München

Gut – Wahr – Schön: Meisterwerke des Salon de Paris aus dem Musée d’Orsay

Quietschbunte Sahnetorte: Georges Rochegrosse (1859-1938): Der Ritter und die Blumenmädchen (Detail), 1894, 235,5 x 374 cm; © bpk | RMN – Grand Palais. Fotoquelle: Hypo-Kunsthalle
Wider das Klischee vom hohlen Pathos: Die Hypo-Kunsthalle führt vor, wie vielgestaltig die Werke waren, die im Paris des 19. Jahrhunderts die Massen anzogen – von Pin-up-Girls bis zu Porträts von Landleuten und Streikenden. Eine längst überfällige Rehabilitierung.

Kitschbilder von Pillenschachteln

 

Fortan verlegte sich Bouguereau auf gefälligere Motive; er wurde zu einem der bestbezahlten Maler seiner Zeit. Doch seine Salon-Einreichungen fanden bei Kritikern keine Gnade. So erntete „Die Geburt der Venus“ von 1879 herben Spott. „Kitschbilder von Pillenschachteln“, nannte der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans seine Figuren: „Das ist schlaffe Gelecktheit, so etwas wie das weiche Fleisch der Krake“. Und sein Kollege Émile Zola mokierte sich über „süße Bonbons, die unter den Blicken schmelzen“. Noch fast 100 Jahre später sprach der Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich von einem „Pin-up-Girl“.

 

Bouguereaus Venus, die lasziv ihre Reize präsentiert, erinnerte Beobachter weniger an die Liebesgöttin als an eine kokette Pariserin: Unter mythologischen Vorzeichen wurde das heroische Personal in die Gegenwart geholt. Ähnlich verfuhr Jean-Léon Gérôme (1824-1904) als Hauptvertreter des style néo-grec: Seine „Jungen Griechen beim Hahnenkampf“ erregten im Salon von 1847 Aufsehen, weil sie nicht mit Krieg und Sieg beschäftigt waren, sondern einem profanen Freizeitvergnügen. Dass Jüngling und Mädchen im antiken Hellas niemals unbekleidet beieinander gesessen hätten, fiel weniger ins Gewicht.

 

Fabrikneue antike Villa

 

Solche Aufwertung des Alltäglichen im antiken Gewand wurde durch den Aufschwung der Archäologie befördert: Die Ausgrabung von Pompeji und anderer Ruinenstätten erweiterten die Kenntnisse der Vergangenheit erheblich. Gustave Boulanger (1824-1888) malte 1861 fotorealistisch präzise eine fabrikneue römische Villa: Prinz Napoléon, der Cousin von Kaiser Napoléon III., hatte sie 1858/60 nach pompejanischen Vorbildern errichten lassen – bevölkert von Schauspielern in Togen, die Theaterstücke über antike Themen proben.

 

Antikisierendes Dekor war nicht nur in Mode, sondern auch lukrativ. Im Salon war auch Kunsthandwerk zu sehen: Das neureiche Bürgertum wollte sich standesgemäß einrichten. Zudem war Frankreich bestrebt, in der Industrialisierung seine etablierte Spitzenstellung als Luxusgüter-Lieferant für ganz Europa zu verteidigen: Der Staat vergab üppig dotierte Aufträge zur Ausschmückung öffentlicher Bauten. Etliche Künstler verdienten wesentlich mehr mit Entwürfen für Wandgemälde, Tapisserien, Möbel oder Geschirr als mit Bildern oder Plastiken.

 

Alltägliches für die große Leinwand

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Eugène Delacroix & Paul Delaroche: Geschichte als Sensation" – aufschlussreicher Vergleich der beiden Salonkünstler im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Manet – Sehen: Der Blick der Moderne" – hervorragende Werkschau über Édouard Manet als Salon- + Anti-Salonkünstler in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Orientalismus in Europa" – faszinierende Überblicks-Schau über Salonkunst im 19. Jahrhundert in der Hypo-Kunsthalle, München.

 

Gegen derlei Serienproduktion von schönem Schein richteten sich im letzten Drittel des Jahrhunderts die Naturalisten: Sie wandten sich den einfachen Leuten in alltäglichen Situationen zu – und stellten diese genre-Szenen mit einer ‚akademischen‘ Sorgfalt dar, die zuvor edleren Gattungen vorbehalten gewesen war. Nun wurden auch die „Heuernte“ (von Jules Bastien-Lepage, 1877), eine „Bäuerin“ (von Alfred Roll, 1887) oder ein „Streik in Saint-Ouen“ (von Paul Delance, 1908) der großen Leinwand für würdig befunden. Solche Bilder fanden im Salon gleichfalls Anklang.

 

Wie die heterogene Bewegung der Symbolisten, die Stimmungen und Empfindungen in vieldeutig verrätselten Kompositionen festhielten. Etwa Gustave Moreau (1826-1898), der statische Gestalten mit zahlreichen Ornamenten verwob, oder Pierre Puvis de Chavannes (1824-1898), der mit fahlen Farben flächige Figuren in traumartig unwirkliche Szenerien versetzte.

 

Abwechslungsreich wie heutige Messen

 

Am meisten Beifall fand aber überzuckerte Märchen-Malerei wie „Der Ritter und die Blumenmädchen“ (1894) von Georges Rochegrosse – „ein großes revueartiges Spektakel, das in den Folies Bergères oder in den Nachtclubs von Las Vegas Furore machen würde“, so der US-Kunsthistoriker Robert Rosenblum 1989. Mit dieser quietschbunten Sahnetorte endet der Rundgang.

 

Er durchläuft mehr als ein halbes Jahrhundert französischer Malerei anhand einer klugen Auswahl von Werken; sie werden im vorzüglichen Katalog anschaulich kommentiert. Am Ende ist offenkundig, dass Salonkunst weit mehr war als Pomp und Protz – nämlich so abwechslungsreich wie das potpourri auf heutigen Kunstmessen. Nur der Titel mag nicht so recht zu dieser Schau passen: Er klingt so sperrig wie diejenigen vieler Ölschinken der Epoche, die im Depot des Musée d’Orsay verstauben.