
Saturday night fever in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo: Die Bar ist ein langer, schummriger Schlauch mit bleichgrünen Wänden. Die Gäste trinken Bier, viel Bier – nur wenige können sich Whiskey leisten. Doch wenn die 15-köpfigen „Kasaï Allstars“ aufspielen und Félicité (Véro Tshanda Beya) zu singen beginnt, verwandelt sich die Spelunke im Handumdrehen in eine fiebrige Tanzhölle, deren Energie alle mitreißt.
Info
Félicité
Regie: Alain Gomis,
123 Min., Senegal/ Frankreich/ Belgien 201
mit: Véro Tshanda Beya, Gaetan Claudia, Papi Mpaka
Kühlschrank-Reparatur als running gag
Schon die Reparatur des kaputten Kühlschranks leert die Haushaltskasse: Dass der Mechaniker Tabu (Papi Mpaka) so unermüdlich wie vergeblich versucht, ihn wieder in Gang zu bekommen, wird zum running gag des Films. Und Schicksalsschläge werden rasch ruinös: Samo hat einen schweren Motorradunfall erlitten und liegt nun in der Klinik – alles Weitere geht nur mit viel Bargeld.
Offizieller Filmtrailer OmU
Mit Polizisten Schulden eintreiben
Der Film begleitet seine Mutter in das berühmt-berüchtigte „Krankenhaus Nr. 1“ von Kinshasa: ein weit verzweigter Komplex mit vielen Gebäuden, schlechter Ausrüstung und hoher Sterberate. Für alles muss Vorkasse bezahlt werden: das Umbetten in ein sauberes Zimmer, Medikamente und Behandlung. Die Operation, um Samos gebrochenes Bein zu retten, soll eine Million Kongolesische Francs (ca. 550 Euro) kosten; für Félicité eine enorme Summe. Nun hetzt sie durch die Stadt, um irgendwie das Geld aufzutreiben.
Leute, die ihr etwas schulden, sucht sie in Begleitung eines Polizisten auf; so erhält sie zumindest einen Teilbetrag, muss aber davon wieder einen Anteil dem Bewaffneten geben. Ihre eigene Mutter hat nichts für sie übrig; Samos Vater wirft sie hochkant hinaus. Ein Villenbesitzer steckt ihr dagegen ein paar Scheine zu, nur um sie loszuwerden. All das reicht nicht: Samos Bein wird amputiert.
Biertrinken als Antidepressivum
Daheim kümmert sich Tabu um Mutter und Kind, die depressiv resignieren. Samo starrt stumm vor sich hin und verweigert jede Nahrung. Félicité rupft ihre kunstvoll geflochtenen Zöpfe aus und irrlichtert ziellos durch die Zwölf-Millionen-Metropole. Erst als der stets der Flasche zugeneigte Tabu den Sohn zum Biertrinken überredet, beginnen sich alle mit der neuen Lage abzufinden; ihre Züge werden gelöster.
Gesichter spielen die Hauptrolle in diesem Film; vor allem das Antlitz von Véro Tshanda Beya. Meist bleibt sie stoisch gefasst, nur ein Lidschlag oder kleinste Regungen verraten ihren Kummer – und doch zeigt die Theaterschauspielerin in ihrer ersten Kinorolle unglaubliche Präsenz auf der Leinwand. Ähnlich Papi Mpaka als ihr Partner: Dem sympathischen Schwerenöter ist kaum anzusehen, ob er gleich mitfühlend helfen oder sich mit anderen Trunkenbolden anlegen will.
Gemüsefelder mitten in der Stadt
Aber auch viele andere Gesichter in Großaufnahmen: Still leidende Kranke und ihre ratlosen Verwandten in der Klinik. Entrückte Züge von Gläubigen, die sich bei religiösen Riten oder Prozessionen in Ekstase singen und klatschen. Gelangweilte Basar-Händler, die plötzlich zornentbrannt auf einen vermeintlichen Dieb losgehen. Betrunkene, die aneinander geraten. Die Kamera geht ganz nah ran und hält fest, wie schnell und heftig Leidenschaften hochkochen – quasi ein Panorama der Passionen.
Hintergrund
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Kongolesen spielen Arvo Pärt
Zu den größten urban gardening-Anlagen zählen die der Kimbanguisten. Ihre Freikirche hat im Kongo rund 5 Millionen Anhänger und unterhält in Kinshasa ein Symphonie-Orchester, das klassische Musik aus Europa einstudiert. Es tritt im Film auf und spielt Stücke des zeitgenössischen estnischen Komponisten Arvo Pärt – dessen getragene Melodien kontrastieren effektvoll mit den treibenden Rhythmen der „Kasaï Allstars“.
So setzt der französisch-senegalesische Regisseur Alain Gomis aus einfachen Elementen ein komplexes Bild afrikanischer Lebenswirklichkeit zusammen. Ähnliches war ihm bereits mit seinem letzten Film „Aujourd’hui“ („Heute“) gelungen, der 2012 im Berlinale-Wettbewerb lief: Ein Todgeweihter erlebt seine letzten 24 Stunden in Senegals Hauptstadt Dakar.
Wirkte „Aujourd’hui“ streckenweise noch etwas statisch, fesselt nun „Félicité“ durch seine Intensität – dank der fulminanten Hauptdarstellerin. Auch wenn dieser Film in seiner zweiten Hälfte noch etwas Verdichtung vertragen hätte: Der Große Preis der Jury bei der diesjährigen Berlinale ist absolut verdient.