„Muss ich schon hier an der Erde kleben – dann wenigstens nicht mit dem Hirn“: Kaum ein Künstler hat die Freiheit zu fantastischen Erfindungen und schwärmerischen Utopien so genüsslich ausgekostet wie Wenzel Hablik (1881-1934). Der gebürtige Böhme ließ sich auf Einladung von Mäzenen 1907 im schleswig-holsteinischen Itzehoe nieder; in dieser damals kaum 20.000 Einwohner zählenden Kleinstadt verbrachte er den Rest seines Lebens.
Info
Wenzel Hablik – Expressionistische Utopien. Malerei, Zeichnung, Architektur
02.09.2017 - 14.01.2018
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr
im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin
Katalog 25 €
In Provinz, aber nicht provinziell
Durchaus mit Erfolg: Hablik wohnte in der Provinz, aber er war nicht provinziell. Er hatte halb Europa bereist und zehn Monate in Südamerika verbracht. Er kannte den „Der Sturm“-Galeristen Herwarth Walden sowie die Architekten Bruno Taut und Walter Gropius; er stellte öfter in Metropolen wie Berlin, Prag und Wien aus. Das Großbürgertum von Schleswig-Holstein belieferte er mit eigenwilligem Kunsthandwerk: von Möbeln und Webarbeiten, die seine Frau Elisabeth Lindemann anfertigte, bis zu ganzen interieurs.
Impressionen der Ausstellung
Erweckungserlebnis auf Montblanc
Nach seinem frühen Krebstod geriet er jedoch in Vergessenheit. Erst 1985 entstand in Itzehoe eine ihm gewidmete Stiftung; sie eröffnete zehn Jahre später ein Museum. Einzelne Arbeiten von ihm tauchten auf Gruppen-Ausstellungen zur Klassischen Moderne auf, aber er galt meist als skurrile Randfigur. Umso verdienstvoller ist diese prächtig inszenierte Retrospektive im Martin-Gropius-Bau: Sie bietet mit rund 50 Gemälden, 90 Zeichnungen, 60 Grafiken und 40 Design-Objekten einen hervorragenden Querschnitt durch sein vielgestaltiges œuvre.
So vielseitig war Hablik dank einer umfassenden Ausbildung. Beim Vater in Brüx (heute: Most) hatte er Tischler gelernt, danach Porzellanmalerei und Vermessungswesen, vier Jahre Kunstgewerbe studiert, anschließend drei Jahre freie Malerei. 1906 wanderte er durch die Alpen, bestieg allein den Montblanc und hatte dort ein Erweckungserlebnis: Sein bunt schillerndes Gipfel-Gemälde ist in der Schau zu sehen. Mit seinen gelb-orange vibrierenden Kraftlinien könnte es das cover jeder psychedelic rock-Platte um 1970 zieren.
„Nie hat jemand Meer so gemalt wie ich.“
Andere Schlüsselmomente erlebte Hablik im Folgejahr, als er Ost- und Nordsee kennenlernte. Das Wechselspiel von Wind, Wolken und Wogen hielt er auf beeindruckenden Bildern fest: Von Van Gogh beeinflusst, setzte er pastos aufgetragene Striche und Wirbel in wenigen Farbtönen aneinander; sie vermitteln fast physisch die elementare Kräfte der Naturgewalten. Samt zeittypischem Pathos: „Niemals aber auch hat jemand vor mir das Meer so gemalt wie ich. Niemals kann es jemand heißer geliebt haben, besser, tiefer gefühlt.“ An Sendungsbewusstsein mangelte es ihm nicht.
Das zeigen vor allem seine Lieblingsmotive, die „Kristallbauten“. Inspiriert von Schopenhauer, Nietzsche und der Lebensreform-Bewegung, verschrieb sich Hablik kultischer Naturverehrung; darin liege der Schlüssel fürs künftige Heil der Menschheit, meinte er. Seine schwülstige Rhetorik ist nur noch schwer erträglich – die visuelle Umsetzung erstaunt hingegen bis heute. Etwa im Grafik-Zyklus „Schaffende Kräfte“ von 1909: Da schälen sich irrsinnige Konstruktionen aus unwirtlichen Felslandschaften. Kleinteilige Schraffuren neben leeren, kaum gegliederten Flächen sorgen für größtmögliche Kontraste und Raumtiefe.
Galaxien-Bilder zur Emigration ins All
Solche geschwungene Linienführung stand noch in der Tradition des Jugendstils. Nach dem Ersten Weltkrieg frönte Hablik dann dem expressionistisch zackigen Zeitgeist: Als Mitglied des Architekten-Zirkels „Die gläserne Kette“ warf er wahnwitzige Entwürfe aufs Papier, die wie kristallin überwucherte Knospen, Spargel oder Pilze aussahen – als hätte er von letzteren zuviel genascht.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Kathedrale: Romantik – Impressionismus – Moderne" mit Werken von Wenzel Hablik im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Made in Germany – Politik mit Dingen. Der Deutsche Werkbund 1914" mit dem Glashaus von Bruno Taut im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Tschechischer Kubismus im Alltag" über Design der Artĕl-Kooperative 1908 bis 1935 im Grassi-Museum für angewandte Kunst, Leipzig
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der Welt-Menschheit größte Erfindung!" mit Entwürfen des Weltraum-Fantasten Karl Hans Janke im Stadthaus Ulm.
Stets harmonische Proportionen
Stattdessen wandte er sich lukrativen Ausstattungs-Aufträgen zu. In einem aufwändigen Nachbau führt die Ausstellung vor, wie Hablik 1923 das Esszimmer seiner Villa eingerichtet hatte: Wände und Decke waren komplett mit rechtwinklig verschlungenen Bändern in leuchtenden Farben bemalt; trotz ihrer Asymmetrie wirkt das Ganze ausgewogen. Damit machte ihr Erfinder Furore: Gewerbebetriebe und begüterte Privatleute ließen ihre Räume ähnlich dekorieren.
Wobei ihr Erfinder sich flexibel dem wechselnden Zeitgeschmack anpasste: Ende der 1920er Jahre waren gedecktere Töne und dezentere Muster gefragt. Der letzte Ausstellungsteil führt vor, wie erfindungsreich Hablik als designer war. Ob Essbesteck, Tischlampen oder Tapete: Er gab allem gemäßigt expressionistisch-konstruktivistische Gestalt, so originell wie formschön. Sein ausgeprägter Sinn für harmonische Farbakkorde und Proportionen prägte alles, was dieser Künstler schuf; vom wilden Spiralnebel-Strudel in Öl bis zum Sofabezug. Wer abwegige Kopfgeburten attraktiv darzustellen vermag, der kann das eben auch bei Hausrat.