Paul Thomas Anderson

Der seidene Faden

Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) läßt Alma (Vicky Krieps) ein neues Kleid anprobieren. Fotoquelle: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 1.2.) Das untapfere Schneiderlein: In seiner wohl letzten Rolle spielt der Oscar-Preisträger Daniel Day-Lewis einen erfolgreichen Schneider, der sich von seiner jungen Muse umgarnen lässt – ambivalenter Thriller über die Macht der (Hass-) Liebe.

Reynold Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist einer der gefragtesten Schneider der Stadt, und ein begehrter Junggeselle obendrein. Erfolgsverwöhnt, egozentrisch und unverbindlich, hat er eine Reihe von Frauen, die ihm als Modell und Muse dienen. Sobald sie aber Woodcocks Schöpfungsprozess mit Geräuschen, Gedanken oder Anwesenheit stören, werden sie von seiner Schwester und Geschäftspartnerin Cyril (Lesley Manville) mit einem Kleid abgespeist und fortgeschickt.

 

Info

 

Der seidene Faden

 

Regie: Paul Thomas Anderson,

130 Min., USA 2017;

mit: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville

 

Website zum Film

 

Zu Beginn des Films, der im London der 1950er Jahre spielt, ist zu sehen, wie das abläuft. Es lässt sich ahnen, was kommt, als Reynolds in der Provinz die nächste Landpomeranze in sein Netz lockt. Die junge Alma amüsiert sich zunächst über die Aufmerksamkeit, die er ihr scheint, doch auf den Zauber folgt bald die Ernüchterung, und Darstellerin Vicky Krieps gibt all diesen Emotionen viel Ausdruck.

 

Der letzte Alpha-Mann

 

Daniel Day-Lewis hingegen fügt seinem Rollen-Portfolio einen weiteren, angeblich letzten, Alpha-Mann hinzu. Der dreimalige Oscar-Gewinner hat angekündigt, dass dies seine letzte Rolle sein soll. Die Chemie zwischen diesen beiden Protagonisten, von der unerschütterlichen Cyril zum Trio ergänzt, trägt die Dynamik des Films. Aber die ist zunächst sehr zäh.

Offizieller Filmtrailer


 

Altmodischer Geniekult

 

Regisseur Paul Thomas Anderson hat seine eigene Vorstellung von Timing, und er nimmt sich viel Zeit, seine Figuren an den Punkt zu führen, an dem endlich etwas Unerwartetes passiert. Bis dahin schwelgen Anderson in den heiligen Hallen von Reynolds Arbeitswohnung und setzen der Tradition der englischen Schneiderei ein Denkmal.

 

Umflort von „Third stream“, der Verbindung von Jazz und moderner E-Musik in den 1950/60er Jahren, sowie von neoklassizistischen Klavier-Etüden, treiben Reynold, Alma und Cyril durch den Produktionsprozess: das ist zumindest für ein Zielgruppen-Publikum zwischen den Magazinen „Vogue“ und „Freizeit Revue“ ein Fest für die Sinne. Dagegen dürften Leserinnen des feministischen „Missy Magazins“ oder von „Emma“ bis zum Wendepunkt ein tiefempfundenes „Mädel, wach auf!“ herunterwürgen. Der Film feiert nicht nur Stoffe und Spleens, sondern auch den Geniekult; der wird bekanntlich oft emporgekramt, um menschliche Diskrepanzen hübsch zu reden.  

 

Prinzessinnen die Hand schütteln

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Inherent Vice – Natürliche Mängel" – Verfilmung des 70er-Jahre-Späthippie-Krimis von Thomas Pynchon durch Paul Thomas Anderson

 

und hier einen Bericht über den Film “Yves Saint Laurent”  – Biopic über den Modeschöpfer von Jalil Lespert

 

und hier einen Beitrag über den Film "Seht mich verschwinden – FEMMEfille" - Posthum-Portrait über ein magersüchtiges Model von Kiki Allgeier

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models" - in der Hamburger Kunsthalle.

 

Dem geht Alma voll auf den Leim, während Cyril stellvertretend für den gesunden Menschenverstand die Augenbrauen heben muss. Almas Ehrgeiz ist es nicht, etwas auf die Beine zu stellen. Wie alle ihre Vorgängerinnen will sie ihre Flagge auf der eroberten Festung Woodcock aufpflanzen. Ihr Traum ist der vom Leben an seiner Seite, in seinem Ruhm zu strahlen und belgischen Prinzessinnen die Hand zu schütteln. Am liebsten ist er ihr, wenn er nach einer Kollektions-Präsentation ausgebrannt und zu schwach ist, das Scheusal zu spielen.  

 

Doch Alma durchschaut das Spiel und ändert die Regeln zu ihren Gunsten, was Woodcok überraschenderweise gefällt. Plötzlich ist „Der Seidene Faden“ nicht mehr so offensichtlich. Sah es zunächst so aus, als wolle der Regisseur in Daniel Day-Lewis Figur seine eigenen Beziehungsunfähigkeiten verballhornen, so verwandelt sich der Film jetzt zu einer etwas schrägen Liebesgeschichte.  

 

Duell des Willens

 

Oder eher einer „Gothic Romance“; denn dies ist das literarische Genre, auf das sich Anderson und sein Drehbuchautor beziehen. Die Figur des Reynold Woodcock hingegen ist eine Mischung aus verschiedenen Modeschöpfern seiner Epoche, allen voran Cristóbal Balenciaga, aber auch von Vorgängern wie der britischen Stilikone Beau Brummel (1778 – 1840).

 

Darüber setzt die Geschichte von Alma und Reynold die Reihe der großen Duelle zweier starker Charaktere fort, die der Regisseur in früheren Filmen wie „There Will be Blood“ (2007) und „The Master“ (2012) inszeniert hat. Nur hüllt Anderson in diesem Fall die Story in ein aufwändiges Gewand aus Stoffen, Spitzen, Nähten, versteckten Botschaften, raffinierten Faltenwürfen und eleganten Schnitten.