Frankfurt am Main

Matisse – Bonnard: „Es lebe die Malerei!“

Henri Matisse: Odaliske mit einem Tamburin, 1925/26, MoMA, New York / © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst Bonn 2017; Fotoquelle: Städel Museum
Nachbarn und Freunde in der Klassischen Moderne: Der Fauvist Henri Matisse und der Nabis-Künstler Pierre Bonnard malten die gleichen Motive auf ganz unterschiedliche Weise. Das zeigt ein erhellender Vergleich im Städel Museum – Bonnard ist vielschichtiger.

Eigentlich ist der Ansatz so wenig originell wie der Titel “ Es lebe die Malerei!“. Da die Zahl allseits anerkannter und beliebter Meisterkünstler der Klassischen Moderne begrenzt ist, werden immer mehr Doppel-Ausstellungen ausgerichtet – die denkbaren Kombinationen sind schier unendlich.

 

Info

 

Matisse - Bonnard:
"Es lebe die Malerei!"

 

13.09.2017 - 14.01.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main

 

Katalog 39,90 €;
Begleitheft 7,50 €

 

Weitere Informationen

 

Im Spektrum möglicher Werkvergleiche scheint sich derjenige von Henri Matisse (1869-1954) und Pierre Bonnard (1867-1947) nicht gerade anzubieten. Sicher, sie waren Jahrzehnte lang fast Nachbarn an der Côte d’Azur, aber was für welche: Hier der Kraftkerl und Künstlerfürst Matisse, der luxuriös residierte und darauf erpicht war, ständig im Gespräch und gut im Geschäft zu bleiben. Dort der scheue und spartanisch lebende Bonnard, der seine Bilder zurückhielt und jahrelang überarbeitete, bevor er sie in den Kunsthandel gab.

 

Überschaubare Korrespondenz

 

Dennoch waren Matisse und Bonnard lange miteinander befreundet; wie intensiv, lässt sich schwer rekonstruieren. 1911/2 kauften sie wechselseitig Bilder voneinander. Ab 1925 ist eine Korrespondenz belegt, die allerdings nicht sehr umfangreich ausfiel: 62 Briefe und Karten in 21 Jahren, von denen viele nur banale Grüße oder Alltägliches mitteilten. Offenbar haben sie einander öfter besucht – gegenüber Dritten betonten sie ihre Hochschätzung des jeweils Anderen, doch in recht allgemeinen Worten.

Feature mit Statements von Direktor Philipp Demandt, Kurator Daniel Zamani + Impressionen der Ausstellung; © Städel Museum


 

Vom Figurativen entfernte Farbflächen

 

Nichtsdestoweniger ist die Gegenüberstellung von rund 120 Werken im Städel Museum sehr sehenswert: weil sie exemplarisch vorführt, wie trotz ähnlicher Herangehensweise gleiche Motive so verschieden behandelt werden können, dass sie völlig anders wirken. Bei allen Differenzen hatten Matisse und Bonnard eines gemeinsam: die Betonung von Farbe und Fläche zu Lasten der Räumlichkeit, so dass sich ihre Malerei vom Figurativen weit entfernte, ohne je abstrakt zu werden. Ansonsten gingen sie sehr unterschiedlich vor.

 

Dafür wird diese Schau gerade bei Bonnard zum Augenöffner, denn er ist in deutschen Museen kaum vertreten. Der Mitgründer der postimpressionistischen Nabis-Künstlergruppe ab 1890 pflegte einen eigenwilligen Stil, den er im Lauf der Zeit kaum veränderte. Mit gedeckter Farbpalette tüpfelte er häusliche Szenen, Stillleben und Garten-Ansichten in eigentümlich verhaltener bis melancholischer Stimmung – „Intimismus“ nannte es der Schriftsteller André Gide.

 

Unheimlich auf den zweiten Blick

 

Bonnards Bilder erscheinen nur auf den ersten Blick behaglich. Sieht man genauer hin, entdeckt man lauter irritierende Elemente, die sie vieldeutig und unheimlich werden lassen. Etwa durch seltsam angeschnittene Perspektiven; ein Kunstgriff, den die französische Malerei ab 1860 von japanischen Farbholzschnitten übernahm. Wie beim „Akt auf weißblau kariertem Grund“ von 1909 im Besitz des Städels: Vom Betrachter abgewandt, liegt Bonnards spätere Frau Marthe kopfüber da, hebt ihre Hand achtlos zum Mund und winkelt ihre Beine nach links ab, über den Bildrand hinaus. Wer will, mag in Farbschlieren oben rechts eine Fratze erkennen.

 

Solche Vexierbilder gelangen Bonnard auch außer Haus. Auf einer „Terrasse in Südfrankreich“ (1925) springen leuchtend gelbe Mauern und fast schon schreiend grüne Bäume ins Auge; drei kleine Figuren im Vordergrund lassen sich räumlich kaum verorten. Oder der Bildtitel verwirrt: „Die Milchschüssel“ (1919) prangt zwar gleißend weiß mitten im Gemälde, scheint aber eher unwichtig. Was rechts die Frauengestalt mit verschattetem Gesicht im Sinn hat mit jenem Gefäß, das sie trägt, bleibt unerfindlich.

 

Figur löst sich in Farbflimmern auf

 

Solche Mysterien des Gewöhnlichen gelangen Bonnard am Eindrucksvollsten bei seinen Aktdarstellungen von Marthe – stets jugendlich grazil, da er sie aus der Erinnerung schuf. Im Bad oder bei der Morgentoilette lässt er sie alle möglichen Posen einnehmen, die sonst kaum als bildwürdig gelten: gebeugt, gehockt oder sich die Füße abtrocknend. Ihre Gestalt verschwimmt im Farbflimmern mit der Fläche ringsum; die Grenze zwischen Figur und Umgebung löst sich auf. Besonders drastisch bei „Die große Badewanne“ (1937/9): Die Badende scheint in Farbwirbeln unterzugehen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Magie des Augenblicks: Van Gogh, Cézanne, Bonnard, Vallotton, Matisse" - mit Werken von Pierre Bonnard + Henri Matisse in Halle/Saale + Stuttgart

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan" mit Kunst der Nabis + des Symbolismus im Museum Folkwang, Essen

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" - brillante Epochen-Schau in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Visions of Modernity – Impressionismus und Klassische Moderne" - Abschiedsschau im Deutsche Guggenheim, Berlin

 

Ganz anders bei Matisse: 1905 erlebte er seinen Durchbruch, als er im Pariser Herbstsalon zwei stark konturierte Gemälde in leuchtenden Farben ausstellte. Das trug ihm samt seinen Künstlerfreunden André Derain und Maurice de Vlaminck den Vorwurf ein, sie seien „Fauves“ („Wilde“). Den „Fauvismus“ machte Matisse zu seinem Markenzeichen: Seine Bilder wurden immer zweidimensionaler, die einzelnen Flächen zusehends undifferenzierter, bis er nur noch monochrome Elemente aneinander setzte. Konsequenterweise gab er 1947 die Malerei auf und klebte fortan nur noch Scherenschnitte aneinander.

 

Pin-Ups für Männerfantasien

 

Im Gegensatz zu Bonnards hoch differenzierter Malweise ist diejenige von Matisse geradezu rührend simpel – und er wohl deshalb wesentlich populärer. Am Augenfälligsten wird das bei seinen Aktbildern wie den zahlreichen „Odalisken“: In üppigen Interieurs voller wild wuchernder Ornamente liegen nackte Leiber lasziv hingestreckt. Oft mit schematisch anonymisiertem Antlitz bei aufreizend gespreizten Schenkeln: Solche Pin-Up-Posen bedienen ungeniert schwüle Männerfantasien.

 

Gewiss führt der Reduktionismus von Matisse bei anderen Sujets zu prägnanteren Ergebnissen: etwa den aus wenigen Farbsignalen komponierten Stillleben. Doch aufs Ganze betrachtet fällt auf, wie häufig der Künstler seine Bildformeln schlicht wiederholte, anstatt sie wie etwa Picasso stets andersartig zu rekombinieren. Matisse malte plakativ – im doppelten Wortsinne. Dagegen schürfte Bonnard in der kleinen Welt seines unmittelbaren Umfelds jedes Mal neu in die Tiefe; was er dabei an Sinneseindrücken zutage förderte, beeindruckt noch heute.