Fatih Akin

Aus dem Nichts

Katja Sekerci (Diane Kruger) ist über das Attentat entsetzt. Foto: © 2017 Warner Bros. Pictures
(Kinostart: 23.11.) Eine Bombe vernichtet eine Familie – die Mühlen der Justiz verweigern der überlebenden Mutter jede Gerechtigkeit. Regisseur Fatih Akin kommentiert die Affäre um die NSU-Mordserie aus seiner Sicht: als frustrierendes Rachedrama.

Fatih Akin ist einer der wenigen deutschen Filmemacher, die auch im Ausland beachtet werden – und einer der wenigen, die sich ihre eigene Handschrift zwei Jahrzehnte lang bewahrt haben. Natürlich ist auch er seit seinen ersten Erfolgen wie „Im Juli“ (2000) und „Gegen die Wand“ (2004) ruhiger geworden, aber kaum milder.

 

Info

 

Aus dem Nichts

 

Regie: Fatih Akin,

105 Min., Deutschland/ Frankreich 2017;

mit: Diane Kruger, Numan Acar, Ulrich Tukur, Denis Moschitto

 

Weitere Informationen

 

Auch „Aus dem Nichts“ ist schon in den ersten Minuten als ein typischer Fatih-Akin-Film zu erkennen. Nicht nur, weil gleich zu Beginn mit Adam Bousdoukos einer seiner Lieblings-Schauspieler auftritt, während eine wackelige Telefonkamera die Hochzeit von Nuri (Numan Acar) und Katja Şekerci (Diane Krüger) filmt. Beide heiraten im Knast; dort sitzt der Kurde Nuri wegen Drogenhandels ein.

 

Geglückte Resozialisierung

 

Einige Jahre später ist Nuri resozialisiert und betreibt ein Übersetzungsbüro im Hamburger Kiez. Er und Katja haben ein niedliches, freches Kind. Der Übergang vom Knast in den Kiez gelingt Akin mühelos; in wenigen Sequenzen zeichnet er ein klares Bild vom bescheidenen Glück einer kleinen Familie. Es wird wenig später, „Aus dem Nichts“ heraus, komplett zerstört.

Offizieller Filmtrailer


 

Prozess als Alptraum

 

Nuri und sein Sohn Rocco (Rafael Santana) sterben bei einem Sprengstoff-Attentat; ein Neonazi-Pärchen hat es begangen, wie sich herausstellt. Bis die Täter vor Gericht gestellt werden, erleben wir aus der Perspektive von Katja ihren Alptraum. Sie betäubt sich mit Kokain und Marihuana, während um sie herum die Polizei ermittelt,  trauernde Eltern und Schwiegereltern ertragen werden müssen; derweil alles, was ihr lieb und teuer war, im Dauerregen versinkt.

 

Als der Prozess endlich beginnt, in dem Katja als Nebenklägerin auftritt, geht der Alptraum im Gerichtssaal weiter: Langsam aber sicher pressen die Mühlen der Justiz aus dem anfangs glasklaren Fall jedes Leben heraus. Mit dem ernüchternden Gerichtsurteil hätte der Film enden können, aber es folgt noch ein drittes Kapitel; unter griechischer Wintersonne entwickelt es sich zu einer zähen Übung in Rache und Gerechtigkeit. Das niederschmetternd depressive Ende verweigert jede  Befriedigung.

 

Hervorragend besetzte Rollen

 

Ist es ungerecht, für diese Frustration den Film selbst verantwortlich zu machen? Eigentlich ist am ihm kaum etwas auszusetzen. Zwar ist der soundtrack von Josh Homme – dem band leader der „Queens of the Stone Age“ – etwas schwach, doch die Darsteller sind zum größten Teil hervorragend und bis in die Nebenrollen kompetent besetzt.

 

Denis Moschitto spielt wacker den windigen Kiez-Anwalt Danilo Fava, der Katjas einziger Verbündeter ist. Es gibt einen traurigen Kommissar mit Dackelfalten, einen fiesen Strafverteidiger und einen griechischen Fascho von der Neonazi-Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“). Ulrich Tukur übernimmt nuanciert die Rolle eines im Grunde anständigen, aber jämmerlichen Deutschen; als Vater des Hauptverdächtigen. Auch Fatih Akins Bruder Cem hat wieder einen Kurzauftritt.

 

Grenzgänger zwischen den Welten

 

Leider verblassen diese interessanten Nebenfiguren neben Diane Kruger. Ihr gehört die gesamte Aufmerksamkeit der Kamera; sie zeichnet die persönliche Implosion einer tätowierten Kiez-Mutter mehr als 100 Minuten lang mit Bravour nach. Die dreiteilige Struktur des Films und die Verlagerung der Handlung zum Finale in Richtung Südosteuropa erinnert an zwei andere Filme von Akin: „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ (2007). Ob Ägäis oder Bosporus: Am Meer erfüllt sich das Schicksal der Figuren aus Städten wie Hamburg oder Istanbul.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Diane Kruger über "Aus dem Nichts"

 

und hier eine Besprechung des Films "Tschick" – herrlich anarchische Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin

 

und hier eine Rezension des Films  "The Cut"ambitioniertes Melodram über den Völkermord an den Armeniern von Fatih Akin

 

und hier einen Bericht über den Film "Kriegerin" – ein beeindruckender Einblick in die Neonazi-Szene von David Wnendt

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der blinde Fleck" über das Oktoberfest-Attentat 1980 von Daniel Harrich.

 

Diese Metropolenbewohner sind Grenzgänger zwischen den Welten; Außenseiter wie der junge Fatih Akin selbst, mit hybriden Identitäten. Sie kommen aus einer Grauzone, die im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerungsmehrheit dank boulevard-Presse mit Rotlicht-milieu und Kleinkriminalität assoziiert wird. Akin dagegen kennt dieses milieu in all seinen Abstufungen genau; es ist sein Verdienst, diesen Leuten in seinen Filmen eine Stimme zu geben.

 

Wut + Ratlosigkeit

 

Dieser Umstand und der am US-Kino geschulte Kamerablick garantieren, dass „Aus dem Nichts“ selbst in zähen Momenten immer noch besser ist als jeder „Tatort“, auch wenn er etwa durch klischeehafte Drehorte mit der 08/15-Ästhetik von TV-Krimi-Dutzendware zu kokettieren scheint. Dem Film samt seinen Unschärfen sind also die Wut und die Ratlosigkeit, mit dem er seine Zuschauer entlässt, nicht anzulasten.

 

Sondern viel eher den Verhältnissen, die er beschreibt: allen voran eine Justiz, die Mördern viel Verständnis entgegenbringt, bei brennenden Autos aber mit aller Härte vorgeht. Oder ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das für Opfer der NSU-Verbrechen nur Mitgefühl aufbringt, wenn sich das Publikum zugleich auch in die Täter-Perspektive versetzen lässt.

 

NSU-Film fürs Ausland

 

Dieses Thema wollte Regisseur Akin offensichtlich aus seiner Sicht kommentieren; auch wenn „Aus dem Nichts“ nicht zu seinen stärksten Arbeiten gehört, so hat der Film doch viel Herz. Ironischerweise spricht der kleine Sohn Rocco kurz vor seinem Tod das entscheidende Wort aus: „Em-pa-thie“. Der Abspann bezieht sich explizit auf den Komplex der NSU-Morde; dazu wird man im Ausland künftig diesen Film sehen. Nicht diejenigen von der ARD – das ist gut so.