Im französischen Kino ist das Thema quasi ein eigenes genre: die Konfrontation des privilegierten Bürgertums mit der Unterschicht oder Minderheiten. „Madame“ von Amanda Sthers funktioniert ähnlich, hat aber eine etwas andere Prämisse. Die titelgebende Madame ist eine neureiche Amerikanerin namens Anne (Toni Collette). Sie und ihr Mann Bob Fredericks (Harvey Keitel) residieren in einer luxuriösen Pariser Etagenwohnung mit Angestellten. Das Paar gibt dinner parties mit Politprominenz und anderen einflussreichen Gästen; dabei versucht es, so französisch und bourgeois wie möglich aufzutreten.
Info
Madame
Regie: Amanda Sthers,
92 Min., Frankreich 2017;
mit: Toni Collette, Rossy de Palma, Harvey Keitel
Von Golflehrerin zu Madame
Anne war nicht immer Madame, sondern früher mal Golflehrerin und angelte sich damals einen ihrer betuchten Schüler. Nun hat jeder und alles seine Funktion in ihrer Welt, die nur aus Fassade besteht. Perfektion ist ihre Rüstung; echte Gefühle haben darin keinen Platz. Im Gegensatz dazu glaubt die temperamentvolle Maria trotz ihres vorgerückten Alters immer noch an die romantische Liebe.
Offizieller Filmtrailer
Überangepasst wie „Bel Ami“
Anne verkörpert damit gleichsam in einer weiblichen Variante das Phänomen der Überanpassung von Emporkömmlingen, wie etwa der Aufsteiger „Bel Ami“ im Romanklassiker von Guy de Maupassant; dagegen stellt Maria das unschuldige Mädchen vom Lande dar. Diese Querverweise sind unübersehbar, genauso wie die zum Aschenputtel-Märchen: wenn etwa Maria pünktlich um Mitternacht nach ihrem dinner-Gastauftritt mit ihren glamourösen Schuhen in der Hand auf ihr Zimmer geht.
Bei ihrer zweiten Filmregie spielt Amanda Sthers, die in Frankreich eine etablierte bestseller-Autorin ist, nicht nur auf die Literaturgeschichte an, sondern spiegelt beide Frauenfiguren: Auch Anne beginnt bald eine halbherzige Affäre, die aber eher einem Test von Chancen gleichkommt. Maria hingegen ist wirklich verliebt, und man möchte es auch von ihrem Galan glauben, der sie für eine spanische Prinzessin inkognito hält.
Schriftsteller-Sohn als deus ex machina
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" – französische Sozial-Komödie von Alexandra Leclère
und hier einen Bericht über den Film "Mein Stück vom Kuchen" – originelle Klassenkampf-Komödie von Cédric Klapisch
und hier eine Besprechung des Films “Monsieur Claude und seine Töchter” – französische Multikulti-Komödie von Philippe de Chauveron
und hier einen Beitrag über den Film "Gigola" – Porträt einer lesbischen Garçonne von Laure Charpentier mit Rossy de Palma.
Er setzt das Gerücht ihrer noblen Herkunft in die Welt und gibt Marias Telefonnummer weiter. Zwar verabscheut er seine Stiefmutter Anne, verwendet aber seine Umwelt als Anschauungsmaterial und wird von den Geschehnissen zu einer neuen Geschichte inspiriert.
Mild gewürzte Satire
Dieser Versuch einer realistischen Aschenputtel-Geschichte wirkt konstruiert; es gibt weder überraschende Wendungen noch scharfzüngige Dialoge. Auch das Aufgebot an Star-Schauspielern wirkt eher unmotiviert und nicht ganz bei der Sache. In seinen wenigen guten Momenten hat der Film das Potential zu einer milden Gesellschaftssatire. Doch er macht sich dabei mehr über die Europa-Sehnsucht reicher Amerikaner lustig als über soziale Schieflagen.
Die Handlung läuft ohne Irritationen wie am Schnürchen ab; auch das als Knalleffekt gedachte, traurig offene Ende ist erwartbar. Das mag im literarischen bestseller-Geschäft genau richtig sein; von einer gelungenen Filmkomödie ist das jedoch weit entfernt.