Ruben Östlund

The Square

Kurator Christian (Claes Bang) zeigt seinen Töchtern die Hauptattraktion der neuen Ausstellung "The Square". Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 19.10.) Gemeinsinn im Quadrat: Im Cannes-Siegerfilm porträtiert Regisseur Ruben Östlund einen aalglatten Museumschef in Nöten – nicht als Abrechnung mit Absurditäten des Kunstbetriebs, sondern als Episodenreigen mit moralischem Mehrwert.

Das war überfällig: ein Film, der die Auswüchse des heutigen Kunstbetriebs aufs Korn nehmen will. In ihm haben Großkuratoren wie Hans-Ulrich Obrist und Klaus Biesenbach längst den Status von Börsengurus erreicht: Ihre Empfehlungen machen manche Künstler im Handumdrehen zu millionenschweren Stars. Wobei die Auswahlkriterien Außenstehenden meist unverständlich bleiben – Gegenwartskunst als Geheimwissenschaft.

 

Info

 

The Square

 

Regie: Ruben Östlund,

145 Min., Schweden/ Deutschland/ Dänemark/ Frankreich 2017;

mit: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West

 

Website zum Film

 

Um es vorweg zu nehmen: „The Square“, obwohl in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert, ist keine Satire auf das Geschäft mit der Kunst. Daran ist der schwedische Regisseur Ruben Östlund nicht interessiert: Er hat eher einen Film über political correctness und Doppelmoral gedreht. Die Gschaftlhuberei und das Netzwerken von Galeristen und Sammlern, um ihre Hof-Künstler ins Rampenlicht zu schieben und die Preise ihrer Arbeiten bei Messen und Auktionen nach oben zu treiben, bleiben außen vor.

 

Gutmenschen-Quadrat als Schutzraum

 

Im Mittelpunkt steht stattdessen Christian (Claes Bang), künstlerischer Direktor des angesehenen „X-Royal Museum“ in Stockholm. Er bereitet die Ausstellung einer argentinischen Künstlerin vor, in der es um Ver- und Misstrauen geht. Hauptwerk ist das titelgebende Quadrat: im Boden des Museumshofs eingelassen, bietet es einen Schutzraum für alle Bedürftigen. Wer die Fläche im Viereck betritt, soll von seinen Mitmenschen jede nötige Hilfe erwarten können – dieses Konzept klingt weniger lateinamerikanisch als vielmehr skandinavisch-protestantisch.

Offizieller Filmtrailer


 

Werbeclip mit explodierender Bettlerin

 

Nebenher ist der smarte und edel gekleidete Christian mit allerlei Anderem beschäftigt. Trickdiebe stehlen ihm Handy und Brieftasche; von seinem Mitarbeiter Michael (Christopher Læssø) lässt er sich überreden, einen Erpresserbrief aufzusetzen, um die Langfinger zur Rückgabe zu zwingen. Ihn ihm Plattenbau zuzustellen, traut sich Michael aber nicht; das muss Christian im Schutz der Nacht selbst erledigen.

 

Tagsüber verhandelt er über eine ‚virale‘ Werbekampagne für die kommende Ausstellung mit aasigen social media-Experten. Denen ist die Heilsbotschaft des Quadrats zu spießig; sie drehen einen Youtube-Videoclip, in dem ein blondes Bettelmädchen in die Mitte tritt und prompt in die Luft gejagt wird. Ein zündender Knalleffekt: Im internet bricht ein shit storm los, der Christian zu hektischem Krisenmanagement nötigt.

 

Allerorten Auftritte von Affen

 

Dennoch bleibt ihm Zeit, die amerikanische Möchtegern-Journalistin Anne (Elisabeth Moss) zu vernaschen; nach diesem one-night stand stellt sie ihm eifersüchtig nach. Oder er organisiert ein Galadinner für Geldgeber; als Hauptattraktion erscheint der Künstler Oleg Rogozijn (Terry Notary), dessen performance als Gorilla völlig aus dem Ruder läuft. Erst tanzt er allen Anwesenden auf der Nase herum, während sie betreten schweigen; dann stürzen sie sich in einer kollektiven Prügelorgie auf ihn.

 

Das bleibt nicht der einzige äffische Auftritt: In der Wohnung von Anne taucht unvermittelt ein Schimpanse auf, und die social media-Typen grölen sich in einen Primaten-Brunftrausch. Schon klar: Die Firnis der Zivilisation ist dünn – kratzt man daran, kommen Instinkte der Hominiden-Horde zum Vorschein. Ähnlich subtil sind andere Szenen, mit denen Regisseur Östlund die Scheinheiligkeit der culturati vorführen will.

 

PR-Hippie pflegt sein Kleinkind

 

Eröffnet am Ende einer Museums-Vernissage der Küchenchef das Büffet, stürzen sich alle wie die Habichte darauf. In der PR-Abteilung hängt ein Althippie herum, der zu jeder Sitzung sein glucksendes Kleinkind mitbringt und es auf den Armen wiegt – von wegen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als der Bettelmädchen-Videoclip sich als PR-GAU entpuppt, freut sich Assistent Michael, man habe zumindest „eine Debatte angestoßen“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Ruben Östlund über "The Square"

 

und hier eine Rezension des Films "Höhere Gewalt" - eindrucksvolles Familien-Drama im alpinen Hochgebirge von Ruben Östlund

 

und hier eine Besprechung des Films "Ich und Kaminski" - ausgefeilte Kunstbetriebs-Tragikomödie von Wolfgang Becker

 

und hier einen Beitrag über den Film "National Gallery" - facettenreiche Dokumentation über das Londoner Museum von Frederick Wiseman.

 

So hangelt sich der Film von einer Episode mit müder Pointe zur nächsten; anfangs durchaus amüsant, doch das trägt nicht über zweieinhalb Stunden Laufzeit. Ebenso wenig die recht abgestandene Einsicht, dass Akteure im öffentlichen Raum gerne einen Gemeinsinn beschwören, an den sie sich selbst nicht halten. Das gilt auch für Künstler – von denen in diesem Film kaum einer auftaucht.

 

Kulturbetriebs-Abrechnung bleibt aus

 

Mit seiner mäßig originellen Moralpredigt geht Regisseur Östlund höchst aktuellen und spannenden Fragen aus dem Weg: Woran liegt es, dass zeitgenössische Kunst binnen zwei Jahrzehnten zu einer umsatzstarken Branche der Freizeitindustrie aufgestiegen ist? Wie entstehen Bedeutung und Prestige in einer Sphäre, in der es per definitionem keine eindeutigen Regeln gibt? Und warum bleibt das Renommee des Kunstbetriebs ungeschmälert erhalten, obwohl schneidende Kritik an ihm so alt ist wie die Moderne selbst?

 

All das kommt in „The Square“ nicht vor. Dass der Film dennoch in Cannes gewann, dürfte an der Erwartungshaltung liegen, endlich bekomme der schnöselige Kulturbetrieb sein verdientes Fett weg. Was nur oberflächlich so scheint, solange man ihn nicht von innen kennt: Eine wirklich treffende Abrechnung mit ihm muss noch gedreht werden.