Wer könnte schlagkräftiger sein als James Bond und Rambo? Eine Kreuzung aus beiden: Polat Alemdar (Necati Şasmaz) heißt der Superagent, der seit 2003 unter allen inneren und äußeren Feinden der Türkei aufräumt. Zuerst in der populären TV-Serie „Tal der Wölfe“, ab 2006 auch in bisher vier Kinofilmen. Deren Erfolgsgeheimnis ist politische Aktualität.
Info
Tal der Wölfe - Vaterland (Kurtlar Vadisi Vatan)
Regie: Serdar Akar,
143 Min., Türkei 2017;
mit: Necati Şasmaz, Erhan Ufak, Nezih Işitan
Dramatisiertes AKP-Geschichtsbild
Alles nur Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was im fünften Film der Serie auf dem Spiel steht: Das ganze Vaterland ist in Gefahr. Regisseur Serdar Akar, der vor elf Jahren bereits den Irak-Film inszeniert hat, führt vor, wie Polat Alemdar eigenhändig den Militärputsch in der Türkei vom 15. Juli 2016 vereitelt. Zwar wird anfangs eingeblendet, alle Personen und Geschehnisse seien „erfunden“, aber die Parallelen sind eindeutig. Das macht den Film sehr interessant: als dramatisiertes Geschichtsbild des AKP-Regimes unter Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.
Offizieller Filmtrailer
Türkei als Torte in Stücke schneiden
Schon der greise Prediger zu Beginn ähnelt bis aufs Haar dem im US-Exil lebenden Imam Fethullah Gülen; ihn beschuldigt die Regierung in Ankara, Drahtzieher des Putsches zu sein. Nie fällt sein Klarname, ebenso wenig der von Erdoğan: Der eine ist nur der „Herr“, der andere der „Präsident“. Eine erstklassige verschwörungs-theoretische Kopfgeburt ist dagegen „Dave“. Der aasige Angelsachse mit einer Statur irgendwo zwischen Gérard Depardieu und Ozzy Osbourne zieht von einem high tech-Bunker in Zypern aus alle Fäden.
Zum Auftakt lässt der Superschurke vor ausländischen Honoratioren eine Torte in Form der Türkei servieren, die er genussvoll zerschneidet: „Jeder soll ein Stück abbekommen“. Dann zieht er eigenmächtig den Start des Putsches um mehrere Stunden vor – weil ihm zugetragen wird, dass Alemdar aufgetaucht ist. Womit der Superagent einmal mehr seine welthistorische Wirkung unter Beweis stellt: Tatsächlich scheiterte der reale Umsturzversuch unter anderem daran, dass einige Truppenteile früher als geplant losschlugen.
Ehrlose Guerilleros ohne Namen
Da selbst ein so bedeutendes patriotisches Kino-Epos nicht Istanbul oder Ankara in Schutt und Asche legen kann, konzentriert sich die Handlung auf Yalavuz. In diesem Dorf an der Grenze zum Irak wollen Putschisten die örtliche Kaserne stürmen, was Alemdar mit drei Getreuen eiskalt verhindert. Sehr zur Erleichterung von Kommandantin Deniz Öztürk (ihr Nachname bedeutet „wahrer Türke“), die sich in jedes Gefecht perfekt geschminkt stürzt.
Denn es kommt noch ärger: Auf irakischer Seite warten Hunderte von Kämpfern, um im Schutze der Nacht ins türkische Vaterland einzumarschieren und sich ihr Stück vom Kuchen abzuschneiden. Das Volk der Kurden ist diesem Film völlig unbekannt, aber angesichts ihrer Aufmachung muss es sich wohl um PKK-Guerilleros handeln – sie werden nur „die Ehrlosen“ genannt.
Einiges Volk als zweiter Held
Dass Alemdar und seine drei Musketiere ganze Heerscharen von ihnen niedermähen, ohne einen Kratzer abzubekommen, versteht sich von selbst. Auch wenn im Laufe der Jahre Hauptdarsteller Necati Şasmaz etwas pummelig und seine Mitstreiter leicht hüftsteif geworden sind: Der Glaube an Gott, Vaterland und den Präsidenten verleiht ihnen nahezu übermenschliche Kräfte. Zumal Şasmaz sie an anderer Stelle einspart: Im Vergleich zu seiner reduzierten Mimik wirken Kollegen wie Chuck Norris oder Sylvester Stallone geradezu expressiv.
Doch es wäre billig, sich über den simpel gestrickten plot, hölzerne Dialoge und chargierende Darsteller zu mokieren, die alle zwei Sätze eine Kunstpause einlegen. Es sind die Details in der Verschränkung von Zeitgeschichte und Fiktion, die den Film so aufschlussreich machen: quasi als halbamtliche Version der Vorfälle. Neben Alemdar triumphiert ein zweiter Held: das Volk – als einige Menge, in der es weder Parteien noch sonstige Strömungen gibt.
Alles wie vor 100 Jahren
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über den Film "Labirent" - realistischer Terroristen-Thriller aus der Türkei von Tolga Örnek
und hier eine Kritik der türkischen Groß-Produktion "Fetih 1453 – Die Eroberung von Konstantinopel" von Faruk Aksoy.
Kein Wunder, dass der ganze Spuk rasch verfliegt. Der im Privatjet einfliegende Imam Gülen muss eilends abdrehen, sein Handlanger Dave wird aus dem Helikopter geworfen und im Bosporus versenkt. Das Vaterland ist unzerstückelt und gerettet – „wie vor 100 Jahren“, heißt es im Off. Damit behauptet der Film eine Wiederholung der Geschichte, die Präsident Erdoğan auf eine Stufe mit Atatürk stellt.
Zweiter Vater aller Türken
Die Entente hatte im Vertrag von Sèvres 1920 das Osmanische Reich gezwungen, weite Landesteile an andere Mächte abzutreten. Dazu kam es nie: Oberbefehlshaber Mustafa Kemal Pascha vertrieb alle fremden Truppen und sicherte die territoriale Integrität der Türkei in den heutigen Grenzen; sie wurde im Vertrag von Lausanne 1923 anerkannt.
Wenn dem aktuellen Präsident das Gleiche gelingt, ist seine Leistung so immens wie die des hoch verehrten Staatsgründers. Das erklärt, warum Regisseur Akar als Rahmenhandlung die abstruse These bemüht, ausländische Akteure hätten nach dem Putsch das Land aufteilen wollen: Es gibt kein besseres Argument, um Erdoğan zum zweiten „Vater aller Türken“ zu krönen.