Rostock

Wolfgang Mattheuer – Bilder als Botschaft

Wolfgang Mattheuer: Der Nachbar, der will fliegen (Detail), 1984, ; © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Galerie Schwind; Fotoquelle: Kunsthalle Rostock
Zeitreise in ein verschwundenes Land: Wolfgang Mattheuer war einer der bekanntesten DDR-Künstler. Zum 90. Geburtstag widmet ihm die Kunsthalle Rostock eine umfangreiche Werkschau – neben gemalter Systemkritik überraschen präzise Landschaftsansichten.

Chronist eines untergegangenen Staates: Wie kaum ein anderer Maler erfasste Wolfgang Mattheuer (1927-2004) das Lebensgefühl in diesem seltsamen, kleinen Land namens DDR und übersetzte es in Bilder. Beim Besuch der Retrospektive zum 90. Geburtstag in der Kunsthalle Rostock beschleichen den Betrachter unwillkürlich déjà vu-Empfindungen.

 

Info

 

Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft

 

02.07.2017 - 01.10.2017

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

in der Kunsthalle Rostock, Hamburgerstr. 40, Rostock

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen

 

Der Rundgang beginnt mit dem Bild „Schrebergärten und Neubauten (Neumark im Vogtland)“ von 1972. In Fernsicht zeigt es Fußball spielende Menschen vor einer Kleingartenkolonie, hinter der Neubaublocks aufragen – alles in Gelb, Rot und Ocker gehalten. Selbst diese unscheinbar anmutende Szenerie enthält die Widersprüche der sozialistischen Gesellschaft: Idyll und Enge.

 

Zwischen Zensur + Subversion

 

Die DDR litt an einem forcierten Aufbruch in die Moderne, der radikal mit den Übeln der Vergangenheit aufräumen wollte und dabei allzu oft im Herkömmlichen stecken blieb: Das Dasein in Plattenbauten brauchte die Schrebergärten als Ausgleich. Wie viele DDR-Künstler war auch Mattheuer ein Meister darin, seine Werke so doppeldeutig zu gestalten, dass sie gerade noch die Zensur passierten und zugleich für eine kritische Lesart offen blieben.

Feature mit Statemens von Kunsthallen-Leiter Jörg-Uwe Neumann + Kunstkritiker Eduard Beaucamp + Ausstellungs-Impressionen; © MV1


 

Trabis mit Kurs auf Freiheits-Marianne

 

Dabei gab sich die offizielle Kunstkritik alle Mühe, eine sozialistisch genehme Interpretation von Mattheuers Arbeiten vorzugeben. Zum Beispiel bei seinem bekannten Bild „Hinter den 7 Bergen“ (1973): In der Ferne ist die barbusige Marianne aus Eugène Delacroix‘ berühmtem Revolutions-Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von 1830 zu sehen – anstelle von Trikolore und Bajonett trägt sie hier Luftballons und Blumenstrauß in den Händen.

 

Auf einer Autobahn fahren viele Wagen auf sie zu. Das wurde parteiamtlich als „Verurteilung des Freiheitsdrangs seiner Mitbürger gewertet“, so Kuratorin Stefanie Michels. Viele DDR-Bürger dürften die Bildaussage genau gegenteilig verstanden haben. Später beurteilte Mattheuer diese Freiheitsverheißungen skeptischer. 20 Jahre darauf variierte er das Motiv in „Hinter den 7 x 7 Bergen“: Die Freiheitsgöttin entpuppt sich als Werbefigur. Auf lockende Verheißung folgt Ernüchterung.

 

Vier Köpfe der „Leipziger Schule“

 

Die Rostocker Schau legt solche Bezüge und Entwicklungen im Werk von Mattheuer offen: Aus mehr als 700 von ihm geschaffenen Gemälden wurden rund 80 Bilder ausgewählt. Von den Motiven lenkt die recht karge Präsentation kaum ab: Die 1969 eröffnete Kunsthalle ist mittlerweile in die Jahre gekommen – was durchaus einen passenden Rahmen zu Mattheuers Kunst abgibt.

 

Dabei bringt man seinen Namen eher mit Leipzig in Verbindung. Nach Kriegsende studierte er an der dortigen Kunstgewerbeschule und später an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB); dort lehrte Mattheuer ab 1965 als Professor. Er gilt neben den ebenfalls dort wirkenden Künstlern Werner Tübke, Bernhard Heisig und Willi Sitte als einer der Hauptvertreter der „Leipziger Schule“. Diese Bezeichnung war allerdings eher eine Zuschreibung von außen, als dass sie ein gemeinsames Programm beschrieben hätte.

 

Ohne Professur + SED-Parteibuch

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Norbert Bisky – Zentrifuge" – Werkschau eines Hauptvertreters der "Neuen Leipziger Schule" in der Kunsthalle Rostock

 

und hier einen Beitrag über den Film "Neo Rauch – Gefährten und Begleiter" – Doku-Porträt der Galionsfigur der "Neuen Leipziger Schule" von Nicola Graef

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Das große Welttheater" mit Werken von Bernhard Heisig aus der "Leipziger Schule" im Kunst-Raum des Bundestags, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Verwandlung der Götter" mit Werken von Michael Triegel aus der "Neuen Leipziger Schule" im Museum der bildenden Künste, Leipzig.

 

Ansichten von Leipzig finden sich auf vielen Gemälden von Mattheuer, etwa auf den Großformaten „Das blaue Leipzig“ (1971) und „Das graue Leipzig“ (1973) – zwei grundverschiedenen Stadtsilhouetten. Dazwischen hängt eines seiner bekanntesten Werke: „Die Ausgezeichnete“ (1973/74) ist eine ältere Frau mit regungslosem Gesicht. Sie sitzt wie erloschen hinter einem Tisch mit Tulpenstrauß: ein bitterer Abgesang auf alle „Helden der Arbeit“ und glücklichen Werktätigen, welche die sozialistische Kunst propagieren sollte.

 

Mattheuer war einerseits ein offiziell anerkannter Künstler und genoss Privilegien. Andererseits machten ihn seine Sonderrechte nicht blind für den Widerspruch zwischen Partei-Propaganda und der DDR-Lebenswirklichkeit. 1974 gab er „aus persönlichen und ideologischen Gründen“ seine HGB-Professur auf; 1988 trat er aus der SED aus – damals ein riskanter Schritt. Nach der Wiedervereinigung wurde seine Rolle als DDR-„Staatskünstler“ jedoch teilweise undifferenziert diskutiert.

 

Liebespaare + Landschaften

 

Seine Werke sind häufig von Symbolen geradezu überladen. Er griff gern biblische und antike Motive auf – etwa die Brudermord von Kain und Abel oder den Ikarus-Mythos. Zu sehen sind auch einige seiner schwebenden Liebespaare; populäre Motive inniger Verbundenheit fernab aller gesellschaftlichen Zwänge. Zudem zeigt die Ausstellung etliche seiner Landschaftsbilder: Die meist kleinen Formate beeindrucken durch präzise Lichtführung und genaue Beobachtung, häufig melancholisch gebrochen. So fand auch Umweltzerstörung durch Tagebau und chemische Industrie Eingang in sein Werk.

 

Mattheuers Kunst gewann Gehalt und Bedeutung durch ihre Reibung an der DDR-Realität. Jedoch sollte er nicht auf das Etikett „DDR-Maler“ reduziert werden. Viele seiner Bilder verhandeln die Spannungen zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Natur und Zivilisation: Diese Themen sind so aktuell wie eh und je.