Michael Haneke

Happy End

Die Familie Laurent. Foto: Copyright HAPPY END, X Verleih AG
(Kinostart: 12.10.) Eine schrecklich suizidale Familie: Chef-Misanthrop Michael Hanekes Film erzählt von einer gut situierten Familie, deren Geschäfte und Empathien vor dem Zusammenbruch stehen – sadistisches Gesellschaftsdrama ohne Happy End.

Wenn Michael Haneke einen Film „Happy End“ nennt, ahnen wir eine grausame Pointe. Haneke, der Unversöhnliche, der Spielverderber, hat noch nie einen Zweifel daran gelassen, dass er allen Erzählkonventionen Hollywoods aufs Tiefste misstraut. Und wohl keine davon steht der Motivation des Österreichers ferner als das (selbst dort nicht mehr gültige) Versprechen eines glücklichen Endes. Was Hanekes Filme auszeichnet, ist eine Verweigerung gegenüber jeder Form filmischer Wohlfühl-Mechanismen, etwa der Komplizenschaft mit dem Publikum.  

 

Info

Happy End

 

Regie: Michael Haneke,

90 Min., Frankreich/ Deutschland/ Österreich 2017;

mit: Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant, Franz Rogowski

 

Website zum Film

 

„Happy End“ macht da keine Ausnahme, obwohl es zu Beginn so aussieht. In der Eingangssequenz sehen wir, wie die 13-jährige Ève Laurent (Fantine Harduin) ihre Mutter bei der Abendtoilette durch ihr Mobiltelefon beobachtet. Das Mädchen führt eine Art Videotagebuch, und natürlich steht sofort bleischwer die Digitalisierung des Alltags im Raum. Haneke trifft Smartphones, das war eine Frage der Zeit, denn welches Medium könnte seiner Theorie der „emotionalen Vergletscherung“ der Menschen mehr Auftrieb gegeben?  

 

Ein Haneke-Remix

 

Haneke hat sich am Fernsehen abgearbeitet, am Heimvideo und am Kino. Nun muss er auch youtube und chatrooms einkalkulieren. Das ist das neue an „Happy End“, das sich wie ein Remix fast aller bisherigen Haneke-Filme lesen lässt. Es gibt den mediatisierten Mord wie in „Bennys Video“, familiäre Rituale und Todessehnsucht wie in „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“, das vom kultivierten Klavierspiel übertünchte, erdrückende Schweigen der bürgerlichen Gesellschaft, das wir aus der „Pianistin“ kennen, eine lange Parallelfahrt wie in Hanekes Kafka-Verfilmung „Das Schloss“ sowie einen kurzen Rassismus-Exkurs, der zu „Caché“ führt.

Offizieller Filmtrailer


 

In Rollenklischees gefangen

 

Und es gibt eine starke erzählerische Verbindung zu Hanekes Oscar-prämierten Film „Liebe“ mit Jean-Louis Trintignant, der als Èves Großvater Georges Laurent ebenfalls mit von der Partie ist. „Happy End“ ist das Porträt einer dysfunktionalen, gut situierten Familie, erzählt aus der Sicht der Jüngsten: Die hat sich dem Regime der Stimmungsschwankungen ihrer Mutter entzogen – und deren Schlafmittel an ihren Hamster verfüttert. Mit diesem Wissen bleiben sie und das Publikum allein, während wir die Familie ihres Vaters Thomas (Matthieu Kassovitz) kennen lernen, in deren Obhut sie landet, als Èves versucht, sich das Leben zu nehmen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Liebe" - ergreifendes Kammerspiel über Liebe und Tod von Michael Haneke, prämiert mit Goldener Palme + Auslands-Oscar 2013

 

und hier einen Bericht über den Film "Elle" - raffiniertes Vergewaltigungs-Rachedrama von Paul Verhoeven mit Isabelle Huppert

 

und hier einen Beitrag über den Film "Alles was kommt - L'Avenir" - Akademikerin-Drama über eine Philosophie-Lehrerin von Mia Hansen-Løve mit Isabelle Huppert.

 

Wir haben es mit einem wohlhabenden Unternehmer-Clan aus Calais zu tun: Anne, Èves ehrgeizige Tante schickt sich an, die Leitung zu übernehmen, verzweifelt aber an ihrem überforderten Sohn Pierre (Franz Rogowski), während ihr Bruder Thomas seine schwangere Frau betrügt. Bei Großvater George zeigen sich Anzeichen von Demenz. Derart vergletschert bis zur Bewegungsunfähigkeit, und in Rollenbildern, Erwartungen und Begehren verstrickt, taumelt die Familie blind dem happy end entgegen, das aus Opa Georges Sicht durchaus darin bestehen kann, aus solch einem Leben auszusteigen.   

 

Kein happy end

 

Einmal mehr wirft Michael Haneke uns einen eher schwerverdaulichen Film hin: ohne Spannungsbogen oder filmische Wegweiser ausgestattetes Schauerkino über den beklagenswerten Zustand der bürgerlichen Gesellschaft – nur diesmal: in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Kommunikation.   

 

Dabei entstehen eindrückliche Bilder, wie der in einer langen Totalen gefilmte Einsturz einer Baustelle. Er mag das bröckelnde Fundament der besitzenden Klassen symbolisieren oder Pierres Unfähigkeit, zu leiten. Pierre ist der Einzige, der die Last seiner Geworfenheit in diese Familie abzuschütteln versucht. Das Privileg der Jugend sieht bei Haneke natürlich eher ungelenk und komisch aus. Es gehört nun einmal zu seinem modus operandi, der Analyse und Kritik keine Gegenutopie entgegenzusetzen. Auch hier macht „Happy End“ keine Ausnahme.