Lars Eidinger

Mathilde

Der künftige Zar Nikolaus II (Lars Eidinger) mit Mathilde (Michalina Olszanska) bei Wasserspielen. Foto: Kinostar Filmverleih GmbH
(Kinostart: 2.11.) Alleinherrscher mit menschlichem Antlitz: Vor seiner Thronbesteigung wagte der letzte Zar Nikolai II. eine leidenschaftliche Affäre mit einer Tänzerin. Das inszeniert Regisseur Aleksey Uchitel opulent und fesselnd – russische Reaktionäre protestieren.

Pomp and Circumstances: Der russische Monumentalfilm ist zurück. Mit 7000 historischen Kostümen aus 17 Tonnen Stoff, mit bis zu 2000 Statisten in den Massenszenen, mit Bergen von Gold und Kristall an den Original-Schauplätzen: All das bietet „Mathilde“ auf.

 

Info

 

Mathilde

 

Regie: Aleksey Uchitel,

109 Min., Russland 2017;

mit: Lars Eidinger, Michalina Olszanska, Luise Wolfram

 

Weitere Informationen

 

Solche Materialschlachten haben in Russland Tradition. In den klassizistischen Zarenpalästen in und um Sankt Petersburg ist alles doppelt so groß – aber nur halb so fein gearbeitet – wie in den westeuropäischen Vorbildern. In sowjetischen Spielfilmen jagten häufig Heerscharen von Komparsen über die Leinwand, um eine oft dürftige Handlung aufzupeppen.

 

Primaballerina + Prinzessin

 

Doch Regisseur Aleksey Uchitel schafft es, „Mathilde“ nicht in kaltem Prunk erstarren zu lassen. Indem er sein Porträt von Nikolaus Romanow (Lars Eidinger), dem späteren Zaren Nikolaus II., auf eine kurze Episode im Leben des Thronfolgers beschränkt: seine leidenschaftliche Affäre mit der Primaballerina Matilda Kshessinskaja (Michalina Olszanska). Wobei er schon mit Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt (Luise Wolfram) verlobt war, die er ebenfalls liebte.

Offizieller Filmtrailer


 

Eher Frauenversteher als Eroberer

 

Der Zarewitsch als Heißsporn, zerrissen zwischen zwei Frauen: So viel Allzumenschliches ruft in Russland Unmut hervor – schließlich hat die Russisch-Orthodoxe Kirche Nikolai II., den die Bolschewiki 1918 samt Familie erschossen, im Jahr 2000 heiliggesprochen. Es gab Protestdemonstrationen, Molotow-Cocktails und Drohungen gegen die Mitwirkenden; was Lars Eidinger dazu bewog, der Premiere in Russland fernzubleiben. Aber die klerikal-reaktionären Eiferer sind in der Minderheit: Das Kulturministerium hat den Film mitfinanziert, und Regisseur Uchitel fiel bislang nicht als kreml-kritisch auf.

 

Aus westlicher Sicht wirkt die ganze Aufregung reichlich übertrieben. Nikolai II. war kein entrückter Autokrat, sondern gab sich zivil und für technische Neuerungen aufgeschlossen, obwohl er an der überkommenen Alleinherrschaft festhielt. Das kommt im Film gut zur Geltung. Hauptdarsteller Lars Eidinger erweist sich als Idealbesetzung: mehr an Ballett und dem soeben erfundenen Kino interessiert als an Zepter und Zeremoniell, eher Frauenversteher als Eroberer. Beim ersten rendez-vous nimmt er klaglos hin, dass ihn Matilda schnippisch sitzen lässt.

 

Zwischen Pflicht + Neigung

 

Nikolai behandelt sie nicht als Mätresse, sondern als ebenbürtig: Vor versammeltem Hofstaat stellt er sie seinem Vater vor, Zar Alexander III. Als der 1894 stirbt, muss sein Sohn schleunigst den Thron besteigen und vorher standesgemäß heiraten. Also reist Prinzessin Alix an, die ihren künftigen Gatten zehn Jahre zuvor kennen gelernt hatte: Über ihre Nebenbuhlerin am Theater ist sie natürlich nicht amüsiert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Duellist" – opulenter historischer Abenteuerfilm in Sankt Petersburg um 1860 von Alexej Mizgirev

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Welt um 1914: Farbfotografie vor dem Großen Krieg" mit Fotoserien aus dem Zarenreich unter Nikolaus II. im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Film "Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D" – historische Doku mit animierten Stereoskopie-Fotos von Nikolai Vialkowitsch

 

und hier eine Besprechung des Films "1917 - Der wahre Oktober" – Doku-Animationsfilm über die russische Revolution von Katrin Rothe.

 

Im Zickenkrieg der beiden Rivalinnen mischen noch Nikolais Mutter Maria Feodorovna, sein Bruder Prinz Andrey und Polizeichef Vlasov als Sachwalter der Staatsräson mit. Dieses Hin und Her, das den Thronfolger arg überfordert, inszeniert Regisseur Uchitel schwungvoll mit einer Prise Komik, ohne den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung zu verulken. Die ihm innewohnende Tragik tritt bei den pompösen Krönungsfeierlichkeiten zutage: Beim begleitenden Volksfest kommt es zu einer Massenpanik mit fast 2000 Opfern. Das Abschluss-Feuerwerk beleuchtet ein Schlachtfeld voller Leichen.

 

Zar war nur zu fünf Prozent Russe

 

So hält „Mathilde“ die Balance zwischen Schauwerten und Psychogramm der Macht. Dabei wirkt dieser opulente Kostümfilm überraschend exporttauglich; das dürfte auch am internationalen ensemble liegen. Das Herrscherpaar ist deutsch, was historisch zutrifft: Wegen der vielen Zarinnen deutscher Herkunft floss in Nikolais Adern nur noch fünf Prozent russisches Blut.

 

Michalina Olszanska ist Polin wie seine rassige Geliebte; ihre italienische Tanz-Konkurrentin Pierina Legnani spielt Sarah Stern aus Frankreich. Und den Hofarzt Dr. Fischel – viele deutsche Akademiker standen im Dienst des Zaren – verkörpert Eidingers regulärer Arbeitgeber: Thomas Ostermeier, Intendant der Berliner Schaubühne, hat einen skurrilen Gastauftritt.

 

Putin jagt lieber Wild

 

Traditionsverbunden, aber zeitgemäß; prinzipientreu, aber volksnah: Wie Regisseur Uchitel den letzten Zaren und sein Reich präsentiert, sieht sich vermutlich auch sein heutiger Nachfolger. Wobei von Wladimir Putin keine pikanten Bettgeschichten bekannt sind; seine Leidenschaft gilt eher der Selbstdarstellung als ganzer Kerl beim Judo, Jagen und Fischen.