf der Violas Beitrag zu den beliebtesten zählt. Hier wird jedoch seine Arbeitsweise seit Mitte der 1990er Jahre dokumentiert. So lässt sich gleichsam die Entstehung des Systems Viola nachvollziehen – das, wie jedes eingespielte System, inzwischen leichte Abnutzungserscheinungen aufweist.

 

In der Kathedrale des 21. Jahrhunderts

 

Das Frühwerk ist in eine begehbare Schuhschachtel im Eingangsbereich verbannt. Zurecht: Solche falschfarbig unscharfen VHS-Kurzfilme, in denen der angehende Videokünstler das Manipulations-Potential der neuen Technik auslotet, sind heutzutage allenfalls noch für Medienkunst-Historiker interessant; das allgemeine Publikum hat höhere Ansprüche.

 

Die werden in den abgedunkelten Deichtorhallen, in aller Bescheidenheit „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“ genannt, reichlich bedient. In der Haupthalle hängt die zentrale, zehn Meter hohe Leinwand wie die Retabel eines Hochaltars; der Raum davor böte einer hundertköpfigen Gemeinde Platz. Wie in jeder Großkirche empfiehlt sich aber zunächst ein Rundgang entlang der Kapellen und Nebenaltäre, bevor man sich dem Allerheiligsten zuwendet.

 

Kanonische Künstler-Interpretationen

 

Dabei erstaunt die Vielzahl unterschiedlicher Formate. Das Flachbildschirm-Diptychon „Dolorosa“ (2000) ist kaum größer als ein Reisealtar; es erlaubt intime Versenkung in den Anblick von Frau und Mann, die lautlos herzzerreißend weinen. Daneben lässt sich in „Catherine’s Room“ der Tagesablauf einer asketisch lebenden Frau auf fünf Monitoren wie bei einer Folge von Guckkasten-Bühnen betrachten – die Ähnlichkeit zu Stationen aus dem Dasein der heiligen Katharina auf einer Altar-Predella ist beabsichtigt.

 

Derartige Rückschlüsse sind keine Spekulation: Der Künstler gibt sie ausdrücklich vor. Im Begleitheft zur Ausstellung liefert er für jede Arbeit eine ausführliche Erläuterung. Dass solche kanonischen Interpretationen ex cathedra keine Fragen offen lassen, mögen manche Besucher als beruhigend empfinden – doch sie nehmen dieser Kunst allen Reiz des Unbestimmten und Vieldeutigen. Man sieht nur, was ihr Schöpfer dekretiert.

 

Wasser als Inbegriff anderer Welten

 

Zuweilen tritt er auf wie ein Magier, der seine Zaubertricks erklärt. Etwa bei „Surrender“ (2001): Die übereinander montierten Brustbilder von Frau und Mann kräuseln sich plötzlich wild, weil nur ihre Spiegelbilder auf der Wasseroberfläche zu sehen sind, in die sie eingetaucht sind – die verzerrte Wellenbewegungen sollen ihre seelische Erregung ausdrücken. Also im Grunde das, was schon der antiken Sagengestalt Narziss widerfuhr.

 

Dabei reizt Viola die optischen Qualitäten von Wasser auf kreative Weise aus. Bereits seine frühe Arbeit „He Weeps For You“ (1976) für die documenta 6 kreiste um Spiegelungen in einem Wassertropfen. Seither lädt er das Nass als Inbegriff einer anderen Sphäre auf: In „The Messenger“ (1996) ist ein nackter Mann anfangs nur als flüssiger Schemen zu erahnen. Er taucht im Gewässer auf und wieder unter – mit akustischem Aplomb, als wechsele er die Welten.

 

Links Gebären, rechts Sterben

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  "documenta 14: Fridericianum" - Rundgang durch den Hauptstandort der Ausstellung 2017 in Kassel mit einer Installation von Bill Viola

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Julian Rosefeldt - Manifesto" - facettenreiche 13-Kanal-Videoinstallation mit Cate Blanchett im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier einen Bericht über Ausstellung "Gehorsam" mit zahlreichen Video-Installationen von Filmregisseur Peter Greenaway im Jüdischen Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Stan Douglas: Mise en scène" - Re-Inszenierungen historischer Ereignisse mit Foto- und Film-Installationen im Haus der Kunst, München.

 

Ähnlich „The Innocents“ (2007) oder „Three Women“ (2008): Hinter einem Wasserfall-Vorhang wirken Akteure wie graue Gespenster. Sie treten mit malerischem Sprühregen hindurch, nehmen Farbe und Leben an – und verschwinden wieder. Das ist hübsch arrangiert und effektvoll gefilmt, aber inhaltlich doch eher belanglos. Es sei denn, man begreift jeden Ortswechsel unter Einwirkung der vier Elemente als existentielle Erfahrung – dazu reicht ein Wolkenbruch aus.

 

Vor 25 Jahren nahm Viola menschliche Existenz noch buchstäblich: Im „Nantes Triptych“ (1992) gebiert links eine Schwangere vor laufender Kamera. Rechts hört und sieht man die letzten Atemzüge einer Greisin auf dem Sterbebett, dazwischen bewegt sich ein bekleideter Mann erratisch unter Wasser. Geburt, Schlaf und Tod – schmucklos abgelichtet, aber in seinem kruden Naturalismus außergewöhnlich: So drastisch wird Anfang und Ende des Daseins fast nie gezeigt.

 

Bildsprache der Überwältigung

 

Doch inzwischen hat sich der Künstler eine Hochglanz-Ästhetik zugelegt, die ein begrenztes Motiv-repertoire mit immer größerem Pomp variiert. Seine Bildsprache der Überwältigung sieht aus wie für IMAX-Kinos komponiert. Etwa „Fire Woman“ (2005) auf der Hochaltar-Leinwand: Eine Frauen-Silhouette stürzt sich scheinbar in ein Flammenmeer, was Viola als Sinnbild von ultimativem Verlust verstanden wissen will.

 

Gefolgt von „Tristan’s Ascension“ (2006) als Bühnenbild für die Wagner-Oper „Tristan und Isolde“: Ein lebloser Körper wird von einem rückwärts laufenden Wasserfall langsam empor gehoben und entschwindet im Himmel. So inszeniert Bill Viola unbekümmert die Auferstehung, das größte Mysterium aller Erlösungsreligionen: Das ist weniger spirituell als vielmehr blasphemisch.