Berlin

Roberto Burle Marx: Tropische Moderne – Brazilian Modernist

Roberto Burle Marx: Dachgarten für den Hauptsitz der Banco Safra in São Paulo, 1983. Foto © Leonardo Finotti. Fotoquelle: Deutsche Bank Kunsthalle
Ein Renaissancemensch im 20. Jahrhundert: Der Brasilianer Roberto Burle Marx ließ Ideen von Bildern, Skulpturen und Musik in seine epochale Garten- und Landschaftsgestaltung einfließen. Sein Lebenswerk stellt die Deutsche Bank KunstHalle vor – leider recht karg.

Mit seinem berühmten Namensvettern hat er um zwei Ecken den Herkunftsort gemeinsam: Wilhelm Marx, der Vater von Roberto Burle Marx (1909-1994), kam wie Karl Marx in Trier zur Welt. Doch verwandt sind die beiden Familien nicht – obwohl Roberto kaum weniger revolutionär gewirkt hat als Karl 100 Jahre zuvor. Allerdings auf einem Gebiet, auf dem solches Wirken erst allmählich im Lauf der Zeit sichtbar wird: der Landschafts-Architektur.

 

Info

 

Roberto Burle Marx: Tropische Moderne - Brazilian Modernist

 

07.07.2017 - 03.10.2017

täglich 10 bis 20 Uhr

in der Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13/15, Berlin

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Dennoch ist er in Europa wenig bekannt. Aus einfachem Grund: Fast alle Anlagen, die er schuf, liegen in Amerika – die meisten in seiner brasilianischen Heimat. Obwohl Burle Marx die entscheidenden Impulse für seinen Werdegang in Berlin empfing: Hier studierte der Sohn wohlhabender Bildungsbürger 1928/9 eineinhalb Jahre lang Malerei, lernte die Kunst der modernen Avantgarden kennen, hörte zahllose klassische Konzerte – und entdeckte ausgerechnet im Botanischen Garten der Reichshauptstadt die Vielfalt der tropischen Flora.

 

Unmoralische Kakteen + Zuckerrohr

 

Zurück in Brasilien, krempelte er die dortige Gartenbaukunst um. Bislang hatte man sich dort an europäischen Vorbildern orientiert: mit streng symmetrischen Gärten voller importierter Pflanzen. Burle Marx begann, heimische Gewächse aufzuwerten. Als Gartenbaudirektor der nordöstlichen Provinzhauptstadt Recife legte er Plätze mit Pflanzen wie Zuckerrohr an – das wurde als skandalträchtige Anspielung auf Ausbeutung in der Plantagenwirtschaft verstanden. Oder er stellte Kakteen auf einem Platz zusammen, den Villen reicher Grundbesitzer säumten. Wegen solch „unmoralischer Aktivitäten“ wurde er 1937 nach drei Jahren entlassen.

Impressionen der Ausstellung


 

Einer der drei Väter von Brasilia

 

Nichtsdestoweniger erhielt er ab den 1940er Jahren einen Großauftrag nach dem anderen. Seine asymmetrischen Garten-Grundrisse mit mäandernden Wegen und Wasserläufen, kühnen Blickachsen und lokaler Vegetation passten bestens zur Architektur des brasilianischen modernismo, die industrielle Bauweise mit regionalen Traditionen verband. Doch er konnte auch ganz anders: Beeinflusst vom (neo-)concretismo der 1950/60er Jahre erweiterte er seine organisch wuchernde Formensprache um streng geometrische Elemente.

 

Damit wurde er zu einem der drei wichtigsten architektonischen Väter der neuen Hauptstadt Brasilia; sie wurde 1956/60 in nur vier Jahren aus dem Boden gestampft. Lúcio Costa lieferte die Stadtplanung, Oscar Niemeyer die Gebäude-Entwürfe, und Burle Marx gestaltete die Grünflächen für Ministerien und Botschaften.

 

33 nach ihm benannte Pflanzenarten

 

Seine beiden berühmtesten Werke entstanden aber in seiner Heimatstadt Rio de Janeiro: Den langgestreckten „Parque do Flamengo“, den die Architektin Lota de Macedo Soares am Atlantik 1961/65 errichtete, stattete Burle Marx mit rund 12.000 Bäumen von 200 verschiedenen Arten aus. Zehn Jahre später pflasterte er die Copacabana-Uferstraße „Avenida Atlántica“ mit drei kilometerlangen Mosaiken: einem Wellenmuster auf der Strandseite und zwei abstrakt geschwungenen Ornament-Bändern landeinwärts.

 

Dabei verstand sich Burle Marx keineswegs nur als Landschafts-Architekt. Er malte und zeichnete unentwegt, entwarf Schmuck, Bühnenbilder oder Karnevals-Kostüme und erforschte systematisch die brasilianische Flora. Auf Expeditionen ins Binnenland trug er mehrere 1000 Arten zusammen, die er auf seinem Anwesen nahe Rio kultivierte; nach ihm sind 33 Pflanzenarten benannt. Außerdem war er ein begabter Sänger, eifriger Koch und großzügiger Gastgeber, der auf seinen Tafeln selbst gestaltetes Dekor anrichtete – einen „Renaissancemenschen im 20. Jahrhundert“ hat man ihn genannt.

 

Gärten nur mit Grundrissen vorgestellt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lina Bo Bardi 100 – Brasiliens alternativer Weg in die Moderne" - Architektur-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Beitrag über die beiden Ausstellungen "Hélio Oiticica: Das große Labyrinth + Brasiliana" – umfassender Überblick über die Nachkriegsmoderne in Brasilien im Museum für Moderne Kunst + der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Poetin - Reaching for the Moon" - Biopic-Drama über die US-Dichterin Elizabeth Bisop + die brasilianische Garten-Architektin Lota de Macedo Soares von Bruno Barreto

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das Verlangen nach Form" über Neoconcretismo + zeitgenössische Kunst aus Brasilien in der Akademie der Künste, Berlin.

 

Den will die überschaubare Retrospektive der Deutsche Bank KunstHalle in allen Aspekten vorstellen; ein ehrgeiziges Vorhaben, das sie nur teilweise einlösen kann. Die Schau wurde aus dem New Yorker „Jewish Museum“ übernommen, was man ihr anmerkt: Die Anordnung der Exponate und die der Erläuterungen im Gratis-Begleitheft stimmen nicht überein. Dass Burle Marx‘ Beiträge zu jüdischen Einrichtungen in Brasilien vergleichsweise ausführlich dokumentiert werden, ist angesichts des Leihgebers verständlich.

 

Weniger hingegen, warum auch Arbeiten von sieben zeitgenössischen Künstlern präsentiert werden, um Burle Marx‘ Relevanz für die Gegenwart aufzuzeigen – die Auswahl erscheint recht willkürlich. Zumal sie zu Lasten der Hauptwerke geht: Seine epochalen Garten- und Landschafts-Architekturen werden nur mit kolorierten Grundriss-Plänen und Zeichnungen vorgestellt.

 

Berlin lehnte Platz-Neugestaltung ab

 

Als könnten vergilbte Papierbahnen auch nur annähernd einen plastischen Eindruck der üppigen Sinnesreize geben, die seine Kreationen prägen: Anschaulichere Formen der Vermittlung – etwa mithilfe von Filmen, Computer-Simulationen oder kleinen Muster-Pflanzungen – sucht man vergeblich. Solch fantasielos karges white cube-Arrangement wird diesem verschwenderisch in alle Richtungen ausstrahlenden Gesamtwerk kaum gerecht.

 

Dafür hat man in Berlin offenbar kein feeling: Einer seiner letzten Entwürfe galt der Neugestaltung des Rosa-Luxemburg-Platzes vor der Volksbühne im früher jüdischen Scheunenviertel. 1993 reichte Burle Marx vor Einfallsreichtum sprühende Pläne ein, die unterschiedliche Zonen, ein Wasserbecken mit bunten Skulpturen und eine wild bewegte Pflasterung vorsahen. Seine originellen Ideen lehnten die Behörden als ungeeignet ab – heute wächst dort kurz geschorener Rasen.