Milo Rau

Das Kongo Tribunal

Zhihalirwa Chakirwa, Parzellenbesitzer in Süd-Kivu, erläutert dem Tribunal, wie seine Dorfgemeinschaft gewaltsam von ihrem Land vertrieben wurde. Foto: Real Fiction Filmverleih
(Kinostart: 16.11.) Blutige Smartphones: Für ihre Produktion ist Coltan nötig – um dessen Fundstätten im Ost-Kongo wird seit 20 Jahren gekämpft. Dortige Massaker und Anomie beleuchtet Regisseur Milo Rau anschaulich mit einer Tribunal-Inszenierung vor Ort.

Der „Dritte Weltkrieg“ schwelt bis heute; er soll laut Schätzungen bislang sechs Millionen Todesopfer gefordert haben. So nennt man den Krieg im Osten der „Demokratischen Republik Kongo“ (DRC), der seit fast 20 Jahren in wechselnder Intensität geführt wird. Daran war zeitweise ein Dutzend afrikanischer Staaten südlich der Sahara beteiligt; entweder mit eigenen Truppen oder durch Unterstützung lokaler Milizen.

 

Info

 

Das Kongo Tribunal

 

Regie: Milo Rau,

100 Min., Deutschland/ Schweiz 2017;

 

Website zum Film

 

Zwar wurde dieser Krieg 2009 offiziell beendet, aber bewaffnete Konflikte dauern weiter an. Es winkt fette Beute: Der Ostkongo ist eine äußerst rohstoffreiche Region. Edelmetalle wie Gold und Coltan, das zur Produktion von Mobiltelefonen benötigt wird, versprechen hohe Gewinne: Nach Australien ist die DRC der zweitgrößte Coltan-Produzent der Welt.

 

Minen als Gelddruckmaschinen

 

Zwei Jahrzehnte Gewalt und Korruption ließen rechtsfreie Räume entstehen: Wer mit Waffengewalt ertragreiche Minen kontrolliert, hat sich eine Gelddruckmaschine angeeignet. Den Preis für das Geschacher von warlords und Bergbau-Firmen zahlt die Bevölkerung; sie wird von ihrem Ackerland vertrieben oder gar niedergemetzelt.

Offizieller Filmtrailer


 

Filmteam erlebt zufällig Massaker

 

Diesen längsten, blutigsten und am meisten vernachlässigten Krieg des Planeten auf einen Begriff zu bringen, ist praktisch unmöglich: Im Gewirr der Splittergruppen, wechselnden Frontverläufe und Interessenverflechtungen blicken nur wenige Spezialisten durch. Milo Rau versucht es trotzdem. Der Schweizer Regisseur inszeniert „postdramatisches Theater“ – die Nach-Bearbeitung von Zeitgeschichte auf der Bühne. Etwa in Form einer Gerichtsverhandlung: Mit den „Moskauer Prozessen“ gelang Rau 2014 eine beeindruckend komprimierte Aufarbeitung dreier Schauprozesse gegen Künstler im heutigen Russland.

 

Nun wagt sich Milo Rau an die unübersichtliche Gemengelage im Ostkongo. Da unzählige Kriegsverbrechen nicht einmal dokumentiert, geschweige denn bestraft wurden, soll ein Tribunal zumindest drei Fälle exemplarisch behandeln. Ein Massaker an rund 30 Frauen und Kindern im Dorf Mutarule erlebte Raus Filmteam bei Recherchen zufällig mit, wie Doku-Aufnahmen belegen. Dagegen berichten Augenzeugen, wie auf eigene Rechnung arbeitende Schürfer in den Orten Twangiza und Bisié zwangsweise umgesiedelt wurden – die dortigen Erzvorkommen eignete sich der kanadische Banro-Konzern an.

 

Passive Regierungs- und UN-Truppen

 

Dafür betreibt Regisseur Rau einen Aufwand wie nie zuvor. Das Tribunal 2015 im ostkongolesischen Bukavu, Provinzhauptstadt von Süd-Kivu, rekonstruiert vor großem Publikum die drei Ereignisse. Eine öffentliche Experten-Anhörung in Berlin soll anschließend Hintergrund-Informationen zusammentragen; davon werden aber nur kurze Szenen im Film gezeigt. Neben ihm sollen eine Reihe von Symposien, ein Buch, online-Archiv, Doku-game und virtual reality-Installation die Ergebnisse verbreiten; ob dieser multimediale overkill sinnvoll ist, scheint fraglich.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Dokumentation Die Moskauer Prozesse – Re-Inszenierung der Schauprozesse gegen russische Künstler von Milo Rau

 

und hier eine Besprechung des Films "Félicité" – ergreifendes Sozialdrama aus dem Kongo von Alain Gomis, prämiert mit dem Silbernen Bären 2017

 

 und hier einen Bericht über den Film "Wrong Elements" – Doku über ehemalige Kinder-Soldaten in Uganda von Bestseller-Autor Jonathan Littell

 

und hier einen Beitrag über den Film "Viva Riva! – zu viel ist nie genug" – rasant inszenierter Benzinschmuggler-Krimi als erster Spielfilm aus der DRC Kongo von Djo Tunda wa Munga.

 

Denn die Zeugenaussagen wirken am stärksten bei unmittelbarer Anschauung. Da schildert ein Bauer und Vater von sieben Kindern, wie seine ganze Dorfgemeinschaft gewaltsam abtransportiert und für den Verlust ihres Ackerlands kaum entschädigt wurde. Ein anderer Dörfler erzählt, wie Milizionäre eine Kirche beim Gottesdienst beschossen – in der Nähe stationierte Regierungstruppen unternahmen nichts. Der Mann schleppte sich verletzt zu einer Kaserne der UN-Mission „MONUC“ und bat um Hilfe; doch auch die Blauhelme blieben passiv.

 

Bizarre Minister-Auftritte

 

So wird eine Kultur der Gesetzlosigkeit anschaulich: Jeder bewaffnete Haufen kann ungestraft die Zivilbevölkerung terrorisieren, solange er nicht die Interessen mächtigerer warlords stört. Das erinnert an die Anomie im Dreißigjährigen Krieg, als Landsknechte einfach den nächsten Weiler überfielen, um an Proviant zu kommen. Wobei im Kongo durchaus ein regulärer Staatsapparat existiert: Zu den bizarrsten Momenten des Films zählen Auftritte des Minen- und des Innenministers der Provinz als „Experten“.

 

Sie tragen hanebüchene Ausreden vor: Um derlei zu unterbinden, sei ihr Personal zu schlecht ausgebildet und ausgerüstet. Ob sie deshalb später ihre Posten verloren? Derweil verfolgt der Provinzgouverneur das Spektakel stirnrunzelnd von der ersten Reihe der Zuschauertribüne aus. Deutlich wird, dass diese Kaste hochrangiger Bürokraten nichts zu befürchten hat: Sie verdanken ihre Ämter der Vetternwirtschaft und guten Kontakten zu fremden Unternehmen, nicht etwa ihrer Qualifikation oder gar demokratischer Legitimation.

 

Kauft weniger smartphones!

 

Naturgemäß kann „Das Kongo Tribunal“ dieses System neokolonialer Ausbeutung, bei dem sich heimische und ausländische Eliten skrupellos auf Kosten der Bevölkerung bereichern, nur andeutungsweise skizzieren. Doch wenigstens beleuchtet der Film schlaglichtartig, wie menschenverachtend sie abläuft. Abhilfe schüfe allein eine Verringerung der Nachfrage nach Coltan: weniger smartphones kaufen.