William Oldroyd

Lady Macbeth

Keine Angst vor Konfrontation: Katherine (Florence Pugh), eine ungewöhnlich junge Frau im England des 19. Jahrhunderts. Foto: © Koch Films
(Kinostart: 2.11.) Emanzipation durch Mord: In William Oldroyds Literaturverfilmung kämpft die junge Ehefrau eines Adligen im England des 19. Jahrhunderts gegen die Macht des Patriarchats - intimes Kammerspiel mit feministischem Antlitz und kühlen Bildern.

Das Heidekraut blüht in matten Farben, die Wolken hängen tief im britischen Northumberland. Aber keine Hexen treten auf, keine Burg, kein König, und auch kein Dolch. Die Lady Macbeth, die Regisseur William Oldroyd in seiner unspektakulären, aber pointierten Adaption porträtiert, ist nicht die Shakespearsche Strippenzieherin, sondern eine – nicht weniger skrupellose – Wiedergängerin der Lady Macbeth aus dem russischen Landkreis Mzensk.

 

Info

 

Lady Macbeth

 

Regie: William Oldroyd,

89 Min., Großbritannien 2016;

mit: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton

 

Website zum Film

 

In der gleichnamigen Erzählung des Schriftstellers Nikolai Leskow (1831-1895) meuchelt eine junge, frustrierte Kaufmannsfrau nacheinander ihren Schwiegervater, ihren Gatten und schließlich, um das Erbe zu sichern, auch ihren Neffen. All das, um mit einem hübschen Tagelöhner, den sie zum Komplizen macht, glücklich zu werden. Letzteres geht gründlich schief. Die Bewohner des Landkreises Mzensk verpassen ihr den Namen „Lady Macbeth“, als ihre Verbrechen ruchbar werden.

 

Schostakowitsch-sample

 

Die 1865 erschiene Novelle diente in den 1930er Jahren dem Komponisten Dimitri Schostakowitsch als Vorlage für seine gleichnamige Oper. Offiziell sollte der Stoff als Warnung vor den Tücken weiblicher Sinnlichkeit dienen, doch Schostakowitschs Musik ließ wesentlich mehr Facetten der Mörderin aufscheinen, nicht zuletzt eine gewisse Sympathie für die Hauptfigur.

Offizieller Filmtrailer


 

Doppelmoral der Besitzenden

 

Der britische Regisseur Oldroyd knüpft hier an, übernimmt die Struktur von Leskows Erzählung und übersetzt sie mit ein paar Variationen aus dem feudalen Russland zurück: nicht nach Schottland, aber in Englands trüben Norden. Auch hier konzentriert sich das Geschehen auf ein Herrenhaus und die umliegende Natur. Aus Katarina wird Katherine (Florence Pugh).

 

Die Familie, in die sie als zweite Ehefrau eines doppelt so alten Mannes einheiratet, lebt von den Erträgen einer Bergwerks-Mine. Dass der Wohlstand aber auch dem Überseehandel entspringt, lässt sich an den Gesichtern der Hausangestellten und Arbeiter erkennen: Nicht wenige stammmen aus Afrika oder der Karibik – lebendiger Ausdruck der Machtverhältnisse und der sexuellen Doppelmoral. Auch der junge Sebastian (Cosmo Jarvis), den die junge Katherine zum Liebhaber wählt, hat dunkle Haut und krauses Haar.

 

Farbe nur außer Haus

 

Ihr Dasein in dem kalten, großen Herrenhaus ist aber auch unerträglich öde. Der ungeliebte Gatte Alexander (Paul Hilton) ignoriert sie, und wenn er Anstalten macht, die ehelichen Pflichten zu erfüllen, entpuppt er sich als impotenter Grobian. Dass sein Vater der jungen Braut nachstellt und sie drängt, endlich den Stammhalter zu zeugen, kann sie bald nur noch als grausamen Witz empfinden. Viele Türen gehen auf und zu, um das Innenleben der depressiven Frau in Bilder zu kleiden. Erst als sie den ihr auferlegten Hausarrest ignoriert und ins Freie tritt, bekommen ihre Wangen ein bisschen Farbe.

 

Sobald Sebastian dem Reiz der Ehrgeizigen erlegen ist, gibt es auch für ihn kein Zurück. Die junge Frau entfesselt ihr Shakespearsches Potential: Der knorrige Schwiegervater ist bald erfolgreich vergiftet, der Gatte spurlos verschwunden. Dann erscheint ein Bastardsohn des Hausherrn mit seiner Mutter und gefährdet das ohnehin fragile Glück der Liebenden, die längst Gefangene ihrer mörderischen Pläne sind. 

 

Rebellion als einzige Lösung

 

Als Theaterregisseur versteht sich William Oldroyd auf Verknappung. Von Leskows Novelle übernimmt er die Figurenkonstellation und den tragischen Verlauf, doch er erspart uns das lange Ende sowie die Visionen der Mörderin. Ihr Verhalten ist auch ohne Fieberträume und Symbolik leicht nachvollziehbar. Das erdrückende Klima im Haus, das Zerren der Bürste an ihren Haaren, die Klaustrophobie der Kleider und der Zimmer reichen aus, um Katherines malaise mitfühlen zu können.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Macbeth" - brillante Verfilmung des Shakespeare-Klassikers von Justin Kurzel mit Michael Fassbender + Marion Cotillard

 

und hier eine Rezension des Films "Cäsar muss sterben" – eindrucksvolles Doku-Drama über Shakespeare-Inszenierung im Gefängnis von Paolo + Vittorio Taviani, Berlinale-Siegerfilm 2012

 

und hier einen Beitrag über den Film “Anonymus” – spannender Literatur-Thriller über Shakespeares Autorenschaft von Roland Emmerich.

 

Die viktorianische Gesellschaft erscheint monströs in ihren Kontrollmechanismen. Ein klares Machtgefälle regiert das Verhalten des Personals; Druck von oben wird direkt ans Gesinde weitergegeben. Mit kaltem Auge blickt die Kamera in die Räume des Hauses; Rebellion muss hier jedem modernen Geist als einzige Lösung erscheinen. Die sanften Eingriffe in die Erzählung und eine schnörkellose Filmsprache, die an britische TV-Literaturverfilmungen erinnert, tauchen die Handlung in ein Licht, in dem der Rassismus und Sexismus der Epoche grell zum Vorschein kommen. 

 

Wider den Männermythos 

 

Die Hauptdarsteller spielen mit einer ebenso klaren, minimalistischen Prägnanz, die sich in den Konfrontationen zwischen der untreuen Gattin, ihrem Mann und ihrem Liebhaber entlädt – und in den Verbrechen, die ihr Schicksal besiegeln. Diese weit durch Raum und Zeit gereiste Lady Macbeth bietet eine fällige Gegenerzählung zum Männermythos von Macbeth, wie er in den Verfilmungen von Orson Welles (1948), Roman Polanski (1971) und zuletzt Justin Kurzel (2015) gepflegt wurde: dem mörderischen Mann, hinter dessen Taten eine ambitionierte Frau steht, was ja gerne auf alle möglichen historischen Scheusale übertragen wird. Aber auch diese Frauen haben eine Geschichte.