Emma Watson

The Circle

Mae (Emma Watson) bei der Arbeit in der Circle-Zentrale. Foto: Universum Film
(Kinostart: 7.9.) Privatsphäre ist Diebstahl: Ein Internet-Monopolist vergesellschaftet zwangsweise alle Nutzer. Den Bestseller-Roman von Dave Eggers verfilmt Regisseur James Ponsoldt als digitale Dystopie totaler sozialer Kontrolle mit leichten Schwächen.

Dystopien benötigen oft ein Außen, die das Innere bedrohen – etwa schlecht gelaunte aliens, brutale Tyrannen oder Roboter, die die Menschheit versklaven. Aber was ist, wenn die Bedrohung aus dem Inneren kommt und es kein Außen mehr gibt, weil das Innere alles einschließt? Dann fehlt nicht nur das eindeutige Feindbild; auch die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.

 

Info

 

The Circle

 

Regie: James Ponsoldt,

119 Min., USA 2017;

mit: Emma Watson, Tom Hanks, John Boyega

 

Website zum Film

 

Das gilt insbesondere in einer Welt, in der menschlicher Alltag maßgeblich im digitalen Ersatzleben stattfindet – so wie in „The Circle“ von Regisseur James Ponsoldt. Dieses Unternehmen vereint quasi die Dienstleistungen von Internet-Giganten wie Google, Facebook oder Apple und bewirbt sie mit verführerisch simplen slogans wie „Geheimnisse sind Lügen“ und „Privatsphäre ist Diebstahl“.

 

Traum-Freitage im Quasi-Apple-Park

 

Die literarische Vorlage, der gleichnamige bestseller-Roman von Dave Eggers, spielt in der nahen Zukunft. Die 24-jährige Mae Holland (Emma Watson) ist endlich ihren tristen call center job los: Sie tritt ihre neue Stelle im Kundenservice des „Circle“ an – ein Traum wird wahr. Und mit Träumen lässt sich viel Geld verdienen: „Dream Fridays“ heißt die allwöchentliche Mitarbeiter-Versammlung. Dessen Inszenierung wie auch das ringförmige, 1,6 Kilometer lange Firmengebäude erinnern sehr an den „Apple Park“, den der Elektronik-Hersteller für drei bis fünf Milliarden US-Dollar im kalifornischen Cupertino errichten ließ.

Offizieller Filmtrailer


 

Alle sollen alles sehen

 

Dort stellt „Circle“-Chef Eamon Bailey – dabei wirkt Tom Hanks mit jovialer Onkelhaftigkeit wie eine Kreuzung aus dem jungen Steve Jobs und einem reiferen Mark Zuckerberg – die neuesten Innovationen vor. Etwa „See Change“: die tragbare Kamera in Augapfel-Größe lässt sich überall ankleben, überträgt Überwachungs-Bilder in Echtzeit und soll die Welt revolutionieren. „Terroristen und Tyrannen können sich nicht mehr verstecken“, verspricht Bailey. Während seine Worte im Jubel der Mitarbeiter untergehen, runzelt Mae die Stirn.

 

Zu schrill erscheint ihr alles: die hippen Partys auf dem Firmengelände, digitale gadgets wie der transparente Aufzug, der alle möglichen privaten Daten über seine Benutzer anzeigt, und zu bescheuert die affektierten Motivations-Parolen. Wie „Sharing is caring“: die Aufforderung, am Arbeitsplatz möglichst viele private Nichtigkeiten zu teilen. Willkommen in der repressiven Freiwilligkeit moderner Unternehmenskultur.

 

Foto-Handys wie Waffen einsetzen

 

Maes Skepsis schwindet jedoch allmählich. Als sie mit ihrem Kajak in Seenot gerät, überlebt sie nur, weil sie dabei von einer „See Change“-Kameras gefilmt wird. Danach erklärt sie sich zu einem kühnen Experiment bereit: Sie trägt rund um die Uhr eine Kamera, die ihr Leben 24 Stunden täglich im Internet livestreamed. Mae wird zum online star, wofür sie sogar Probleme im Privatleben in Kauf nimmt. Ihr alter Jugendfreund Mercer (Ellar Coltrane) wendet sich von ihr ab, weil er als einer der wenigen zu wissen scheint, das Privatsphäre kein Diebstahl ist, sondern ein Menschenrecht.

 

Dafür wird ausgerechnet er zum Zielobjekt einer Demonstration der „SoulSearch“-Technologie des „Circle“: Sie soll jeden Menschen auf der Welt innerhalb von Minuten ausfindig machen. Das gelingt: Irgendwelche Passanten spüren ihn in seiner Zimmermanns-Werkstatt auf. Sie richten ihre Handys wie Waffen auf ihn – eine starke Metapher: Wenn nichts mehr geheim ist, aber eine Nicht-Mitgliedschaft auf Kommunikations-Plattformen praktisch den gesellschaftlichen Tod bedeutet, ist keine physische Gewalt mehr nötig. Die Dauerpräsenz lächelnder Mitbürger sorgt für genügend soziale Kontrolle.

 

Mysteriöser „Circle“-Erfinder

 

Während der Film diesen Aspekt des Romans gut herausarbeitet, werden die Protagonisten nicht ausreichend entwickelt. So bleibt unklar, was Mae nach ihrem Unfall eigentlich im Sinn hat. Die Figur ihres zeitweiligen Verbündeten Ty (John Boyega) – er soll den „Circle“ erfunden haben, wurde aber kaltgestellt und beäugt nun skeptisch die Entwicklung hin zur totalen Transparenz – erscheint diffus.

 

Hintergrund

 

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Zudem lässt Regisseur Ponsoldt die Charaktere hollywoodtypisch an Marionetten-Seilen hängen: Die schlaue und ambitionierte Mae kommt nicht über das Klischee einer jungen, vom american dream geblendeten Aufsteigerin hinaus. Ihr digitalisierungskritischer Freud Mercer ist nicht etwa ein Programmierer, der echten Widerstand technisch zu leisten imstande wäre, sondern ein Hinterwäldler, der seiner analogen Welt hinterher trauert.

 

Sklaven des digitalen Narzissmus

 

Dass wirkliche action ausbleibt und einzelne Handlungsfäden ziemlich locker herumbaumeln, ohne einen Spannungsbogen zu bilden, ist zwar eine narrative Schwäche, aber zugleich auch eine Stärke des Films: Der Horror kommt ja nicht von Außen, sondern entsteht in den vom Firmenjargon imprägnierten Subjekten. Sie begreifen gar nicht, wie sehr sich diese Sprache  populistischer Strategien wie Dramatisierung, Moralisierung oder Personalisierung bedient.

 

Die Kritik am digitalen Turbokapitalismus kramt gerne die Verteufelung der bösen Konzerne aus der Mottenkiste. Dabei werden ihre zufriedenen Nutzer als Sklaven ihres eigenen Narzissmus zunehmend blind dafür, wie politisch jedes online gestellte Foto, jeder post und jeder like eigentlich ist. Vor lauter Klicktrieb ignorieren sie, wie sie zu gewinnbringenden Datenlieferanten für Marketing-Strategien werden.

 

Dagegen zeigt dieser Film deutlich die Widersprüche zwischen blumigen Glücksverheißungen aus dem Silicon Valley und ihren sozialen Auswirkungen. Als vorsichtige Warnung: Er öffnet den Blick für eine Gegenwart, der Unheil bevorsteht.