Je mehr Verbote und Tabus eine Gesellschaft einschränken, umso größer ist die Versuchung, sie zu umgehen. Etwa im Iran: Dort herrscht seit der Islamischen Revolution 1979 ein theokratisch-repressives System, das alle Bürger bis in ihre intime Privatsphäre hinein reglementiert. Da kann eine unbedachte Liebesnacht ebenso verhängnisvolle Folgen haben wie ein dummer Telefonstreich.
Info
Teheran Tabu
Regie: Ali Soozandeh,
96 Min., Deutschland/ Österreich 2017;
mit: Arash Marandi, Alireza Bayram, Zahra Amir
Scheitern, Anpassung oder Exil
Der Animationsfilm „Teheran Tabu“ porträtiert in miteinander verschränkten Episoden vier junge Iraner in der Hauptstadt, die alle auf jeweils eigene Art versuchen, ihre Spielräume auszureizen. Manche scheitern tragisch, manche arrangieren sich wohl oder übel mit dem System – andere sehen für sich nur den Ausweg, ihr Land zu verlassen.
Offizieller Filmtrailer
Hausfrau + Prostituierte sind befreundet
Dabei stehen zwei gegensätzliche Frauen im Mittelpunkt: Sara (Zar Amir Ebrahimi) und Pari (Elmira Rafizadeh). Erstere lebt das Musterleben einer gehorsamen Iranerin. Gemeinsam mit ihrem Mann und den Schwiegereltern lebt sie in einer Neubauwohnung in einem guten Viertel. Es wird von Sara erwartet, sich mit ihrer Rolle als Hausfrau und baldiger Mutter zu bescheiden, doch insgeheim träumt die junge Frau davon, als Lehrerin zu arbeiten. Ihr Gatte Mohsen (Alireza Bayram), ein Bankangestellter, mag davon nichts wissen.
Auch Pari ist verheiratet; allerdings sitzt ihr drogenabhängiger Mann im Gefängnis und willigt nicht in eine Scheidung ein. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren stummen fünfjährigen Sohn Elias (Bilal Yasar) zu verdienen, prostituiert sich die kämpferische Pari – unter anderem bei einem angesehenen Richter (Hasan Ali Mete), der ihr eine Wohnung zur Verfügung stellt. Als Nachbarinnen freunden sich die beiden Frauen an.
Reparatur des Jungfernhäutchens
Den Studenten und Musiker Babak (Arash Marandi) und das Mädchen Donya (Negar Mona Alizadeh) hingegen verbindet ein drogenvernebelter one-night stand in einem illegalen club. Danach verlangt die verzweifelte Donya von ihm, einen zwielichtigen Arzt zu bezahlen, damit er ihre Jungfräulichkeit wiederherstellt; andernfalls werde ihr Verlobter sie umbringen. Vergeblich versucht Babak, das Geld aufzutreiben.
In „Teheran Tabu“ blicken Exiliraner auf ihre frühere Heimat. Regisseur Ali Soozandeh verließ als 25-Jähriger sein Geburtsland; er lebt seit 1995 in Deutschland. Auch die iranischstämmigen Schauspieler sind alle entweder hierzulande aufgewachsen oder als junge Erwachsene emigriert. Da ein Dreh in Teheran praktisch ausgeschlossen war, entschied sich Regisseur Soozandeh für einen Animationsfilm im so genannten Rotoskopie-Verfahren. Dabei werden die Darsteller zunächst vor einem green screen gefilmt und anschließend zusammen mit den Hintergründen digital animiert.
Metropole als Sinnbild der Gesellschaft
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Raving Iran" – Dokumentation über Teherans Underground-Techno-Szene von Susanne Regina Meures
und hier eine Rezension des Films "Wüstentänzer – Afshins verbotener Traum von Freiheit" – elegant unaufdringliches Polit-Drama über iranische Tänzer von Richard Raymond
und hier ein Beitrag über den Film "Sharayet - Eine Liebe in Teheran" – brillantes Drama über lesbisches Coming-Out im Mullah-Regime von Maryam Keshavarz.
und hier einen Bericht über den Film "Im Bazar der Geschlechter" – prägnante Doku über Ehe auf Zeit + Prostitution im Iran von Subadeh Mortezai.
Dabei erscheint die 15-Millionen-Metropole Teheran als Sinnbild der ganzen Gesellschaft: einerseits ein finsterer, von smog vernebelter Moloch, der die Protagonisten zu verschlingen droht – andererseits eine moderne Kapitale mit quicklebendigen Bewohnern, die zahlreiche Verbote trickreich umgehen. Die Wirkung der Bilder wird vom hypnotischen score aus elektronischen sounds und traditionellen Saiteninstrumenten noch erhöht.
Formelhafte Figurenkonstellation
Allerdings erreicht „Teheran Tabu“ nicht die Intensität von Meisterwerken des politischen Animationsfilms wie „Persepolis“ (2007) von der Exil-Iranerin Marjane Satrapi oder „Waltz with Bashir“ (2009) vom Israeli Ari Folman. Dafür ist Regisseur Soozandeh zu sehr bemüht, die allgegenwärtige Doppelmoral in den Vordergrund zu rücken: mit einer formelhaften Figurenkonstellation und kolportagehaften Konflikten, bei denen jede Entscheidung schnurstracks den nächsten Schicksalsschlag nach sich zieht.
Dass sein Film dennoch nicht bodenschwer geworden ist, liegt an der Solidarität der Akteure miteinander – und am kleinen Elias, der immer im rechten Moment Wasserbomben vom Balkon fallen lässt.