Ruben Östlund

Der Kunstbetrieb ist wie das Filmgeschäft

Regisseur Ruben Östlund. Foto: wikipedia.org
In "The Square" nimmt der schwedische Regisseur Ruben Östlund die Eitelkeiten und Absurditäten der Museumswelt aufs Korn; dafür bekam er in Cannes die Goldene Palme. Seine Satire basiere zu großen Teilen auf realen Erlebnissen, erzählt er im Interview.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Kurator zu porträtieren? Noch vor zwanzig Jahren waren Kuratoren keine prominente Berufsgruppe; heute gelten sie als intellektuelle Meinungsmacher. Warum machen Sie nun einen von ihnen zur Hauptfigur ihres Films?

 

Anfangs sollte der Künstler im Mittelpunkt stehen, der „The Square“ geschaffen hat. Doch dann fiel mir auf, dass Kuratoren auf sehr geschickte Art und Weise sozial manövrieren müssen. um erfolgreich zu sein: vom Einwerben der Spenden bis zur Kunst, kontrovers zu erscheinen, ohne dabei allzu sehr anzuecken.

 

Info

 

The Square

 

Regie: Ruben Östlund,

145 Min., Schweden/ Deutschland/ Dänemark/ Frankreich 2017;

mit: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West

 

Website zum Film

 

Außerdem muss der Direktor eines staatlichen Museums stets suggerieren, dass alle seine Ausstellungen gesellschaftlich relevant sind. Daher erschien mir ein Kurator die interessantere Hauptfigur zu sein: Er laviert zwischen vielen verschiedenen Anforderungen. In meinen Filmen stoßen die Protagonisten oft auf ein Dilemma: Sie haben mehrere Optionen, aber keine davon ist einfach.

 

Verantwortung + Vertrauen

 

Der Film hat eine Episoden-Struktur: Man ahnt selten, was als nächstes kommt. Warum haben Sie diesen Aufbau gewählt – und war er von Anfang an geplant?

 

Das Drehbuch zu diesem Film war wesentlich schwieriger zu schreiben als das zu meinem letzten Film „Höhere Gewalt“; der hatte eine einfache und geradlinige Geschichte. Diesmal musste ich zwei Handlungsstränge zur Struktur des Films verknüpfen: einerseits die Vermarktung von „The Square“ durch die PR-Abteilung, andererseits den Diebstahl des Handys vom Kurator samt allem, was daraus folgt.

 

Die Thematik des Films ist für mich dieselbe wie die des Kunstwerks „The Square“: Es geht um Verantwortung und Vertrauen. Ich gehe beim Schreiben vor allem thematisch vor und sammele Elemente, die mit dem Thema zu tun haben. So hat mir ein Freund von einem Erlebnis erzählt, das sich auch im Film wiederfindet: Eine Roma-Frau erbettelt vom Kurator ein chicken ciabatta – aber mit dem Sonderwunsch, es solle eines ohne Zwiebeln sein.

Offizieller Filmtrailer


 

Blase mit Sprachkodex + Hierarchie

 

Der Museumsdirektor agiert kaum innerhalb des Kunstbetriebs: Er empfängt weder Galeristen noch Sponsoren und gibt nur eine einzige Pressekonferenz. Warum bleibt er so isoliert?

 

Ich wollte eigentlich, dass er sich mit Sponsoren trifft. Aber hauptsächlich hat er mit administrativen Aufgaben zu tun; er sollte nicht losgelöst vom täglichen Museumsbetrieb erscheinen.

 

Die Haltung des Films gegenüber dem Kunstbetrieb erscheint ambivalent: Halb feiert er ihn, halb rammt er ihn in den Boden. Entspricht das ihren eigenen Ansichten zum Kunstbetrieb?

 

Er hat in der Tat einen dekadenten Touch. Als ich zur Vorbereitung des Films recherchierte, habe ich viele Museen besucht. Mir kommt der Kunstbetrieb wie eine Blase mit eigenem Sprachkodex und eigener Hierarchie vor, ziemlich losgelöst von der übrigen Welt. Diese Dekadenz findet man aber auch bei den Filmfestspielen in Cannes; dafür kommen die Leute dorthin. Ich habe versucht, den Kunstbetrieb wie das Filmgeschäft zu betrachten, in dem ich mich einigermaßen auskenne.

 

Der Kaiser ist nackt

 

Ein wichtiger Faktor zur Hierarchiebildung im Kunstbetrieb ist, wer worüber in welchem Magazin schreibt. Da werden zentrale Begriffe geprägt, neue Trends gesetzt und Allianzen zur Vermarktung geschmiedet. All das spielt in ihrem Film keine große Rolle – warum?

 

Es wird beim Galadinner mit der Gorilla-Performance des Künstlers Oleg Rogozijn angedeutet. Mir war aber wichtig, den ganzen Betrieb etwas anzugreifen, der inzwischen sehr theorielastig daherkommt. Alles wird mit einem immensen Aufwand verstiegener Theorien erklärt und gerechtfertigt, die nichts mit der Realität zu tun haben. Wenn man an diesem Lack kratzt, sieht man rasch, dass der Kaiser nackt ist. Deshalb habe ich mich für diese Herangehensweise entschieden.

 

Sie verlangen ihren Schauspielern eine Menge ab. Wie war das bei der Gorilla-Performance: Wussten die Statisten, was sie erwartet?

 

Zuerst wussten sie nicht viel. Doch wir haben die Szene drei Tage lang gedreht; es gab eine ausgefeilte Choreographie, wohin Rogozijn gehen und wie er sich verhalten sollte. Daher flößte sie den Statisten keine Angst ein, denke ich. Die meisten waren Akteure im schwedischen Kunstbetrieb; das kann man an ihrem Auftreten sehen.

 

Sinnentleerte Provokationen

 

Der Film scheint den Ansatz anzugreifen, Kunst als erzieherische Maßnahme zu benutzen, um das Verhalten der Betrachter zu verändern. Ist dem so?

 

Nein, das war nicht meine Absicht. Ich denke, dass Kunst tatsächlich als Instrument dienen kann, um menschliches Verhalten zu beeinflussen. „The Square“ ist ein reales Kunstwerk, das ein Freund von mir in einem schwedischen Kunstmuseum ausgestellt hat: als symbolischen Ort, der uns an unsere gemeinsame Verantwortung erinnert. Es fungiert wie ein Zebrastreifen, der Autofahrer daran erinnert, auf Fußgänger achtzugeben. Genauso soll das Quadrat auf dem Boden daran erinnern, dass wir alle in unserer Gesellschaft Verantwortung geben und erhalten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Square" von Ruben Östlund

 

und hier eine Besprechung des Films "Höhere Gewalt" - Familien-Drama im alpinen Hochgebirge von Ruben Östlund

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ich und Kaminski" - ausgefeilte Kunstbetriebs-Tragikomödie von Wolfgang Becker

 

und hier einen Bericht über den Film "National Gallery" - facettenreiche Dokumentation über das Londoner Museum von Frederick Wiseman.

 

Als Duchamp ein Pissoir als readymade ins Museum stellte, provozierte das noch heftige Debatten. Heute nicht mehr: Solche Gesten sind Routine geworden, die niemand mehr infrage stellt. Diese Sinnentleerung betrifft viele Kunstwerke im Film: von der Neonschrift an der Wand bis zu den Kieselhaufen auf dem Boden. Weder provozieren sie, noch werfen sie Fragen auf. Übrigens wird der Film vom Kunstbetrieb positiv aufgenommen: Das Centre Pompidou in Paris wird ihn zeigen, ebenso das Moderna Museet in Stockholm.

 

Die entscheidende Frage ist aber: Wie erzeugt man Aufmerksamkeit für das, was man macht? Der PR-Abteilung des Museums gelingt das mit einem spektakulären und zynischen Videoclip, doch der hat nichts mehr mit der eigentlichen Bedeutung des Werks zu tun.

 

Stimmt es, dass ihr Film ursprünglich wesentlich länger war und stark gekürzt wurde?

 

Die erste Version des Films dauerte mehr als 220 Minuten, aber derart lange Filme jagen jedem Verleiher einen Schrecken ein; daher mussten wir ihn kürzen. Es gibt wunderschöne outtakes, etwa zu den meetings der PR-Abteilung, die wir bei Youtube einstellen wollen.