„Die Wunde“ ist ein ganz einfacher Spielfilm, fast nur mit Handkamera und Laien-Darstellern in einer ländlichen Gemeinschaft gedreht. Und zugleich ist das Debüt des südafrikanischen Regisseurs John Trengove ein sehr kühner Film, rührt er doch an zwei Tabus: Initiations-Rituale und Homosexualität. Tabu bedeutet hier nicht „heikles Thema“, das aufzugreifen für neugierige Aufmerksamkeit sorgt. In Afrika sind beide sujets echte Tabus: Sie anzusprechen, wird oft mit sozialer Ächtung oder Schlimmerem geahndet.
Info
Die Wunde
Regie: John Trengove,
88 Min., Südafrika/ Deutschland 2016;
mit: Nakhane Touré, Niza Jay Ncoyini, Bongile Mantsai
Warten, bis Vorhaut verheilt ist
Die Heranwachsenden werden rituell beschnitten und müssen in Einzelhütten ausharren, bis ihre Wunden verheilt sind. Derweil bringen ihnen etwas ältere Betreuer („Kankatha“) die Fähigkeiten erwachsener Männer bei: etwa fachmännisches Holzhacken oder Schlachten von Ziegen. Nach etwa zwei Wochen kehren sie als frisch gebackene Erwachsene unter dem Jubel ihrer Verwandten in ihre Dörfer zurück.
Offizieller Filmtrailer
Stadtkind besucht Landeier
Xolani (Nakhane Touré) lebt als Lagerarbeiter in der Kleinstadt Queenstown, kommt aber zwei Mal jährlich für die Ukwaluka-Zeremonie in seine Heimatregion. Dort trifft er auch seinen alten Kumpel Vija (Bongile Mantsai), mit dem ihn mehr als nur eine Jugendfreundschaft verbindet: Ihr Wiedersehen feiern sie in einem leeren Haus mit einem schwulen quickie.
Bei der diesjährigen Initiations-Zeremonie soll sich Xolani um Kwanda (Niza Jay Ncoyini) kümmern. Der Sohn eines wohlhabenden Xhosa ist in der Metropole Johannesburg aufgewachsen; sein Vater hält ihn für verweichlicht. Von seinen Altersgenossen auf dem Lande wird er beneidet und verspottet; dafür straft sie Kwanda mit Verachtung. Eine Ausnahme-Erscheinung ist er auch sexuell: einerseits lässt er sich Avancen von Xolani gefallen, ermuntert ihn fast dazu – andererseits bringt er sich mit lauthals verkündetem Schwulenhass in größte Bedrängnis.
Homo-Sex + Hetero-Körperkult
Ähnlich ambivalent agieren auch die übrigen Protagonisten. Vija vernascht zwar Xolani, brüstet sich aber mit Frau und Kindern, die er kaum ernähren kann – doch Geldgeschenke will er von seinem part time lover nicht annehmen. Auf Anspielungen, er sei bisexuell, reagiert er äußerst empfindlich und gewalttätig. Dagegen hält sich Xolani bei jeder Provokation zurück, weil für ihn viel auf dem Spiel steht – bis es zum Äußersten kommt.
Dramaturgisch virtuos verschränkt Regisseur John Trengove das widersprüchliche Verhalten seiner Akteure miteinander. Er scheut sich nicht, schwulen Sex explizit zu zeigen, doch ebenso ausgiebig die ungezwungene Körperlichkeit schwarzafrikanischer Hetero-Männer untereinander. Die bietet zwar Anlass für allerlei schlüpfrige Witzeleien, ist aber sozial völlig akzeptiert – solange nicht der Verdacht aufkommt, sie deute ernsthafte erotische Absichten an.
Religiös begründeter Schwulenhass
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Call Me Kuchu" - Doku über Homophobie + Gay Pride in Uganda von Katherine Fairfax Wright + Malika Zouhali-Worrall
und hier eine Besprechung des Films "White Shadow" - Drama über Diskriminierung + Verfolgung von Albinos in Tansania von Noaz Deshe
und hier einen Beitrag über den Film "Mandela - Der lange Weg zur Freiheit" - episches Biopic über Südafrikas Freiheitshelden Nelson Mandela von Justin Chadwick mit Idriss Elba.
Zum Teil wird Schwulenhass religiös begründet: Viele Afrikaner, Christen wie Moslems, sind sehr gläubig. Dort, wo sittenstrenge Spielarten ihrer Konfessionen vorherrschen, wird auch „Sodomie“ am schärfsten verfolgt: mit langjähriger Haft oder gar Todesstrafe. Wobei das als Verteidigung „afrikanischer Werte“ gegen „dekadente Einflüsse“ aus dem Westen ausgegeben wird – als seien der Islam oder evangelikale Sekten keine Importe. Doch antikolonialistische Appelle verfangen in Afrika leicht: Identität durch Abgrenzung.
Afro-indische Parallele
Dennoch erstaunt, wie tief die Abscheu gegen Homosexuelle im dortigen Alltagsbewusstsein verankert ist. Ähnlich wie im Fall von Indien, wo islamische Eroberer, viktorianische Doppelmoral und erzkonservative Hindu-Strömungen eine einst sinnliche Kultur zum Subkontinent der Prüderie mutieren ließen. Wie sich das ändern ließe, weiß auch dieser so hellsichtige wie facettenreiche Film nicht zu sagen.