Francis Lee

God’s Own Country

Gheorghe Ionescu (Alec Secareanu, oben) und Johnny Saxby (Josh O`Connor). Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 26.10.) Schwule Saisonliebe unter Schafzüchtern: Regisseur Francis Lee findet für sein authentisches Spielfilmdebüt im malerisch rauen Yorkshire klischeefreie Bilder – vermeintliche Homophobie von Hinterwäldlern spielt keine Rolle.

Johnny Saxby (Josh O’Connor) ist erst 24 Jahre alt, steckt aber schon tief in einer Sackgasse –beziehungsweise im Morast des nordenglischen Hochlands. Seit dem Schlaganfall seines Vaters (Ian Hart) muss der junge Viehzüchter den Hof der Familie mehr oder weniger allein bewirtschaften. Tagsüber rackert er sich ab, abends betrinkt er sich bis zur Besinnungslosigkeit.

 

Info

 

God's Own Country

 

Regie: Francis Lee,

105 Min., Großbritannien 2017;

mit: Josh O'Connor, Gemma Jones, Alec Secareanu

 

Website zum Film

 

Gelegentlich hat er unverbindlichen Sex mit Männern; etwa im Lieferwagen nach einer Viehauktion. Die sprichwörtliche stiff upper lip wäre fast eine euphemistische Beschreibung für Johnnys Verstocktheit. Wenn er kommuniziert, ist das meist Gegrunze. Nun, seine Familie hält es mit dem Zwischenmenschlichen kaum anders.

 

Kompetenter Gastarbeiter aus Rumänien

 

Die Großmutter (Gemma Jones) und der Vater richten allenfalls schroffe Kritik an ihn. Der rumänische Farmarbeiter Gheorge (Alec Secareanu), den die Familie zur Lamm-Saison vorübergehend anheuert, ist das komplette Gegenmodell: kompetent und bescheiden, mit sich selbst im Reinen – und damit fast ein bisschen langweilig.

Offizieller Filmtrailer


 

Etwas unterkomplexe Charaktere

 

Vor allem aber erkennt Gheorge ein verlorenes Schaf, wenn er es sieht. Das ist wohl die einzige Erklärung, warum er sich über körperliche Chemie hinaus für Johnny interessiert. Der präsentiert sich nämlich auch Gheorge gegenüber erst einmal als Ekel: Dass er ihn fortlaufend „gypsy“ („Zigeuner“) schimpft, ist nur eine Facette seines respektlosen Benehmens.

 

In diesem Film, der fast ohne Musik auskommt, sorgen vor allem Umgebungsgeräusche für die passende Atmosphäre. Darüber hinaus lässt sich Regisseur Francis Lee, der selbst in dieser unwirtlichen Landschaft aufgewachsen ist, viel Zeit – auch bei der Einführung der Figuren. Trotzdem bleiben sie etwas statisch und unterkomplex; die Rollen sind schnell verteilt.

 

Entbehrungen in jeder Einstellung

 

Da hält der Himmel in Yorkshire deutlich mehr Nuancen und Grautöne bereit als das Duo im Zentrum der Geschichte. Dass es schwarzweiß gezeichnet wird, ist bemerkenswerterweise für den plot kaum von Nachteil. Bei allem Minimalismus entwickelt sich die Handlung auf eine subtile und doch effektive Weise.

 

Johnny muss nicht erwartbare Kämpfe gegen vermeintlich homophobe Hinterwäldler führen. Nicht im Kontext der Milieustudie, die dieser Film auch ist: Die ökonomischen Härten einer farmer-Existenz werden eher vorausgesetzt als dramatisiert. Welche Entbehrungen dieses Leben mit sich bringt, ist dennoch in jeder Einstellung zu spüren.

 

Sexpartner finden ohne Dating App

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Ornithologe" – die Legende des heiligen Antonius als schwule Fabel in Portugal von João Pedro Rodrigues

 

und hier einen Bericht über den Film "Der Fremde am See" – fesselnder schwuler Kammerspiel-Thriller von Alain Guiraudie

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sag nicht wer du bist"schwuler Psycho-Triller in der kanadischen Provinz von Xavier Dolan.

 

Auch der queere Aspekt des Films offenbart sich überraschend klischeefrei. Das schwule Leben in der tiefen Provinz wird beiläufig abgehandelt – so selbstverständlich, dass der Film in diesem Punkt bisweilen hart an der Grenze zur Glaubwürdigkeit entlangschrammt. Als Großmutter ein benutztes Kondom findet, verdrückt sie schnell zwei Tränen, dann ist das Thema gegessen. Dem Vater ist alles recht, solange jemand den Hof weiterführt.

 

Zudem ist erstaunlich, wie unkompliziert Johnny seine Sexpartner in dieser Pampa akquiriert, ganz ohne Dating App. Mit seinem Schwulsein hadert er jedenfalls kaum; mit der Verwundbarkeit, die Verliebtsein mit sich bringt, umso mehr. Im Kern geht es in diesem Sozialdrama um sehr universelle Fragen: Wie will ich leben, und wie komme ich da hin?

 

Realistische Sinnlichkeit

 

Da erscheint der Vergleich zum Kassenschlager „Brokeback Mountain“ (2005) von Ang Lee über zwei schwule cowboys unvermeidlich, doch damit täte man diesem sehenswerten Spielfilm-Debüt von Francis Lee keinen Gefallen. Zwar mangelt es „God’s Own Country“ an Komplexität.

 

Zudem wirkt manches redundant und repetitiv, etwa die Auftritte der Großmutter – doch man wird entschädigt durch eine fast dokumentarisch anmutende Authentizität und Glaubwürdigkeit. Dieses Drama in entsättigten Farben ist weit weg von jedem „Landlust“-Kitsch und transportiert doch viel Sinnlichkeit – eben der realistischen Art.