Rahul Jain

Machines

Ein Arbeiter neben einer riesigen Textilmaschine. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 9.11.) Spurensuche im Sweatshop: Regisseur Rahul Jain zeigt eindrucksvoll die vorsintflutlichen Arbeits-Bedingungen in indischen Textilfabriken. Dabei unterschlägt er den Kontext – seine Elendsreportage bietet wenig Erkenntnisgewinn.

Aus ganz Nordindien kommen Menschen in den westindischen Bundesstaat Gujarat, um Arbeit finden: Die hiesige Textilindustrie bietet viele jobs für ungelernte Arbeitskräfte. In diese sweatshop-Welt blickt der Dokumentarfilm „Machines“. Der Titel ist leicht irreführend, denn in dem assoziativ aufgebauten Film liefern Maschinen lediglich die apokalyptische Kulisse in riesigen, labyrinthartigen Fabriken.

 

Info

 

Machines

 

Regie: Rahul Jain,

72 Min., Indien/ Deutschland/ Finnland 2016;

 

Engl. Website zum Film

 

Eigentlich geht es um die Menschen, die hier arbeiten. Tag um Tag, oft in Doppelschichten, ringen sie mit diesen frühindustriell anmutenden Ungetümen, bis ihre Gesundheit durch den ungeschützten Umgang mit Chemikalien ruiniert ist. Dabei verdienen sie rund drei US-Dollar am Tag – wovon sie Familien ernähren, die oft Tausende von Kilometern entfernt leben.

 

Überwältigung statt Analyse

 

Die Kamera blickt aufmerksam auf Details; leider bleibt das Gesamtbild inkonsistent und wenig fokussiert. Filmemacher Rahul Jain, selbst Enkel eines indischen Textilfabrikanten und derzeit Student am California Institute of Arts in Los Angeles, setzt bei seinem Debüt eher auf emotionale Überwältigung als auf Analyse. Theoretisch weiß man ja, wie prekär die Verhältnisse in solchen Manufakturen sind. Jain will den Zuschauer offenkundig auf der sinnlichen Ebene ansprechen und ihn spüren lassen, wie es in einer solchen Fabrik zugeht.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Bunte Stoffe im grauen Gedärm

 

Keine Frage: Einige Aufnahmen entwickeln einen hypnotischen Sog. Die Kamera gleitet durchs graue Gedärm der riesigen Anlagen zum Einfärben, Trocknen und Bügeln. Der Kontrast zwischen den bunt bedruckten Stoffbahnen, die hier entstehen, und dem düsteren, dreckigen, gefährlichen Arbeitsumfeld springt einen regelrecht an.

 

Dazu scheint Jain direkten Zugang zu haben. Seinen Blick hinter die Kulissen ermöglichen ihm vermutlich verwandtschaftliche Kontakte; erklärt wird es nicht. Normalerweise ist man in sweatshops der Welt ja eher darauf bedacht, die schmutzige Realität nicht nach außen dringen zu lassen ­– warum das hier geschieht, bleibt irritierend unklar.

 

Mehr Lohn wird nur verprasst

 

Zudem trägt das auf Dauer nicht, da der Film mit zunehmender Länge immer unstrukturiert wirkt. Mehr Hintergrundfakten wären durchaus erhellend; etwa die Tatsache, dass die indische Textilindustrie etwa 45 Millionen Menschen beschäftigt und mehr als 55 Milliarden Dollar jährlich umsetzt. Indien ist der zweitgrößte Textilproduzent der Erde.

 

Doch der Film bietet keinen Kommentar zum wirtschaftlichen Kontext. Stattdessen lässt Regisseur Jain einige Arbeiter zu Wort kommen: Aus subjektiver Perspektive erzählen sie von ihren Lebens- und Arbeitsumständen. Auch ein Fabrikbesitzer plaudert aus dem Nähkästchen; schamlos und offenbar nicht in Sorge, durch seine Aussagen Proteste auszulösen. Es sei sinnlos, die Arbeiter besser zu bezahlen, meint er: Dann würden sie das Geld nur verprassen, bei ihren Familien käme nichts davon an.

 

Gewerkschafts-Führer werden ermordet

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Original Copy - Verrückt nach Kino" - Dokumentation über Filmplakatmaler in Indien von Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen

 

und hier eine Besprechung des Films “Ein Junge namens Titli” – brillantes Kleingangster-Drama in Neu-Dehli von Kanu Behl

 

und hier einen Beitrag über den Film "Bombay Diaries – Dhobi Ghat" – faszinierend vielschichtiges Porträt indischer Großstädter von Kiran Rao mit Aamir Khan.

 

Zurück zur Perspektive der Arbeiter: Einer sucht Trost in dem Umstand, „dass wir alle sterben werden – und auch die Reichen unsere Welt mit nichts verlassen werden“. So wird dieser Film zu einem Lehrstück, wie Ausbeutung und das Prinzip „Teile und Herrsche“ im unregulierten Kapitalismus funktionieren kann: Keiner der Arbeiter, die hier zu Wort kommen, sieht sich als Opfer äußerer Umstände. Lieber suchen die Interviewpartner nach Erklärungen, die ihnen einen Rest an Würde und Autonomie versprechen.

 

Ein teenager redet sich etwa Kinderarbeit schön ­– die Zahl der indischen Kinder zwischen 4 und 15 Jahren in Lohnarbeit wird offiziell auf fünf bis 13 Millionen geschätzt: Schließlich sei man als junger Mensch besonders lernfähig und geschickt. Dadurch, dass er diese harte Arbeit jetzt lerne, stünden ihm später besser bezahlte jobs in dieser Industrie offen. Ein anderer Wanderarbeiter betont, mit Ausbeutung habe das nichts zu tun; schließlich sei er freiwillig hier. Und ein weiterer erwähnt fast beiläufig: Wenn sich Arbeiter zu Gewerkschaften zusammenschließen, werden ihre Anführer ermordet.

 

Einblicke ohne Erkenntnis

 

Gegen Ende fragt jemand den Regisseur, der sonst unsichtbar bleibt, was er mit seinem Film eigentlich bezwecke. Leider wird sofort zur nächsten Einstellung geschnitten. Schade: Auf diese Frage hätte auch der Zuschauer gerne eine Antwort. Zwar bietet dieser visuell bisweilen eindrucksvolle Dokumentarfilm potentiell aufwühlende Einblicke – wirklichen Erkenntnisgewinn jedoch nicht.