Mohamed Diab

Clash

Demonstranten unterschiedlichster politischer und religiöser Herkunft unterwegs in Kairo. Foto: missingFILMs
(Kinostart: 19.10.) Revolution im Transportraum: Nach dem Militärputsch in Ägypten lässt Regisseur Mohamed Diab Anhänger und Gegner des Regimes in einem Polizeibus aufeinander treffen – scharfsinnige Mikro-Analyse einer zerrissenen Gesellschaft.

Im Sommer 2012 wählten die Ägypter in freien Wahlen mit knapper Mehrheit Mohammed Mursi zum Präsidenten, den Kandidaten der Muslimbrüder. Die Hälfte des Landes reagierte mit Protest. Nach einem Jahr verlor das Militär die Geduld und übernahm in einem Staatstreich die Macht. Es folgten weitere Zusammenstöße zwischen den Anhängern Mursis und ihren Gegnern. Der Film „Clash“ von Mohamed Diab beginnt in jener Zeit – und wählt dafür ein eindrucksvolles Mittel.

 

Info

 

Clash

 

Regie: Mohamed Diab,

95 Min., Ägypten/ Deutschland/ Frankreich 2016;

mit: Nelly Karim, Hany Adel, Tarek Abdel Aziz

 

Weitere Informationen

 

Er spielt im Transportraum eines Polizeiwagens. Ein Gefangenentransporter, der Teil eines Antidemonstrations-Konvois ist. Noch ist er leer, doch das wird sich bald ändern. Die Tür springt auf, die Hitze und die Gewalt der Straße dringen herein, und Polizisten sperren zwei Reporter in den Wagen; einer davon ist Ägypter mit US-amerikanischem Pass. Wackelnde Bilder und spontane Reißschwenks suggerieren, ein Dritter würde das mit seinem Handy filmen. Doch die pseudodokumentarische Authentizität weicht allmählich, ruhigen, cinematographischen Einstellungen. 

 

90 Minuten im Auto

 

Den Wagen wird die Kamera im Verlauf der 90 Minuten nicht oder nur wenige Schritte weit verlassen. Immer wieder füllt sich der enge Raum. Zuerst stößt der Wagen auf einen Demonstrationszug von Mursi-Gegnern. Sie sollten zwar auf Seiten der Staatsmacht sein, aber da einige von ihnen die im Wagen eingesperrten Journalisten mit Steinen bewerfen, finden auch sie sich bald in der mobilen Gefängniszelle wieder. Ihre Bestimmung ist ungewiss. Differente Meinungen, Haltungen und engstirniges Rollenverhalten heizen die Situation auf.

Offizieller Filmtrailer


 

Steine, Tränengas + Gewalt

 

Als die Kolonne auf demonstrierende Muslimbrüder trifft, bricht Chaos aus. Bald hat sich die gesamte ägyptische Gesellschaft im Wagen eingefunden: Männer, Frauen, Kinder, religiös oder säkular, militant oder besonnen, egoistisch oder uneigennützig. Fronten verhärten sich, weichen aber immer wieder auf. Der Wagen ist Schutzraum wie Falle zugleich. Ungewissheit, Angst, Durst und menschliche Bedürfnisse werden zu lebensbedrohlichen Faktoren. 

 

Irgendwann ist auch der Polizeitrupp führerlos. Als es draußen dunkel wird, und die Heftigkeit der Zusammenstöße unter Steinwürfen, Tränengas und dem erratischen Blitzen grüner Laserpointer zunimmt, wird die Szenerie apokalyptisch. Wie Regisseur Mohamed Diab in diesem Durcheinander die Kontrolle behält, ist bewundernswert. Immer wieder zeigt die Kamera den Aufdruck auf dem T-Shirt eines der Jugendlichen im Wagen; dort steht: „F**k this Shit“. 

 

Ganz Ägypten in einem Wagen

 

Die vermeintlichen Repräsentanten der Gesellschaft eingesperrt zu zeigen, ist eine probate dramatische Methode – und verfehlt ihre Wirkung nicht. Um die komplexe Gemengelange im heutigen Ägypten wenigstens ansatzweise nachvollziehbar zu machen, bekommen hier nicht nur die beiden Hauptfraktionen eine Stimme. Stattdessen kommen nun auch diejenigen zu Wort, die in der Dynamik des Konflikts eine Seite suchen, die ihnen das sichert, um was es vielen in der Bewegung von 2011 ursprünglich ging: ein menschenwürdiges Leben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In den letzten Tagen der Stadt" - komplexer Kairo-Film von Ramer El Said

 

und hier einen Bericht über den Film "Nach der Revolution – After the Battle" – facettenreiches Polit-Drama über den Umbruch in Ägypten von Yousry Nasrallah

 

und hier einen Bericht über den Film "Art War" - fulminante Doku über Street Artists in Kairo als Teil der Arabellion von Marco Wilms mit dem Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad.

 

„Clash“ versucht, Ordnung in die Vielzahl der Positionen zu bringen. „Bist du für oder gegen uns?“ ist eine Frage, die mit den realen Bedürfnissen der Leute nichts zu tun hat. Widerstand, Parteinahme, ideologisch unterfütterter, plötzlicher Hass auf den Nachbarn, Flucht in die Religion und Terrorismus sind nur die Symptome dieser im Grunde unwahren Spaltung der Gesellschaft. Dieser Film erinnert seine westlichen Zuschauer daran, dass sie in der Regel nur einen Ausschnitt des ganzen Bildes sehen. Er entspricht bestenfalls der des Reporters im Wagen (Hani Adel), der in den USA aufwuchs und als alter ego des Regisseurs Diab fungiert. 

 

Westliche Illusionen

 

Diab, der in den USA studiert hat, steht als Ägypter mit westlichen Privilegien mit einem Fuß innerhalb und mit dem zweiten außerhalb der Gesellschaft. Er weiß, dass der westliche Blick mit seiner technischen und vermeintlichen moralischen Überlegenheit an seine Grenzen stößt, wenn er den Konflikt, wie es hierzulande plump heißt, „vom Ende her denkt“.

 

Die Hoffnung auf eine kosmopolitische und säkulare Jugend, die den Wohlstandsversprechen des Kapitalismus Glauben schenkt, wie sie von der europäischen Presse gerne als zukünftige Elite für die arabische Welt herbeifantasiert wird, erweist sich in „Clash“ als Illusion. Ihre Protagonisten – der junge DJ mit dem kessen T-Shirt und sein angeblich bester Freund – werden sich im Lauf des Films überwerfen. Stattdessen sind es die Jüngsten im Wagen, ein Junge und ein Mädchen, weder gebildet noch privilegiert, die noch nicht fertig sind mit ihrem Bild von der Welt. Sie sind der einzige Hoffnungsschimmer in dieser immer finsterer, brutaler werdenden Nacht.