Peter Ott

Das Milan Protokoll

Martina (Catrin Striebeck) wird von einer mit dem IS verbundenen sunnitischen Gruppe gekidnappt. Foto: Real Fiction Filmverleih
(Kinostart: 18.1.) Durchs wilde Kurdistan: Eine deutsche Ärztin wird im syrisch-irakischen Grenzgebiet gekidnappt und gerät in Machenschaften lokaler Milizen. Der Politthriller von Regisseur Peter Ott ahmt die verwickelte Gemengelage vor Ort getreulich nach.

Martina (Catrin Striebeck) ist Ärztin und arbeitet für eine deutsche Hilfsorganisation in einem Flüchtlingslager im kurdischen Teil des Iraks. Sie lebt seit langem in der Region, spricht fließend Kurdisch und Arabisch. Blauäugigen Idealismus kann man ihr nicht vorwerfen, allenfalls eine zu große Verstrickung in die regionalen Konflikte.

 

Info

 

Das Milan Protokoll

 

Regie: Peter Ott,

100 Min., Deutschland 2017;

mit: Catrin Striebeck, Christoph Bach, Samy Abdel Fattah

 

Weitere Informationen

 

Ihr Freund ist kurdischer Aktivist; durch ihre eigene linksradikale Vergangenheit hat Martina Kontakte zur türkischen Kurden-Guerilla PKK. Als deren syrische Schwesternorganisation YPG/YPJ sie um medizinische Hilfe bittet, weil eine aus Deutschland stammende Kämpferin verletzt wurde, fährt sie über die Grenze nach Syrien. Dort wird Martina von einer sunnitischen Gruppe gekidnappt. Die Motivation ihrer Entführer bleibt erst einmal unklar.

 

Nah an der staubigen Realität

 

Schnell wird deutlich, dass Regisseur und Drehbuchautor Peter Ott eine Menge über die unübersichtlichen Konfliktlinien im Mittleren Osten weiß. In seinem Dokumentarfilm „Die Präsenz Gottes in einer falsch eingerichteten Gegenwart“ untersuchte er 2014 den Einfluss der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah auf die urbane Kultur in Beirut. Im Entführungsdrama „Das Milan Protokoll“, das fiktional, aber nah an der staubigen Realität inszeniert ist, nimmt Ott nun die Gemengelage von religiösen und ethnischen Interessen im – mittlerweile ehemaligen – Territorium des „Islamischen Staats“ (IS) ins Visier.

Offizieller Filmtrailer


 

Akteure kochen eigene Süppchen

 

Mit seinem Hintergrundwissen überfordert der Regisseur bisweilen das Publikum. Ott setzt einige Vorkenntnisse voraus, um die Interessen der fast beiläufig eingeführten Protagonisten aus diversen Geheimdiensten oder der Strippenzieher in den Stammesmilizen einordnen zu können. So wirkt der Film eher wie eine detailreiche, etwas überfrachtete Reportage als wie ein packender Thriller.

 

Es gibt einfach ein paar Baustellen zu viel. Neben den Kidnappern kochen noch andere Akteure mit der Geiselnahme ihr Süppchen. Martinas Entführer betonen wiederholt, dass sie nicht zum IS gehören  –  was allerdings, wie der Zuschauer bald ahnt, nur halb stimmt: Sie haben den totalitären Islamisten einst Treue geschworen, wollen aber, da deren Machtbereich schwindet, nun wieder die Seiten wechseln.

 

Alles dreht sich um deutsche Rakete

 

Vor allem interessieren sich die Geiselnehmer für Martinas Verbindungen zur PKK. Und für die titelgebende Panzerfaust „MILAN“: Diese Panzerabwehrrakete wurde 2014 im Auftrag der Bundesregierung an die Kurden im Nordirak geliefert, um sie im Kampf gegen den IS zu unterstützen – eine in Berlin seinerzeit durchaus umstrittene Strategie. Die Kidnapper vermuten, dass Martina eine solche Waffe auf syrisches Gebiet schmuggeln wollte. Auf jeden Fall aber versuchen die Entführer, ihre Geiselnahme vor dem militärischen Emir des IS geheim zu halten, bevor der auf die Idee kommen könnte, Martina als Faustpfand für seine politischen Zwecke einzusetzen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Himmel wird warten" über vom "Islamischen Staat" rekrutierte Jugendliche in Frankreich von Marie-Castille Mention-Schaar

 

und hier eine Besprechung des Films "Timbuktu" - brillant lakonisches Drama über islamistischen Terror in Nordafrika von Abderrahmane Sissako

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Wetter in geschlossenen Räumen" - sarkastisches Kammerspiel über Expat-Exzesse im Nahen Osten von Isabelle Stever mit Maria Furtwängler

 

und hier einen Bericht über den Film "Bakur - North" - Doku über die kurdische PKK-Guerilla von Çayan Demirel + Ertuğrul Mavioğlu.

 

Unter dramatischen Aspekten fesselt der Film nur bedingt, weiß man doch bald, dass Martinas Geschichte glimpflich ausgeht. Die Handlung wird in Rückblenden erzählt: BND-Mitarbeiter Moses (Christoph Bach) verhört die Ärztin nach ihrer Freilassung zu Einzelheiten ihrer Gefangenschaft. Was dabei im Hintergrund ablief, ist trotzdem spannend; man muss allerdings aufmerksam dranbleiben, um sich auf die oft vagen Andeutungen einen Reim machen zu können.

 

Seelische Implosion zündet nicht

 

Positiv fällt auf, dass die Schauplätze – gedreht wurde im kurdischen Nordirak und in Köln – wenig klischeehaft in Szene gesetzt sind: Die Bildwelten wirken kaum abgenutzt und doch realistisch. Dagegen überzeugt der zweite, kammerspielartige Handlungsstrang weniger: Martinas allmähliche seelische Implosion wirkt fast wie an den eigentlichen Plot drangeklebt – als sei deren einzige Funktion, den Zuschauer in diesen facettenreichen, aber spröden Film emotional hineinzuziehen.

 

Das klappt nicht recht: Martinas inneres Drama lässt den Betrachter seltsam unbeteiligt. In immer neuen Verstecken, in die sie gebracht wird, vermischt sich die Realität mit ihren Albträume – auch weil unklar bleibt, wer unter ihren Entführern ihr eingeschworener Feind ist oder doch zum potenziellen Komplizen werden könnte. Allein Martinas ambivalentes Verhältnis zum jungen Bewacher Ismail wirkt stimmig.

 

Abgeschobener als Kontakt zur Heimat

 

Er ist in Bielefeld aufgewachsen, bevor er zurück in den Irak abgeschoben wurde. So verkörpert Ismail für Martina ein Stück Heimat, auch wenn seine tatsächliche Rolle in den lokalen Konflikten undurchsichtig bleibt. Als Politthriller ist dieser Film also nur eingeschränkt gelungen – doch er bietet teilweise erhellende Einblicke in die komplexe Problemlage dieser von Krieg gebeutelten Weltgegend.