Lange nichts mehr aus dem Lande Liliput gehört. Das Reich der Winzlinge hatte der englische Autor Jonathan Swift mit seiner Satire „Gullivers Reisen“ 1726 als geistreiches Gedankenexperiment in die europäische Literatur eingeführt. Doch in den letzten Dekaden durfte es nur noch als Schauplatz für blödelnde Kinokomödien herhalten. Sie hießen alle ähnlich: „Liebling/ Hilfe, ich habe die Kinder/ meine Lehrerin/ meine Eltern geschrumpft“, und sahen auch so aus.
Info
Downsizing
Regie: Alexander Payne,
135 Min., USA 2017;
mit: Matt Damon, Christoph Waltz, Hong Chau, Udo Kier
Auf zwölf Zentimeter schrumpfen
Die Grundidee von „Downsizing“ ist bestechend. Norwegische Wissenschaftler haben das perfekte Mittel gegen Überbevölkerung und Ressourcen-Mangel gefunden: Sie lassen Normalbürger auf zwölf Zentimeter Körpergröße und 0,04 Prozent ihrer bisherigen Volumens schrumpfen. Nicht als SciFi-Zaubertrick, sondern mit einem geordneten medizinischen Verfahren – das mit TV-Reklame und qualifizierten Beratern beworben wird.
Offizieller Filmtrailer
Eigene Ersparnisse verhundertfachen
Was die potentielle Kundschaft anspricht, ist aber kaum der altruistische Slogan „Save the Planet!“, sondern die Verheißung: „Get rich quick!“. Jeder Däumling verbraucht viel weniger als zuvor – also kann er sich bei gleich bleibendem Vermögen wesentlich mehr leisten. Das überzeugt auch das Durchschnittspaar Paul Safranek (Matt Damon) und seine Frau Audrey (Kristen Wiig): Ihre Ersparnisse von 100.000 US-Dollar sollen in der Liliputaner-Kolonie Leisureland einer Kaufkraft von mehr als 12 Millionen Dollar entsprechen.
Nichts wie hin ins Schlaraffenland – doch Audrey macht im letzten Augenblick einen Rückzieher, und Paul wacht allein in Leisureland auf. Trotz Luxus-Villa verläuft sein Single-Leben als Call-Center-Angestellter eher eintönig, bis sein Nachbar Dusan Mirkovic (Christoph Waltz) anklopft. Der serbische Playboy führt ein sex, drugs and crime-Leben, wie es Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson nicht schräger hätte ausmalen können. Angeblich schmuggelt er mit seinem Partner Konrad (Udo Kier) im großen Stil, doch man erlebt ihn nur als Gastgeber extrem dekadenter Partys – und der Film driftet völlig ab.
Einbeinige Dissidentin mit Helfersyndrom
Hintergrund
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Damit nicht genug: Das Duo reist nach Norwegen, wo der Erfinder des Downsizing-Verfahrens eine Späthippie-Kommune im Fjord gegründet hat. Da die Erdatmosphäre bald unbewohnbar werden wird, wollen sich deren Bewohner tief in ein Bergwerk zurückziehen, wo sie ein mit High-Tech gesteuertes Biotop angelegt haben. Paul muss sich rasch entscheiden: für ein Weiterleben allein im Untergrund oder gemeinsam mit Ngoc in Leisureland. Die Uhr tickt.
Wie Statler + Waldorf aus Muppet Show
Selten zerfallen Filme derart in zwei Teile, die kaum etwas miteinander verbindet. Eine Stunde lang spielt Regisseur Payne das Thema Miniaturisierung seriös, konsequent und vergnüglich durch – quasi als soziologischen Großversuch, wie die Bewohner von Mikro- und Makro-Welt aufeinander reagieren. Das ist so lehrreich wie amüsant; weil es lakonisch demonstriert, dass Umweltschutz erst dann attraktiv wird, wenn er Egoismus, Gier und Statusdenken bedient.
Als Paul sich auf Dusans Party eine Pillen-Überdosis einwirft, trägt auch das Drehbuch irreparablen Schaden davon. Fortan scheint im Zwergen-Reich jede Logik suspendiert, haarsträubende Zufälle jagen einander, und der Plot wird so plausibel wie ein Öko-Märchen für Zwölfjährige. Durch dessen Szenen geistern Christoph Waltz und Udo Kier unmotiviert wie Statler und Waldorf aus der Muppet Show: Ihre lendenlahmen Scherze kaschieren kaum ihre goldenen Herzen. Und der Regisseur bemüht zum Schluss das älteste aller happy endings: Nur die Liebe zählt.