Auch Popkultur lebt von Mythen: Sie ordnen die chaotische Vielfalt von Informationen zur sinnstiftenden Erzählung. Die erweist sich oft als recht langlebig – auch wenn ihr eigentlicher Gegenstand schon etwas verblasst ist. Ein solcher Fall ist der des Musikproduzenten Conny Plank; er starb bereits 1987 im Alter von nur 47 Jahren an Krebs. Dennoch lebt sein Ruhm unter Musikfans bis heute fort: Plank gilt als Miterfinder und -vollender des Krautrock- und frühen Elektronik-sounds der 1970er Jahre.
Info
Conny Plank – The Potential of Noise
Regie: Reto Caduff + Stephan Plank,
92 Min., Deutschland 2017;
Der Stoff, aus dem Helden sind
Stephan war 13 Jahre alt, als sein Vater starb. Nun versucht er mit seiner filmischen Spurensuche laut eigenen Worten „den Conny Plank kennenzulernen, den ich nie kennenlernen konnte.“ Aus Interviews mit Freunden und Weggefährten konstruiert er als Sprecher und zentraler Protagonist einen Stoff, aus dem Heldengeschichten sind.
Offizieller Filmtrailer
Musik-Leistung unter Anekdoten begraben
Angefangen mit dem Klischee des einfachen Mannes von nebenan, 1940 geboren, der sich zum Genie mausert: durch die Ausbildung zum Elektrotechniker, dann zum Tonmeister beim Rundfunk. Nach Begegnungen mit E-Musik-Avantgardisten wie dem Komponisten Karl Heinz Stockhausen oder Mauricio Kagel und diversen Stationen richtet er 1974 auf einem alten Bauernhof in der rheinischen Provinz sein eigenes Tonstudio ein. Dort gehen schon bald nationale und internationale stars ein und aus: von „DAF“ und „Ideal“ bis zu Brian Eno und Gianna Nannini.
Um zu berichten, wie es zuging bei Conny, den sie alle kumpelhaft so nennen, wird eine Armee aus talking heads aufgefahren. Sohn Stephan, der ständig in irgendwelchen Taxis, Flugzeugen oder Zügen abgelichtet wird, lässt sie schwadronieren. Das ist mal mehr, öfter aber weniger interessant – weil Planks wirkliche musikalische Größe unter Anekdoten begraben wird.
Blumig begründungsloses Lob
Da kann David Stewart von den „Eurythmics“, der mit Hut, Sonnenbrille und Weinglas in seiner Luxuswohnung den unterkühlten Dandy mimt, noch so viel schwafeln. Da kann Robert Görl von „DAF“ – der Plank bis heute dankbar ist, weil er ihr Debütalbum in nur drei Tagen zum Schnäppchenpreis produzierte und dem Duo obendrein einen Plattenvertrag verschaffte – noch so viel schwärmen. Da können sich alle anderen noch so einig sein über sein Talent, jede Musik mit dem gewissen Etwas anzureichern: dieser refrain des blumig begründungslosen Lobes ermüdet so schnell wie die Reiseszenen und die sprechenden Köpfe.
Warum „Produced by Conny Plank“ ab Mitte der 1970er Jahre zur chiffre für einen neuen, frischen sound wurde, der seiner Zeit stets voraus war, bleibt im Vagen. Genauso wie die künstlerischen Motive des Mannes mit langen Haaren und perfekt gestutztem Vollbart. Wirklich Interessantes wird nur gestreift. Etwa, wenn der britische Musikjournalist David Stubbs einmal von den historischen Entstehungs-Umständen von Krautrock spricht; also jenem Musikstil, dessen Pate Conny wurde – und der im Ausland wesentlich berühmter war als im Land seiner Herkunft.
Zwangsjacke der song-strukturen abgestreift
Hintergrund
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Dass sich der Querdenker-Produzent dessen durchaus bewusst war, wird angedeutet, wenn er in Archivmaterial selbst spricht: Etwa in einem TV-Interview, in dem er erläutert, warum er die schon damals berühmte irische Band „U2“ ablehnte – ihre Erfolgsgier war ihm zuwider. Oder er erklärt, dass Geld für ihn nur ein durchlaufender Posten sei: so „wie die laufenden Bänder im Studio“. Zwei aufschlussreiche Fundstücke, die diese durchschnittliche Doku vor der völligen Belanglosigkeit retten. Ein echter fauxpas ist aber, dass die Musik, um die sich alles dreht, nur als Klangbett im Hintergrund herumdudelt – ohne dass man erführe, was genau zu hören ist.
Papa was a workoholic
Befremdlich ist auch, dass der Film leicht verbittert endet. So erzählt Holger Czukay, vor kurzem verstorbener Bassist von „Can“, dem etwas verdutzt wirkenden Stephan, dass sich Conny damals kaum um seinen Sohn gekümmert habe. Dass jene Besessenheit, mit der Conny täglich viele Stunden vor dem Mischpult saß, zulasten seiner Familie ging, ist traurig – aber nichts, was die Planks von vielen anderen Familien unterschiede. So endet „The Potential of Noise“ als Doku väterlicher Versäumnisse – anstelle der Größe eines Mannes gerecht zu werden, der die Musik des späten 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgeprägt hat.