Alexander Fehling

Drei Zinnen

Tristan (Arian Montgomery) und Aaron (Alexander Fehling) bei ihrem ersten gemeinsamen Ausflug in die Berge. Foto: © Rohfilm Productions 2017. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 21.12.) Absturz im Hochgebirge: Nach der brillanten Survival-Saga "Der Fluss war einst ein Mensch" gehen Alexander Fehling und sein Regisseur Jan Zabeil baden – ihr Patchwork-Familiendrama in den Dolomiten plätschert überkonstruiert vor sich hin.

Wie ein Fisch auf dem Trockenen: Mit „Der Fluss war einst ein Mensch“ gelang Regisseur Jan Zabeil 2011 ein kleiner Geniestreich. In seinem Debütfilm ließ er Hauptdarsteller Alexander Fehling orientierungslos im Holzkahn durch das Okavango-Delta im Nordwesten von Botswana treiben. Dafür improvisierten beide drei Monate lang im größten Binnendelta der Erde – ohne Drehbuch, nur mit Kamera- und Tonmann.

 

Info

 

Drei Zinnen

 

Regie: Jan Zabeil,

94 Min., Deutschland/ Italien 2017;

mit: Alexander Fehling, Bérénice Bejo, Arian Montgomery

 

Website zum Film

 

Dass Zabeil als Kind in dieser Gegend gelebt hatte, merkt man dem Film an: Schlafwandlerisch sicher bewegt sich die Kamera durch ein Zwischenreich aus Wasserläufen, Sumpf und wolkenverhangenem Himmel. Fast ohne Worte macht Fehling seine völlige Verlorenheit und Verzweiflung in dieser grünen Hölle beinahe physisch spürbar – und seine absolute Verstörung, als er endlich Menschen trifft, die ihn aber schlicht ignorieren. Wann hätte je ein deutscher Film die Erfahrung des radikal Anderen so anschaulich gemacht? Minimale Mittel, maximale Wirkung: ein Meisterwerk. Aber ohne Fortsetzung.

 

Patchwork-Familie macht Bergurlaub

 

Für ihren zweiten gemeinsamen Spielfilm sind Zabeil und Fehling auf vertrauteres terrain zurückgekehrt, geografisch und sozial. In „Drei Zinnen“ macht eine dreiköpfige patchwork-Familie Sommerurlaub in den Dolomiten. Mit Bergtouren und Hüttenabenden möchte die Französin Lea (Bérénice Bejo) erreichen, dass sich ihr achtjähriger Sohn Tristan (Arian Montgomery) ihrem neuen Geliebten Aaron (Alexander Fehling) nah und verbunden fühlt; für ihn hat sie vor zwei Jahren den Briten George verlassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Lumbersexual als Vaterfigur

 

Die Vaterfigur in spe spielt geschmeidig mit: Fehling gibt Aaron als wortkargen, aber charismatischen lumbersexual, der alles drauf hat, was man für Ferien auf der Alm braucht. Er kann ebenso Holz hacken und die Hütte reparieren wie Harmonium spielen. Er kümmert sich rücksichtsvoll um Tristan, aber drängt sich nicht auf. Um des lieben Kleinen willen räumt Aaron sogar seinen Schlafplatz: ein Traummann für alle Leserinnen des „Nido“-Magazins.

 

Dennoch will die gemeinschaftsbildende Maßnahme nicht recht klappen. George nervt mit ständigen Telefonanrufen für Tristan. Der Junge fühlt sich zwischen seinem leiblichen Papa und Mamas Neuem hin- und hergerissen. Lea hadert mit ihren widerstreitenden Gefühlen als Mutter und Geliebte; Aaron fühlt sich grundlos zurückgesetzt. All das plätschert so dahin – mal mehr, mal weniger plausibel und ziemlich unaufregend.

 

Hochgebirge bleibt Staffage

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Fluss war einst ein Mensch"faszinierendes Psychodrama über eine Odyssee in Afrikas Wildnis mit Alexander Fehling von Jan Zabeil

 

und hier eine Besprechung des Films "Le Passé – Das Vergangene" – brillant intensives Beziehungs-Drama von Asghar Farhadi mit Bérénice Bejo, in Cannes 2013 als beste Schauspielerin prämiert

 

und hier einen Bericht über den Film "The Loneliest Planet" – Globetrotter-Drama in der Bergwelt des Kaukasus von Julia Loktev

 

und hier einen Beitrag über den Film "Höhere Gewalt" – Familien-Drama im alpinen Hochgebirge von Ruben Östlund.

 

Damit überhaupt etwas passiert, bemüht Regisseur Zabeil nach einer Stunde als deus ex machina den Wettergott. Als Aaron zum zweiten Mal mit Tristan zu drei kahlen Gipfeln wandert, schlägt die Witterung plötzlich um. Dichter Nebel zieht auf, die beiden verlieren einander und Aaron stürzt ab – er ist nun auf die Hilfe seines Ziehsohns angewiesen. Dessen Wankelmut lässt die Rettungsaktion zur hochdramatischen Angelegenheit werden.

 

Gut, dass es die Launen des alpinen Klimas gibt; andernfalls verstriche dieser Film so ereignisarm wie ein Pauschalurlaub. Da hilft auch die majestätische Kulisse des Hochgebirges wenig, auf dessen Schauwert Regisseur Zabeil setzt: Es bleibt reine Staffage ohne Bezug zu den Protagonisten – das Trio ist viel zu sehr mit sich beschäftigt. Wobei ausgerechnet der Jüngste die Handlung vorantreiben soll, indem er wechselnde Phasen seines Loyalitätskonflikts zum Ausdruck bringt; damit ist der Achtjährige sichtlich überfordert.

 

Für die Prenzlberg-peer group

 

So wirkt „Drei Zinnen“ durchgängig bemüht und überkonstruiert – bis hin zu Einstellungen, die klassische Kunstgeschichts-Motive schwülstig zitieren, von einer „Pietà“ bis zu Michelangelos „Erschaffung Adams“. Als wollten zwei Berliner thirtysomethings in diesen Film alle Neigungen ihrer peer group packen: der Helikopter-Eltern vom Prenzlauer Berg mit ihrer demonstrativen Naturliebe und ihrem Nestbau-Instinkt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt; als Einzelkämpfer in exotischen Breiten waren Zabeil und Fehling wesentlich überzeugender.